In der Stahlheimer Straße formiert sich Widerstand gegen die Bezirkspläne (Foto: Constanze Nauhaus)

Das große Fällen

von Constanze Nauhaus 8. Februar 2018

In der Stahlheimer Straße müssen 22 Straßenbäume Platz für einen neuen Radweg machen – und für Parkplätze. Anwohner sind entsetzt.


„Das war ein Schock“, sagt Ronald Lohse. Als der Zettel vom Bezirksamt im Briefkasten lag. „Notwendige Baumfällarbeiten„? Das sieht Lohse, der seit zehn Jahren in der Stahlheimer Straße wohnt, anders. Klar, dass seine Straße umgestaltet werden soll, das hat er mitbekommen. „Aber dass dafür Bäume fallen, das hat hier keiner geahnt“.

Seit Juli 2015 läuft der Umbau der Pappelallee/Stahlheimer Straße. Die Pappelallee ist fertiggestellt, ein neuer Radweg zieht sich bereits vom Humannplatz bis zur Eberswalder Straße. Auch hier ließen Bäume ihr Leben, neue wurden angepflanzt. Nun folgt der letzte Bauabschnitt: Die Stahlheimer Straße zwischen Erich-Weinert- und Wisbyer Straße. 1,7 Millionen Euro kosten die Arbeiten, die bis Ende 2019 abgeschlossen sein sollen, finanziert aus dem Programm Städtebaulicher Denkmalschutz. Ein Radstreifen soll her und außerdem die Möglichkeit erhalten bleiben, Autos zu parken. Weichen müssen deshalb nun 22 Straßenbäume, am Freitag und Sonnabend sollen die Fällungen durchgeführt werden.

Anwohner Ronald Lohse ist entsetzt über die Baumfällungen (Foto: Constanze Nauhaus)

Anwohner Ronald Lohse ist entsetzt über die Baumfällungen (Foto: Constanze Nauhaus)

 

Widerstand auf Facebook

Wieso, versteht Ronald Lohse nicht. Am Humannplatz stünden die Bäume schließlich auch nach Abschluss der Bauarbeiten noch, zudem würden seiner Ansicht nach die Parknischen auch zwischen die Bäume passen. „Das kann hier keiner nachvollziehen. Die Bäume sind das Herz der Straße. Im Frühling, im Sommer ist hier alles grün. Ansonsten ist das eine laute, graue Straße.“ Lohse ist nicht der einzige, den die geplanten Fällungen empören. Auch auf Facebook formiert sich Widerstand. „Hat vielleicht jemand Ideen und es lässt sich doch noch aufhalten!?“, fragt eine Anwohnerin auf der Seite des „Nett-Werk Berlin“.

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Auch an einigen Eschen in der Stahlheimer Straße selbst sind nun Zettel angepinnt. „Anwohner entsetzt!“, steht auf einem. Auf einer anderem: „Ich will leben“, darunter: „Ich bin eine Esche. Hier stehe ich seit 34 Jahren. Mein Stamm umfasst schon 101 cm, meine stolze Krone 8 m und ich reiche 13 m hoch.“ Dazu die Information, dass ein solcher Laubbaum etwa 370 Liter Sauerstoff produziere – pro Stunde. Um an diesen Wert annähernd heranzukommen, müssen die geplanten Neupflanzungen eine ganze Weile wachsen und werden „ihre Wirkung wohl erst in mehreren Jahrzehnten entfalten“, wie es auf einem anderen Aushang heißt.

Das vermutlich letzte PBN-Bild einer baumbestandenen Stahlheimer Straße (Foto: Constanze Nauhaus)

Das vermutlich letzte PBN-Bild einer baumbestandenen Stahlheimer Straße (Foto: Constanze Nauhaus)

 

Zahl der Parkplätze wird verringert

Nach Lust auf ein blindes Kettensägen-Massaker allerdings klingt Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung, Vollrad Kuhn (Grüne), nicht. Im Gegenteil, der Stadtrat wirkt bemüht. „Wir hatten vor vier Jahren bereits erste Begehungen durchgeführt, damals sollten die Parkplätze noch auf den Gehweg verlagert werden“, sagt Kuhn. Das allerdings wurde von der Verkehrsbehörde abgelehnt, die Anlage sogenannter Parktaschen lasse sich nicht anders umsetzen. Auch, weil die Wurzeln der Altbäume wegen des bindigen Bodens nach oben drückten und den Gehweg zerstörten. „Insgesamt wird die Zahl der Stellplätze verringert, und wo machbar werden die Bäume erhalten“, so Kuhn. So werden nach jetzigem Stand wohl zwölf Bäume verschont, zwei mehr als geplant – hinzu kommen nach Abschluss der Arbeiten voraussichtlich 22 Neuanpflanzungen. Noch am Mittwoch diskutierte der Stadtrat die Planungen mit Anwohnern in seinem Büro.

Es gibt auch Verständnis in der Online-Community. „Letztlich geschieht das ja aus einem bestimmten Grund. In dem Fall halt zum Ausbau der Infrastruktur“, so ein Facebook-User. Und zwar der Fahrrad-Infrastruktur. Aber auch, wenn man dem Bezirk blinde Zerstörwut sicher nicht vorwerfen kann: Ob der durch den neuen Radstreifen dereinst steigende Fahrradverkehr klimatechnisch die fehlenden Bäume ausgleichen wird, sei einmal dahingestellt.

Auch auf dem Schulhof der Carl-Humann-Grundschule müssen Bäume dran glauben (Foto: Ronald Lohse)

Auch auf dem Schulhof der Carl-Humann-Grundschule müssen Bäume dran glauben (Foto: Ronald Lohse)

 

„Ein richtiges Massaker“

Was bleibt, ist die emotionale Ebene eines solchen Kahlschlags. Als „richtiges Massaker“ empfindet Lohse die Fällungen, die am Dienstag und Mittwoch bereits auf dem Schulhof der Carl-Humann-Grundschule stattfanden. Mit dem Umbau der Straße hat das allerdings nichts zu tun – laut Schulstadtrat Torsten Kühne (CDU) soll hier eine neue Vier-Feld-Turnhalle entstehen. „Gesunde, alte Bäume zu fällen“, sagt Ronald Lohse traurig. „So ein Leben einfach zu beenden – das tut mir richtig weh.“

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1 Kommentar

Toblerk 9. Februar 2018 at 11:39

Ich bin schon ein bisschen irritiert über die tendenziöse Aufmachung: Welche Richtung würde der Artikel wohl nehmen, wäre der Aufmacher:
„In der Stahlheimer Straße müssen in diesen Tagen 22 Straßenbäume Platz machen, damit Parkplätze erhalten bleiben – und Schüler*innen bald sicherer in die Schulen entlang der Neumannstraße fahren können.“
In erster Linie werden die Bäume gefällt, weil sie falsch gepflanzt wurden und sie nach den umfangreichen Straßenarbeiten nicht mehr sicher stehen. Punkt. Diskutieren sollte man natürlich, welche Bäume neu gepflanzt werden, welche nicht – und warum.
Wer einmal auf das Straßenlayout hier schaut, wird erkennen, dass es nur logisch ist, wenn Radler nicht mehr sturzgefährdet im Tramgleis fahren müssen.
Praktisch erfahren kann man den Unterschied im Sicherheitsgefühl sehr eindrucksvoll, wenn der Radstreifen auf der Kastanienallee mit Beginn des Bezirks Mitte verschwindet und die Radler sich die eine Spur mit Tram und Kfz teilen. Akrobatik verlangt z.B. das Ausweichen vor unachtsam wendenden oder einfahrenden Autofahrern – ohne dabei im Tramgleis stecken zu bleiben.
Natürlich ist es wieder mal ein Armutszeugnis vom Bezirk, wenn – nur wegen der Angst vor Diskussionen – alles klammheimlich durchgezogen wird. Ein Beteiligungsverfahren hätte sicherlich mehr Bäume wieder aufleben lassen.

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