Problemkind „Alter Schlachthof“: Ein Hauptgewinn ist das Areal nicht, entsprechend zögerlich baut der Investor. Trotz vermeintlicher Vertragsverstöße denkt der Senat nicht an Rückkauf – zur Empörung einer Bürgerinitiative.
Es ist aber auch wirklich ein undankbarer Standort. Hier die laute, stinkende Landsberger Allee, da die S-Bahn, und dann ist auch noch der S-Bahnhof Landsberger Alle auf der falschen Seite, ein Übergang, geschweige denn eine Ampel, nicht in Sicht. Auf der Straße vor den Backsteinhallen des Alten Schlachthofes: niemand. Das hierher dereinst die Massen zum Einkauf strömen, ist schwer vorstellbar. Vermutlich auch für den Investor des ehemaligen „Central Vieh- und Schlachthofes“, der seine Pläne bereits im Juni an den Nagel gehängt hat.
Ein unattraktiver Standort
Die Bürgerinitiative „nichtnochncenter“, die sich gegen die Pläne der Eigentümerin „UBX 2 Objekt Berlin GmbH“ stemmte, in den denkmalgeschützten Hallen Gastronomie und Einzelhandel unterzubringen sowie auf der Brache daneben ein Kongress- und Shoppingcenter zu errichten, besang die Unattraktivität des Standortes schon vor einem Jahr. Der mittlerweile 150 Mitglieder starken Initiative schwebt in den Hallen ein Standort für Kultur und Handwerk vor, davor Urban Gardening, ein Bolzplatz – irgendwie Begegnungsstätte, den Bedürfnissen der Anwohner des Sozialinfrastruktur bislang entbehrenden Neubaugebietes entgegenkommend. „Unser Plan ist langfristig, den Bebauungsplan zu ändern„, so Mitinitiator Filip Stahl. Der sogenannte B-Plan weist das Gelände bislang als Kerngebiet für Gewerbe und Handel aus – also alles außer Wohnen. Eine Bebauung etwa mit noch einer Shopping Mall, die niemand braucht.
Und die ja nun auch nicht zustande kommt. „Der Investor findet keine Mieter“, sagt Stahl. Und vermutet, dass diese für die nun geplanten Büroflächen ebenso wenig zu finden sein werden. Den Prenzlauer Berg Nachrichten gegenüber wollte sich die UBX 2 am Donnerstag nicht äußern. Stahl glaubt eher, diese wolle mit den Planänderungen und der damit verbundenen Neuauflage des Bauantrags Zeit schinden. Denn innerhalb eines Jahres nach Erteilung der Baugenehmigung muss ein „nachhaltiger Baubeginn“ feststellbar sein, so will es der Kaufvertrag. Im November 2016 wurde die Genehmigung erteilt, die Frist lief inklusive der vier Kulanzwochen Ende 2017 aus. „Für den geplanten Neubau liegt seit Anfang diesen Jahres ein Bauantrag vor, der durch den Investor aber noch nicht eingereicht worden ist, da noch letzte Details mit dem Bezirksamt Pankow abgestimmt werden müssen. Es soll jetzt – B-Plan konform – ein Bürogebäude mit Einzelhandelsnutzungen im Erdgeschoß entstehen“, so die Sprecherin der Senatsverwaltung Petra Rohland gegenüber den Prenzlauer Berg Nachrichten.
„Nachhaltiger Baubeginn“ – eine Auslegungssache
Doch „nachhaltiger Baubeginn“ – was bedeutet das überhaupt? Zweifelsohne ist es einer der zentralen Begriffe in diesem Konglomerat aus Eigentumsverhältnissen, Fristen und B-Plänen. „Von einem nachhaltigen Baubeginn kann man ab der Errichtung der Bodenplatten sprechen“, zitiert Stahl die Justiziarin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Judith Huber – so zumindest habe sich diese gegenüber der Bürgerinitiative im Juni vergangenen Jahres geäußert. Also: Tiefgarage fertig, Platten drauf – „Die spätere Struktur des Gebäudes muss erkennbar sein“, erklärt Stahl.
Dem ist bislang durchaus nicht so. Wer an dem Areal vorbeigeht, sieht neben den eingerüsteten alten Backsteinhallen eine feucht schimmernde Sandgrube. Und wer einen Blick in die Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Tino Schopf vom Januar wirft, weiß, dass im Jahr 2017 lediglich „Abstimmungsarbeiten mit der Unteren Denkmalschutzbehörde zur Sanierung der denkmalgeschützten Hallen“ stattfanden sowie erste Bauuntersuchungen, -planungen, Dach- und Mauerwerksinstandsetzungen und Sicherungsmaßnahmen. Außerdem Altlastenuntersuchungen auf dem Gebiet des dereinstigen Neubaus. All das also, was der Denkmalschutz sowieso einfordert. „Seit Dezember wurde auf der Baustelle kein Bauarbeiter mehr gesehen“, sagt Stahl und beruft sich auf Mitstreiter, die direkt neben der Baustelle wohnen.
Das Gelände ist heute das Zehnfache wert
Warum das alles so wichtig ist? Weil: Starten die Bauarbeiten nicht vertragsgemäß, kann vom Land ein Rückkauf des Areals in Erwägung gezogen werden – in einer Stadt wie Berlin nicht uninteressant. Bleibt die Frage, die auch die Bürgerinitiative umtreibt: Warum nutzt eine Stadt, deren drei Regierungsparteien sich alle auf die Fahne schreiben, so viele Flächen wie möglich für das Land zurückkaufen zu wollen, nicht die einmalige Chance, ein Areal für sagenhafte 2,37 Millionen Euro – den Kaufpreis von 2008 – zurückzukaufen, das heute etwa das Zehnfache wert ist? Auch SPD-Mann Schopf hakt diesbezüglich mehrmals nach. Und erhält vage Antworten, denen zufolge die Behörde „davon ausgeht, dass beide Bauvorhaben durch den Investor vertragsgerecht umgesetzt werden“.
Zudem scheint die Stadt eine gerichtliche Auseinandersetzung zu scheuen, wie aus einem anderen Absatz hervorgeht: „Die vertragliche Formulierung des „nachhaltigen Baubeginns“ könnte ggf. zu juristischen Auseinandersetzungen führen, wenn Zweifel an der Realisierungsabsicht aufkämen.“ Schon die Behörde selbst scheint unter einem nachhaltigen Baubeginn etwas anderes zu verstehen als ihre eigene Justiziarin und schreibt: „Da der Baubeginn formal erfolgt ist und die erforderlichen Vorbereitungsarbeiten auch aktuell weiter laufen, besteht für das Land Berlin derzeit kein Anlass oder triftiger Grund vom Kaufvertrag zurückzutreten.“ Auf Nachfrage allerdings sieht Sprecherin Rohland die Verantwortung zum Teil beim Bezirk Pankow: „Da uns im letzten Jahr durch das Bezirksamt Pankow mitgeteilt worden ist, dass für das Gesamtvorhaben ein nachhaltiger Baubeginn erfolgt ist, besteht für uns derzeit keine Möglichkeit von Kaufvertrag zurückzutreten.“ Der grüne Baustadtrat Vollrad Kuhn bestätigte in seiner Antwort auf eine entsprechende Einwohneranfrage in der Bezirksverordnetenversammlung Ende Februar, dass „bauvorbereitende Maßnahmen“ stattgefunden hätten.
Wurde beim Vertragsabschluss geschlampt?
Filip Stahl vermutet andere Gründe für die zögerliche Haltung des Senats beim Rückkauf. Und zieht Parallelen zum Fall des SEZ, dem ehemaligen Spaßbad an der Petersburger Straße, gerade so auf Friedrichshainer Boden – um vermeintliche Vertragsverstöße und den Rückkauf des Geländes streiten Stadt und Eigentümer nun vor Gericht. So mutmaßt die Bürgerinitiative auch im Fall des Alten Schlachthofs von Senatsseite „Angst, frühere Schlampigkeiten in der Vertragsgestaltung könnten ans Licht kommen, oder die Stadt könne auf Entschädigung verklagt werden.“ Die Senatsverwaltung auf Nachfrage: „Ein Rücktritt vom Kaufvertrag wäre für das Land Berlin risikobehaftet.“ Wobei sie letzteres wohl nicht zu fürchten hätte: „2014 beschloss das Bundesverfassungsgericht, dass Entschädigungsforderungen nicht genutzt werden dürften, um Spekulationsgewinne abzusichern oder verpasste Chancen auszugleichen“, weiß Stahl.
Büros hält er indes für ähnlich originell wie eine Mall. Direkt nebenan, in der Storkower Straße, stünden Büroflächen leer. Und um die teure Instandsetzung der denkmalgeschützten Backsteinhallen querzufinanzieren, müssten in diesem Neubau an der Grenze zu Lichtenberg Mieten „auf Friedrichstraßenniveu“ genommen werden. Landsberger Allee, die neue Friedrichstraße? Es bleibt spannend.
1 Kommentar
Alter , danke , jetzt hab ich albträume.