„Wir fordern nur unser Recht ein“

von Constanze Nauhaus 21. Dezember 2016

In der Knaackstraße brachten Mieter die landeseigene Gewobag dazu, auf eine geplante Fassadendämmung zu verzichten und verhinderten so horrende Mieterhöhungen. Chronologie einer Erfolgsgeschichte in Prenzlauer Berg.

Nanu, was macht denn das Gerüst vor Nummer 62? Achso, da werden nur die Schornsteinköpfe erneuert, also keine Panik. Davon hatten die Mieter der Knaackstraße 60 bis 68 in den vergangenen Monaten schließlich genug, aber sie hat sich gelohnt. Durch Protest brachten die Bewohner die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Gewobag dazu, von einer geplanten Fassadendämmung abzusehen und einen Antrag auf Befreiung der Dämmpflicht zu stellen. Diesem ist stattgegeben worden, in der BVV-Sitzung am vergangenen Mittwoch stand das endgültig auf der Tagesordnung. „Wir haben schnell reagiert und als Truppe immer zusammengehalten, das war unser Erfolg“, freut sich Mieterin Mckinley Black.

In den grauen Neubauten aus den Fünfziger Jahren formierte sich Protest, nachdem die landeseigene Gewobag den Bewohnern der 85 Wohnungen im Januar eine Modernisierungsankündigung schickte. Zentralheizung, Badmodernisierung, so weit, so nachvollziehbar. Stein des Anstosses: die geplante Fassadendämmung, eine Maßnahme, um die ohnehin ein Glaubenskrieg herrscht. CO2-Einsparung versus Mietexplosion, letztere hätte auch den Knaackstraßenbewohnern gedroht.

Für eine Million Euro wollte die Gewobag gute 4.000 Quadratmeter Fassade dämmen, was Mieterhöhungen um die 80 Prozent zur Folge gehabt hätte. Die Bewohner zogen sowohl die Kosten als auch die angegebene Fläche in Zweifel und forderten von der Gewobag ein Schadenskataster an. „In diesem war die Fassadenfläche deutlich geringer“, sagt Mckinley Black. Damit eine Pflicht zur Dämmung laut Energieeinsparverordnung (EnEV) besteht, müssten mindestens zehn Prozent der Fassade beschädigt sein, ergänzt ein Nachbar. Allerdings zusammenhängend. Die Gewobag habe stattdessen verschiedene Fassadenteile „zusammengerechnet“ und im Schadenskataster Stellen an der Rückfassade angegeben, die gar nicht beschädigt seien.

 

Die Mieter sind misstrauisch

 

Aus vielen Mietern, die sich an diesem Tag in Doreen D’orvilles Wohnung versammelt haben, um ihre Erfolgsgeschichte zu erzählen, spricht Misstrauen gegenüber der Gewobag. Als „unseriös und bedrohlich“ empfanden viele die Kommunikation des Unternehmens. Es fallen Wörter wie Schönrechnen, Einschüchterung und Respektlosigkeit. Einige Bewohner sind nach der Ankündigung im Januar aus Angst ausgezogen. „Das ist doch Kalkül“, sagt D’orville. „Man lässt bewusst solch eine Bombe fallen und setzt darauf, dass viele ausziehen.“ Doch die verbleibende Mieterschaft blieb nicht lange untätig. Mckinley Black rief mittels Aushang zu einem Treffen auf, um sich auszutauschen und zu beraten. „Der Hausmeister entfernte den Zettel, übergab ihn der Gewobag und die riefen mich an: Was soll das?“, erzählt sie und muss ein bisschen schmunzeln. Dass sich ein landeseigenes Wohnungsunternehmen  aufführt wie ein Privatinvestor, das kann hier keiner so recht fassen. In Einzelkontakten habe die Gewobag sich teils genervt und respektlos verhalten, sagt D’orville. „Wir sind keine Modernisierungsgegner. Aber es muss in einem angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnis stehen.“

Die Mieter holten sich Hilfe bei verschiedenen Institutionen, beim Berliner Mieterverein ebenso wie bei Rechtsanwälten und Politikern. Mckinley Black erstellte eine große Exceltabelle, in der sie alle Wohnungen mit Fläche, aktueller Miethöhe und nach der Modernisierung zu erwartender Mieterhöhung auflistete. Der Gewobag mit politischer Unterstützung vorgelegt, ruderte diese zurück und soll von einem „Fehler“ gesprochen haben, so Black. Überhaupt habe das selbstbewusste Auftreten der Mieter die Gewobag sichtlich überrascht und verunsichert. „Wir sind in deren Büro marschiert, in Gruppe und mit Vollmachten der nicht Anwesenden. Die hätten nicht gedacht, dass die ganzen Leute dieser komischen Häuser wirklich zusammenrücken würden.“ Unterstützung habe man auch vom Netzwerk Pankower Mieterprotest erfahren, das auch gegen die ebenfalls kommunale Gesobau aktiv ist. „Wir sind auf ihrer Welle gesurft und haben das Ufer erreicht“, sagt Black. „Wir sind jetzt deren Vorzeigemieterprotest.“

 

Unterstützung aus dem Bundestag

 

Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup aus Prenzlauer Berg hat sich laut der Knaackstraßenbewohner für die von Verdrängung bedrohten Mieter eingesetzt, und das nicht zum ersten Mal. Gemeinsam mit Michail Nelken von der Linken habe er bei der Gewobag kräftig auf den Tisch gehauen. Er selbt wiegelt bescheiden ab: „Der Erfolg hat viele Väter und Mütter.“ Die ganze Sache sei unglücklich gelaufen, sagt der Bundestagsabgeordnete diplomatisch. Der Vorstand der Gewobag habe aber eine vernünftige Kehrtwende gemacht.

Mit der Verkündung von Erfolg ist Mindrup vorsichtig. „Erfolgreich war der Protest dann, wenn die Maßnahmen abgeschlossen sind, kein Mieter verdrängt wurde und sich alle Bewohner die Miete dauerhaft leisten können. Keine Sekunde vorher.“ Ob eine Verdrängung durch den überstürzten Auszug einiger Mieter nicht bereits stattgefunden habe? „Sowas sollte nicht wieder vorkommen.“

Geärgert haben sich die Mieter allerdings über eine Institution, von der sie sich mehr Unterstützung erhofften: Dem Berliner Mieterverein. „Stillhalten und Dulden, so lautete die Empfehlung“, berichtet Black. Geschäftsführer Reiner Wild kann die Enttäuschung teilweise nachvollziehen. „Da sind die Juristen manchmal etwas defensiv“, sagt er. „Aber wir müssen die Leute auf ihre rechtlichen Ansprüche hinweisen.“ Niemand habe damit gerechnet, dass der Vermieter von sich aus einen Befreiungsantrag von der Dämmpflicht stellt. „Mir ist bis heute nicht klar, warum das durchgeht“, sagt Wild. Denn die EnEV kenne keine sozialen Gründe, sondern lediglich bausachenbezogene. „Darauf sind unsere Rechtsberater einfach nicht gekommen.“

 

 Diesen Brief über die geplanten Maßnahmen haben die Anwohner Mitte Dezember von der Mieterberatung erhalten.

 

Die Gewobag selbst äußert sich naturgemäß vorsichtig. „Nach diversen Gesprächen haben wir uns im Nachgang dazu entschieden, einen Befreiungsantrag gemäß EnEV zu stellen. Auf die Fassadendämmung wird nun verzichtet“, so Sprecherin Josiette Honnef. Und um wieviel die Mieten nun steigen werden, sei noch unklar. „Die sich nunmehr ergebende Modernisierungsumlage ist noch nicht final berechnet.“

 

Noch viele Fragen offen

 

Die Fassadendämmung ist seit Oktober abgewendet, so viel ist sicher. Doch sorgenfrei leben die meisten Knaackstraßenbewohner trotzdem nicht. Eine aktualisierte Modernisierungsankündigung mit Terminen haben sie noch nicht erhalten, lediglich eine Benachrichtigung der Mieterberatung zu den geplanten Maßnahmen (siehe obige Abbildung). Blacks Nachbar Simon macht sich Sorgen um die Lärmbelastung, weil eine jetzige Durchfahrt zum Blockheizkraftwerk umgebaut werden soll. Und die 74-jährige Christa hofft während der Arbeiten auf eine Umsetzwohnung. Die seien momentan aber sehr knapp. Immerhin: die Dämmung der Kellerdecke hat die Gewobag aus dem Forderungskatalog der Mieter übernommen.

„Wir erwarten von der Gewobag eine Mieterversammlung, ein Sozialplanverfahren und erst dann eine Modernisierungsankündigung“, sagt Black. Zumindest der ersten Forderung wird die Gewobag nachkommen, und zwar im ersten Quartal 2017, wie Sprecherin Honnef mitteilte. Selbstverständlich sei man bemüht, mit allen Mietern einvernehmliche Lösungen im Sinne einer sozialverträglichen Sanierung zu finden. Mehr als glauben können die Mieter das zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht. „Wir wünschen uns eine faire Behandlung, Kommunikation und transparentes Handeln“, sagt Doreen D’orville. „Wir fordern nur unser Recht ein.“

 

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