Nach dem ersten Schock über den Verkauf der Willner-Brauerei und der Kündigung der dort ansässigen Künstler zeigt sich der neue Eigentümer gesprächsbereiter als erwartet.
„Ende Neu“. Traurig passend für die aktuelle Situation, als hätten sie es damals schon geahnt. Dabei fand die gleichnamige Ausstellung bereits vor über zwei Jahren statt, als sich Künstler wie Hannah Goldstein in der nun verkauften Willner-Brauerei (WBB) noch sicher wähnten. Voller Elan, voller Zuversicht, auf dieser toten Ecke auf der Berliner Straße, die sich, trotz Letzterem im Namen, weder nach Prenzlauer Berg noch nach Pankow anfühlt, etwas Dauerhaftes zu schaffen.
„Ich bin supertraurig“
Dieser Traum scheint nun zerplatzt zu sein, nachdem im Juli der Verkauf des Geländes an die Jenn Grundbesitz GmbH bekannt wurde. „Ich bin geschockt, aber leider ist das die Richtung, die Berlin gehen wird“, sagt Goldstein, die gemeinsam mit ihrer Kollegin und Co-Kuratorin Katja Haustein seit 2013 in der WBB arbeitet. „Wir haben hier Liebe, Blut, Zeit und Schweiß reingesteckt. Ich bin einfach supertraurig.“
Auch Dirk Rath wirkt geknickt, als er am Donnerstagabend vor dem Pankower Kulturausschuss spricht. „Wir als Hauptmieter mussten den Künstlern nun kündigen, da der neue Eigentümer Baufreiheit wünscht“, sagt der WBB-Mitbetreiber resigniert. Etwa 30 bis 40 Personen betreffe das, in 19 Ateliers. Alle bis auf die im Zollhaus, dem Gebäude, in dem sich auch die Pizzeria befindet. Trotzdem: Den Umständen entsprechend diplomatisch äußert sich Rath, der drahtige Mann mit dem Ziegenbart und den freundlichen, offenen Augen, über den neuen Eigentümer Shaul Shani. „Er hat von Anfang an das Gespräch mit uns gesucht, noch vor dem Eintrag ins Grundbuch. Das muss man ihm hoch anrechnen“, sagt Rath. „Das kennen wir vom Voreigentümer gar nicht.“
Der neue Besitzer – früher selbst Künstler
Durch positive Berichte tat sich Vorbesitzer Nicolas Berggruen, selbsterklärter Kunst-Mäzen, auch sonst nicht hervor – nicht zuletzt durch seine zwiespältige Rolle im Karstadt-Debakel. Nachdem er 2011 den maroden Konzern aufkaufte und als dessen Messias gefeiert wurde, zerschlug er ihn 2014. Das kratzte am Image des US-Milliardärs. Negative Schlagzeilen macht er momentan mit der Kündigung des Kunst- und Kultursalon „Babette“ in der Karl-Marx-Allee.
Nun also Shaul Shani. Ein Bericht der Berliner Morgenpost von 2012 über Shanis Übernahme des Kulturstandorts „Hamburger Hof“ in Mitte lässt hoffen. „Ich hätte mich natürlich auch für Rechtsanwälte entscheiden können, wollte dies aber nicht. Ich wollte ein Projekt umsetzen, in dem ich Künstlern die Chance gebe, sich selbst zu verwirklichen“, zitiert ihn die Morgenpost. Ein Investor mit einem Herz für Künstler? Immerhin war der Israeli, der 1985 nach Berlin kam, selbst Tänzer und Choreograph, bevor er ins Berliner Immobilien-Geschäft einstieg.
Abriss und Neubau?
Allerdings, räumt Dirk Rath in der Ausschusssitzung ein, gingen die Konzepte Shanis und der WBB-Betreiber bislang noch auseinander. „Bevor Shani kam, hatten wir ja auch schon Pläne. Wir wollen die Kunsträume ausbauen, mehr Ateliers und Büroräume schaffen.“ Denn die Nachfrage nach Ausstellungsräumen sei immens. Ähnliche Planung also wie die Shanis, der auch nach der Sanierung 2020 die WBB als Kulturstandort erhalten will – erweitert allerdings um Einzelhandelsflächen. Was bislang feststeht: Pizzeria, Biergarten und Klub der Republik (KDR) werden während der Sanierung ab 2018 in kleiner Form bis September weiterlaufen. Und dann? „Shani will auch in Zukunft Gastro und Biergarten auf dem Gelände haben“, sagt Rath. Aber wo, sei noch nicht klar. Es könne auch sein, dass der Biergarten auf die andere Seite des Zollhauses zieht.
„Wir möchten die Gastro gern weiterbetreiben“, so Rath. „Aber das kommt auf die Konditionen an.“ Mieten wie bislang – da sieht Rath schwarz. Momentan zahlen die Untermieter der WBB zwischen drei und acht Euro pro Quadratmeter – Traumpreise. „Das wird nicht zu halten sein“, vermutet Rath. Doch er gibt nicht auf. „Wir sprechen oft mit dem neuen Eigentümer und versuchen ihm klarzumachen, dass auch für ihn eine soziale Mischung auf dem Gelände von Vorteil sein wird. Und er ist nicht völlig abgeneigt.“ So ist es gut möglich, dass die WBB-Betreiber auch in Zukunft die Remisen – die beiden flacheren Bauten auf der Eschengraben-Seite – von Shani anmieten und untervermieten werden.
Allerdings spiele Shani auch mit dem Gedanken, den vorderen, nicht denkmalgeschützten Teil der Remisen abzureißen sowie einen Neubau in die Flucht vor dem Zugang Nummer 79 zu setzen – das würde den Abriss des Trafohäuschens betreffen, in dem der Klub der Republik eine Barfläche betreibt. Die Clubflächen im Brauhausriegel indes werden wohl gänzlich wegfallen. Bitter wäre das für den Club, der erst vor fünf Jahren einem Hotelbau in der Pappelallee weichen musste und hier im vergangenen Jahr eine neue Heimat fand. Unklar bleibt aber, ob eine Verdichtung wirklich stattfinden wird.
Gegen letztere sowie gegen Wohnungen auf dem Gelände spricht sich auch das Bezirksamt aus, so beschloss es die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) auf ihrer letzten Sitzung auf einen Antrag von SPD, Grünen und Linken hin – dafür wolle sich der Bezirk bei Shani einsetzen. Auch im Kulturausschuss bat Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) bei Dirk Rath um eine schriftliche Ausformulierung der Pläne von Betreiberseite – für einen Kontakt mit dem Eigentümer „auf politischer Ebene“. Doch Eigentumswohnungen etwa plant Shani laut eigener Aussage zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht.
Dittmar&Friends zieht nach Weißensee
Nun geht es zunächst einmal um Ersatzflächen für die Künstler. Viele sind schon ausgezogen, hätten Ersatzflächen oder seien im Ausland. „Es gibt Leerstand“, beschreibt Rath dem Ausschuss die Situation, und es klingt unendlich leer. Dittmar&Friends, das Designstudio in der Remise und größter Mieter etwa habe noch keine Ersatzfläche. Dass es für Unternehmer die Möglichkeit der Wirtschaftsförderung gebe, gibt ein Ausschussmitglied zu bedenken. Und überhaupt könne man sich mit dem Atelierprogramm des Senats vernetzen, schlägt Benn vor. Nachgefragt bei Sebastian Dittmer gibt es aber Entwarnung: „Da es keine Alternativen oder Perspektiven für die kreative Gemeinschaft gab, haben wir mit tränendem Auge eine eigene Werkstatt in Weißensee angemietet“, mailt der Chef aus dem Urlaub. Ab November wird das Studio in der Lehderstraße zu finden sein.
Raus müssen sie, das ist den Künstlern klar. Hannah Goldstein wird wehmütig. „Hier lebt noch der alte Berlin-Charme“, beschreibt sie die WBB. „Auf eine Art vergessen. Ein inspirierender, wunderschöner Ort, der nicht versucht, hip zu sein.“ Dann fügt sie resigniert lachend hinzu: „Er ist nicht überrannt von Leuten wie mir, die es aus dem Ausland nach Berlin zieht und die dann hier genau den authentischen Charme kaputtmachen, der sie angezogen hat.“ Sie, die Künstlerin aus Schweden – das personifizierte Klischee. Goldstein vermutet, selbst wenn die WBB irgendwie als Kulturstandort erhalten bleibt: „Es wird eine zweite Kulturbrauerei werden.“ Alles glatt gemacht. Kein Ort, wo man kreativ sein könne. Sie selbst hat noch keinen Ersatzstandort gefunden, doch sie macht sich nicht verrückt, nun ist sie erst einmal in Babypause. Und auch Dirk Rath betont: Noch steht nichts fest. „Am Ende entscheidet der Bauherr, was wo reinkommt.“
Am 17. Dezember schließen die Türen des Brauereiriegels. Davor feiert die WBB 48 Stunden Artfestival. Infos hier: http://lostberlin.de/
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