Das Amtsgericht hat die erste Räumungsklage gegen einen Mieter der Immanuelkirchstraße 35 abgewiesen. Die Hausbewohner hoffen auf eine Signalwirkung des Urteils.
Christian Sauer ist erleichtert. Er kann vorerst in seiner Wohnung in der Immanuelkirchstraße 35 wohnen bleiben. Das Amtsgericht sah keine ausreichenden Gründe für die Kündigung der Mieter gegeben und wies die Räumungsklage gegen Sauer ab.
Der im Ausland lebende Eigentümer, der durch seinen Architekten vertreten wird, hatte argumentiert, durch das Fortbestehen des Mietverhältnisses werde er an einer wirtschaftlichen Verwertung des Hauses gehindert. Er möchte das stark verfallene Gebäude grundlegend sanieren und behauptet, durch die gravierenden Eingriffe fiele der Bestandsschutz des Gebäudes weg. In diesem Fall gelten für das Haus die gleichen Bestimmungen wie bei einem Neubau, beispielsweise müssen zweite Rettungswege eingebaut werden. Mit dieser Begründung wollte der Eigentümer die Wohnung von Christian Sauer mit der eines anderen Mieters zusammenlegen – beide sollten ausziehen.
Gericht: Wohnungszusammenlegung nicht zwingend notwendig
Richter Leimkühler folgte dieser Argumentation nicht. Es sei nicht ausreichend nachgewiesen, dass der Bestandsschutz für das Haus tatsächlich aufgehoben werden müsse, so die Urteilsbegründung. Es gebe viele weitere Beispiele von ähnlichen Häusern in Prenzlauer Berg, deren Bestandsschutz trotz umfangreicher Sanierung bestehen bleiben konnte. Selbst für den Fall sei aber eine Zusammenlegung von Wohnungen nicht zwingend die einzige Möglichkeit, einen zweiten Rettungsweg zu schaffen, so die Urteilsbegründung. Stattdessen seien Außentreppen oder Rettungsbalkone denkbar.
Auch die wirtschaftliche Verwertung der Immanuelkirchstraße 35 sieht das Gericht von einem Verbleib des Mieters nicht bedroht. Sauers Wohnung nimmt nur 46 Quadratmeter der Gesamtfläche von über 3000 Quadratmetern in dem Gebäude ein. Außerdem könne die Wohnung auch saniert werden, ohne dem Mieter zwingend zu kündigen. Das Gericht bewertete das Bestandsinteresse des Mieters höher als das Verwertungsinteresse des Eigentümers. Auch, wenn das Bezirksamt die Zusammenlegungen genehmigt hat, sei der Eigentümer nicht gezwungen, diese auch durchzuführen und könne gegebenenfalls alternative Lösungen zur Genehmigung vorlegen.
Die Kläger haben Berufung gegen das Urteil eingelegt, über die Zulässigkeit soll Ende Februar entschieden werden. Die restlichen Bewohner der Immanuelkirchstraße 35 erhoffen sich durch das Urteil hingegen Signalwirkung für die eigenen Fälle. Gegen alle verbliebenen neun Mietparteien hat der Eigentümer Räumungsklagen eingereicht.
Bezirksamt ohne Überblick
Der Fall der Immanuelkirchstraße 35 hatte bei Bekanntwerden im letzten Sommer für Empörung gesorgt, weil das Haus im Erhahltungsgebiet Winsstraße liegt. In den sogenannten Milieuschutzgebieten sind Grundrissveränderungen eigentlich nicht erlaubt. Trotzdem genehmigte der Bezirk die Wohnungszusammenlegungen, allen Mietern wurde gekündigt.
Nach wie vor scheint das Bezirksamt wenig Überblick über die Lage in dem Haus zu haben. Wie aus einer kleinen Anfrage des Verordneten Frederik Bordfeld (Linke) hervorgeht, hat die Bauaufsicht die Arbeiten an dem Gebäude nur einmal im vergangenen August kontrolliert. Die Mieter leben seit einem Jahr auf der umfangreichen Baustelle. Aus der Antwort auf die Anfrage geht außerdem hervor, dass die Immanuelkirchstraße 35 von nur noch vier Mietparteien im Vorderhaus bewohnt werde. Die hinteren Gebäudeteile seien nicht mehr bewohnt, das habe eine Begehung der Mieterberatung im November ergeben. Stattdessen wohnen laut Sauer aber nach wie vor neun Parteien im Haus, Sauers Wohnung befindet sich im Quergebäude.