Siegfried Zoels war nach 1990 Stadtrat in Prenzlauer Berg, Fan der Hausbesetzerszene und hat sich lebenslang ehrenamtlich engagiert. Dafür wurde ihm jetzt die Pankower Bezirksmedaille verliehen. Ein Gespräch über die Sehnsucht nach Veränderung.
INTERVIEW vom 6. Mai 2015:
Zeitzeuge Siegfried Zoels meint: Ob eine Region lebt oder tot ist, erkennt man am besten an der Lokalpolitik. Nach den Kommunalwahlen 1990 – den ersten freien in der DDR – wurde er für zwei Jahre Bezirksstadtrat für Familie, Jugend und Sport in Prenzlauer Berg.
Bezirkspolitiker gedachten 2015 des Tages des kommunalen Aufbruchs vor 25 Jahren mit einer Feierstunde. Zoels war damals beim Neuen Forum, 49 Jahre alt und Fan der Hausbesetzer-Szene. Heute erzählt er, warum Kreuzberg für die Politiker ein Vorbild für Prenzlauer Berg war und was sich verändert hat.
Sie haben sich 1990 für das Bündnis Prenzlauer Berg zur Wahl gestellt, das anschließend mit der SPD koaliert hat. Wie haben Sie die Kommunalwahlen erlebt?
Siegfried Zoels: „Ich wohnte zwanzig Jahre lang in der Kastanienallee/Oderberger Straße und die Schule unserer Kinder war das Wahllokal. Das ist heute das Sprachenzentrum. Da sind wir voller Erwartung und Hoffnung hingegangen. Gerade das Regionale hatte ja auch eine große Bedeutung gegenüber der Volkskammerwahl, die einige Wochen vorher war. Die Leute erwarteten wirklich, dass sich in der Region etwas veränderte. Das Besondere dieser Zeit war auch, dass wirklich alle motiviert waren. Und viele der negativen Dinge – Arbeitslosigkeit zum Beispiel – waren noch nicht fassbar und sichtbar.“
Was erwarteten die Menschen?
Zoels: „Die Erwartungen waren groß: Jetzt können wir selbst mitbestimmen, jetzt können wir selbst aktiv werden. Es ging nicht um Parteipolitik. Das interessierte eigentlich weniger. Stattdessen ging es darum: Wie können wir unseren Stadtbezirk entwickeln? Wie können wir unsere Umgebung entwicklen? Wie können wir hier demokratische Strukturen aufbauen?“
Was sollte sich ändern?
Zoels: „Vieles. Es gab so viele Konzepte, die vorher auch beim Runden Tisch diskutiert worden waren. Und wir die Bezirksverordneten und das Bezirksamt hatten dann die Chance, diese Konzepte Schritt für Schritt umzusetzen. Wir konnten so viele Dinge aufbauen.“
Und zwar? Sie wurden nach den Wahlen Bezirksstadtrat für Familie, Jugend und Sport. Welche Veränderungen haben Sie bewirkt?
Zoels: „Wenn man sich zum Beispiel heute umguckt und den Stadtteil mit Bildern von früher vergleicht: Heute ist Prenzlauer Berg grün. Viele Straßen wurden begrünt, Grünanlagen wurden angelegt. Wir haben uns immer etwas nach Kreuzberg gerichtet, denn Kreuzberg hatte damals eine ähnliche Struktur und vor allem ähnlich viele Einwohner wie Prenzlauer Berg. Und da gab es die Formel, wie viel Grünfläche und wie viel Spielplatz pro Einwohner zu berechnen. Da waren wir im Stadtbezirk Prenzlauer Berg natürlich weit unter der Norm.“
Also Bäume und Parks wurden angelegt. Was ist aus den Spielplätzen geworden?
Zoels: „Wir haben den Antrag eingebracht, dass alle im Krieg ausgebombten Flächen, die überall vorhanden waren, zu Spielplätzen erklärt werden sollten. Die Hälfte dieser Flächen sind tatsächlich Spielplätze geworden.“
Sie sind erklärtermaßen Fan der Hausbesetzer, die damals in die leerstehenden Häuser gezogen sind. Warum?
Zoels: „Das stimmt. Wir hatten 64 leerstehende Häuser im Bezirk. Und waren froh, dass Leute – entweder Studenten oder Menschen, die keine Wohnung hatten – in diese Wohnungen mit den schlechten Wohnbedingungen eingezogen sind und sie erhalten haben. Dass sie bewohnt waren und nicht weiter verfallen sind. Wir haben es letztlich geschafft, dass wir im Januar 1991 bei einem großen Teil der Häuser Verträge mit den Wohnungsverwaltungen erwirken konnten. Die Hälfte dieser besetzten Häuser sind heute noch in Hand von Mietergenossenschaften. Das war ein Riesen-Erfolg. Und ich bin auch immer noch stolz, dass wir darauf hingewirkt haben, dass das hier in Prenzlauer Berg friedlich verläuft.“
Das klingt selbstbewusst. Worauf sind Sie noch stolz?
Zoels: „Wir haben die Mitarbeiter der Kindertagesstätten motiviert, eigene Konzepte zu entwickeln. Immer unter dem Gesichtspunkt, dass wir keine Trennung mehr haben wollten zwischen der Krippe mit Null- bis Dreijährigen und dann dem Kindergarten mit Drei- bis Sechsjährigen. Jede Kita sollte sich überlegen, wie sie diese Altersdurchmischung verwirklichen will. Es ist etwas Neues entstanden.“
Inwieweit hat das Prenzlauer Berg aus Ihrer Sicht verändert?
Zoels: „Einen wichtigen Punkt muss ich noch einschieben: Auch wenn wir da keine Verantwortung hatten, war prägend, dass den Hausbesitzern gestattet wurde, ohne Mietpreisbindung die Dachgeschosse auszubauen. Dadurch kam auf einmal eine ganz andere Klientel nach Prenzlauer Berg. Also, die Leute, die ein bisschen mehr Geld hatten.
Das alles zusammen hat dazu geführt, dass Prenzlauer Berg wirklich attraktiv und familienfreundlich wurde. Dinge, die man brauchte, waren da. Wir haben in der ersten Stadtbezirksversammlung da etwas voran gebracht, was bis heute noch sichtbar ist und nachwirkt.“
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