Bestandsschutz oder kein Bestandsschutz?

von Kristina Auer 27. Oktober 2017

Das ist die Frage in der Immanuelkirchstraße 35. Mit dessen Wegfall begründet der Eigentümer die Zusammenlegung von Wohnungen im Milieuschutzgebiet – und kündigt den Mietern. Vor Gericht wird nun diskutiert, ob es Alternativen gäbe.


„Es ist schon wirklich hart“, sagt Christian Sauer. Er lebt in der Immanuelkirchstraße 35, mitten auf einer Baustelle in einem Haus, das gerade von Grund auf saniert wird. „Wir haben jeden Tag Lärm, das Dach wird ausgebaut“, sagt Sauer. „Und es ist sehr kalt geworden, weil in allen leerstehenden Wohnungen Fenster und Türen entfernt worden sind.“

Der Bezirk hat im Frühjahr die umfangreichen Bauarbeiten mit Wohnungszusammenlegungen genehmigt – obwohl das Haus im Milieuschutzgebiet steht. Die Folge: Sauer und allen anderen Mietern wurde gekündigt, weil ihre Wohnungen nach der Sanierung so nicht mehr existieren werden. Am Donnerstagmorgen wurde am Amtsgericht Mitte zum zweiten Mal über die Räumungsklage gegen den Mieter Fridolin Welti verhandelt.

 

Zweite Rettungswege als Kündigugnsgrund

 

Zentral im Streit um das Sanierungsvorhaben ist die Frage nach dem Bestandsschutz des Altbaus. Bestandsschutz besagt, dass ein Gebäude, das heutigen Anforderungen aufgrund seines Alters nicht entspricht, so bleiben darf, wie es ist. Bei gravierenden Veränderungen an einem Haus entfällt dieser Bestandsschutz. Das Gebäude muss dann beispielsweise in Sachen Brandschutz und Rettungswege den modernen Anforderungen entsprechen.

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Der Architekt Khalid Atris und der Bruder des im Ausland lebenden Eigentümers, Andreas Röhreke, argumentieren, der Wegfall des Bestandsschutzes sei unumgänglich. Zu desolat sei der Zustand des Gebäudes, zu gravierend die dringend nötigen Bauarbeiten. Die Bauanträge, die die Bauherren beim Bezirk gestellt haben, gehen demnach von vornherein vom Verlust des Bestandsschutzes aus, die den Einbau von Treppenhäusern und die Zusammenlegung von Wohnung als zweite Fluchtwege vorsehen. Die Mieter vermuten hinter der Argumentation ein Kalkül, um die unrentablen Altbewohner loszuwerden. Sie bestehen auf der Argumentation, dass die zeitgemäße Instandsetzung des Hauses und der Einbau von Bädern auch ohne entfallenden Bestandsschutz möglich sei. Die Sanierung unzähliger anderer Altbaugebäude in Prenzlauer Berg habe das bewiesen.

 

„Behauptung gegen Behauptung“

 

In der Ladung zum Gerichtstermin am Donnerstag hatte Richterin Vandenhouten angemerkt, der Eigentümer habe bisher nicht ausreichend begründet, warum der Bestandsschutz unbedingt entfallen muss. Daraufhin sollen die Bauherren eine umfassende Begründung eingereicht haben. Bei der Verhandlung zeigte Vandenhouten sich dann überzeugt, dass der Bestandsschutz entfallen muss. Es gehe nun vielmehr um die Frage, ob es tatsächlich keine andere Möglichkeit der Bauplanung gebe, als die Wohnungen zusammenzulegen. Momentan stehe es „Behauptung gegen Behauptung“. Falls sich herausstellt, dass der Bezirk für keine Alternative eine Baugenehmigung ausstellen kann, werde sie der Verwertungskündigung gegen den Welti stattgeben, so die Richterin.

Ob dies tatsächlich zutrifft, soll jetzt die Befragung von zwei Amtsmitarbeiterinnen aus den Bereichen Stadterneuerung und Bauaufsicht sowie einer Brandschutz-Expertin zeigen. Sie sollen bei einer weiteren Verhandlung im Januar aussagen. „Ich halte die Mitarbeiterinnen nicht für gänzlich neutral, weil das Bezirksamt die Baugenehmigungen ja schon erteilt hat“, sagte der Beklagte Welti. Ein unabhängiges Gutachten durch einen Architekten wäre den Mietern lieber als die Befragung. Richterin Vandenhouten hält diesen Weg vorerst für zu teuer und langwierig.

 

Eigentümer beteuert: „Bestandsschutz wäre mir lieber“

 

Röhreke betonte, der Wegfall des Bestandsschutzes sei ein Nachteil für die Eigentümerseite: „Mein Bruder verliert aus diesem Grunde insgesamt fünf Wohneinheiten, die er dann für eine Vermietung nicht mehr zur Verfügung hat.“ Stattdessen hätten Bauamt und Feuerwehr auf der Einhaltung der Auflagen beharrt und sie zur Bedingung für eine Baugenehmigung gemacht. „Natürlich wäre mir eine Lösung, die dem Bauherrn den Bau von mehr Wohnungen erlaubte, lieber. Gerne würde ich für den Bauherrn auf den Einbau von Sicherheitstreppenhäusern in sechsstelliger Größenordnung verzichten.“ Er halte jedoch lieber die Auflagen ein, als das durch mangelnden Brandschutz irgendwann einmal jemand zu Schaden komme.

Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) wollte sich zum laufenden Verfahren nicht äußern, verwies aber auf drei kleine Anfragen des Bezirksverordneten Frederik Bordfeld (Linke) zum Thema. Darin erklärt das Bezirksamt, der Eigentümer und nicht die Behörde habe den Bestandsschutz aufgehoben. Ein weiterer interessanter Punkt: Der Voreigentümer des Gebäudes hat laut Bezirksamt 2015 schon einmal einen Bauantrag mit Grundrissveränderungen gestellt – der wegen Unvereinbarkeit mit den Milieuschutzrichtlinien abgelehnt wurde.

Der nächste Verhandlungstermin in der Räumungsklage gegen den Mieter Christian Sauer ist für Anfang November angesetzt. Vorher soll aber ein Treffen zwischen Sauer und der Eigentümerseite stattfinden. Dort soll über eine Einigung und eine mögliche Ersatzwohnung im selben Haus für Sauer verhandelt werden.

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