Wohnungslosen ein Obdach zu geben ist Sache des Bezirks. Die Einrichtungen in Prenzlauer Berg werden privat betrieben, der Bezirk vergütet pro Nacht und Person. Ein wirksames Kontrollsystem gibt es nicht.
„Alles unzulässig, dagegen kannst du klagen.“ Rüdiger Pemmerl beruhigt Jochen, der um kurz nach 18 Uhr ins Betreuungszimmer der Notunterkunft in der Storkower Straße 139 schneit, mit einer Mappe voller Unterlagen, Schriebe und Belege unter seinem Arm. Jochen wurde vor rund drei Monaten aus seiner Wohnung geworfen, weil der Vermieter seinen Untermietvertrag nicht anerkennt, den er mit seinem Mitbewohner geschlossen hat. „Dein WG-Genosse hätte zwar dem Vermieter Bescheid geben müssen, aber das ist nicht Deine Pflicht“, erklärt ihm Pemmerl.
Der gebürtige Heilbronner kennt sich inzwischen gut aus im Mietrecht. Dabei hilft er erst seit November letzten Jahres ehrenamtlich in der Notunterkunft aus. „Ich habe zuvor auch schon die andere Seite dieses Tisches erlebt“, betont der Arbeitslose, der gerade eine Weiterbildung zum Pflegehelfer und Betreuungsassistenten absolviert. „Ich war von Juli bis Oktober 2016 selbst obdachlos.“
Kein Bezirk weiß genau, wie viele Menschen gerade in einer Obdachlosenunterkunft wohnen
Pemmerl hat in dieser Zeit alle Arten der Obdachlosigkeit erlebt. Er hat auf der Straße geschlafen, ist zwischendurch in Notunterkünften wie der besagten von mob e.V. in der Storkower Straße untergekommen und hat auch schon in Heimen gewohnt, die vom Bezirk nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) bereitgestellt werden müssen. „Dort war ich zum Glück nur ganz kurz, ungefähr vier Wochen“, so Pemmerl „mir hat auch jeder davon abgeraten, dort länger zu wohnen.“
In Prenzlauer Berg gibt es zwei solcher ASOG-Unterkünfte. Eine in der Norweger Straße 5 mit aktuell 17 untergebrachten Pankower Wohnungslosen und eine in der Storkower Straße 114 mit 89 untergebrachten Bewohnern. Da in den Heimen auch immer noch Obdachlose aus anderen Bezirken wohnen, können dort aber durchaus noch mehr Menschen untergebracht sein.
Beiden Unterkünften gemein ist, dass sie von so genannten privaten Trägern betrieben werden. Sie bekommen für die Unterbringung der Wohnungslosen einen Tagessatz vom Bezirksamt, der in Pankow zwischen 13,20 und 25 Euro liegt – für einen Platz in einem Doppelzimmer. Die Tagessätze hängen unter anderem vom Aufwand ab, der für die einzelnen Personen veranschlagt wird. Für Familien oder Menschen mit psychischen Krankheiten bekommt der Betreiber demnach höhere Tagessätze.
Keine Betreuung durch Sozialarbeiter
Das Problem: In der Regel findet dort kaum Betreuung statt. „Die Zustände dort sind katastrophal“, sagt Mara Fischer von mob e.V. „meist gibt es überhaupt keine Sozialarbeiter vor Ort“. Laut Fischer kommt es in den Heimen oft zu Konflikten unter den Bewohnern. In solchen Fällen ist dann keiner vor Ort.
Fischer bekommt vor allem die Situation in der Unterkunft mit, die schräg gegenüber in der Storkower Straße 114 vorherrscht. „Wir hatten schon Fälle“, so die Leiterin der Notunterkunft „da sind Leute zu uns gekommen, weil sie drüben einfach aus ihrem Zimmer geflogen sind. Ohne Vorwarnung“.
Von Seiten der Abas Soziales Wohnen u. Verwaltungs GmbH, die diese Unterkunft betreibt, weist man jegliche Vorwürfe dieser Art zurück. Man bringe die Wohnungslosen „natürlich adäquat unter und betreue sie nach ihren Bedürfnissen“, so eine Sprecherin.
Der Bezirk hat keine Kontrolle
Dem Bezirk ist die unbefriedigende Situation in den Unterkünften schon seit längerem bekannt. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode, Ende 2015, initiierte die damals noch in der Bezirksverordnetenversammlung vertretene Piratenpartei einen Beschluss, um die Situation in den ASOG-Einrichtungen zu verbessern. Unter anderem sollten unangekündigte Kontrollen gemacht werden. Die Termine werden jedoch immer noch mit den Betreibern abgesprochen, laut Bezirksstadträtin Rona Tietje (SPD) aufgrund der „angespannten Personalressourcen“.
„Bei den meisten Einrichtungen in Pankow wird ohnehin kaum kontrolliert“, sagt Jan Schrecker von der Piratenpartei. „Der Bezirk nimmt seine Fachaufsicht überhaupt nicht wahr.“ Stadträtin Tietje räumt ein, dass die Situation derzeit nicht befriedigend ist. „Momentan können wir uns darum aber nicht kümmern, wir müssen erst einmal die Leute von der Straße holen“, so Tietje.
„Betreibern ist es egal, wie es Bewohnern geht“
Robert Veltmann von der Kältehilfe Berlin sieht die Ursache des Problems in den vergangenen zehn Jahren, in denen es systematisch verpennt worden sei, Wohnungen zu bauen. „Nun müssen die Bezirke auf einmal alles nehmen, was sie bekommen können.“ Dabei sind zwei Drittel aller privaten Träger gewerblich und arbeiteten demnach profitorientiert. „Die wollen natürlich Geld damit verdienen“, führt Veltmann aus „denen ist es egal, wie es den Bewohnern geht.“
Zumindest für Rüdiger Pemmerl hat alles vorerst ein gutes Ende genommen. Nach seiner kurzen Zeit in der ASOG-Unterkunft hat er ein WG-Zimmer in Friedrichshain bekommen. „Mit meiner Weiterbildung und der neuen Wohnung habe ich mehr erreicht, als ich vorher für möglich gehalten habe.“
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