Jetzt auch mit Oberstufe. UPDATE Lobeshymne von ganz oben und künftig auch noch mit Oberstufe – die Humboldt-Gemeinschaftsschule ist bei Prenzlauer Bergern beliebt. Das System hat aber auch Tücken. Ein Besuch.
UPDATE vom 1. Juni 2016:
Zum neuen Schuljahr 2016/17 geht es los mit einer gemeinsamen Oberstufe von Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule und Elinor-Ostrom-Schule. Das teilte uns die Schulleiterin (komm.) Judith Bauch mit. „Unsere SchülerInnen können ihren Schwerpunkt in der Allgemeinbildung oder in beruflichen Profilen setzen und haben die Möglichkeit alle Profile in der elften Klasse auszuprobieren“, schreibt sie.
Als Profile im Angebot gibt es demnach:
Weltenbummler (Deutsch, Fremdsprache, Biologie, Geografie)
Zurück in die Zukunft (Wirtschaft, Fremdsprache, Geschichte, Physik)
Die Welt designen (Wirtschaftsinformatik, Deutsch, Politikwissenschaft, Bildende Kunst)
StartUp (Wirtschaft, Deutsch, Mathematik, Fremdsprache)
(ane)
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ARTIKEL vom 9. März 2016:
Es ist eines dieser typischen alten Berliner Schulgebäude: hohe Decken, große Treppenhäuser, praktische Linoleum-Böden, ein Durcheinander von Bildern an den Wänden. Alles in allem etwas abgenutzt und weit entfernt von schick.
Aber das, was in den Klassenräumen und Fluren der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule geschieht, ist weniger typisch. Seit sieben Jahren wird hier Frontalunterricht weitgehend durch Gruppenprojekte ersetzt, die Schüler kennen keinen klassischen Klassenverband und duzen ihre Lehrer. Und das klappt angeblich so gut, dass dafür der Senat seine berlinweite Spitzennote im Schulinspektionsbericht springen ließ. Einige Monate später hat er dann auch noch Tabula rasa gemacht und der Schulleiterin kurz vor den Winterferien aus heiterem Himmel mitgeteilt, dass es künftig eine Oberstufe geben kann. Große Freude, denn dafür hatten Eltern und Schüler gekämpft.
Pusteblumen und Sternschnuppen statt 1A und 2C
Diese Entwicklung wirft Fragen auf. Was steckt hinter dem offenbar so erfolgreichem Lernen? Und wie wird die Zukunft mit der neuen Oberstufe aussehen? Ein Schulbesuch in den heiligen Hallen im Humannkiez soll sie klären.
Es ist der so genannte Humboldt-Tag, ein Vorzeigetag der Vorzeigeschule, an dem Schüler ihren Mitschülern die Halbjahresergebnisse ihrer Projekte vorstellen – über Fächer- und Jahrgangsgrenzen hinweg. Das, was in Ansätzen an anderen Schulen Eltern und Lehrer die Haare raufen lässt – nämlich eben jenes jahrgangs- und fachübergreifende Lernen – ist der Kern des Konzepts an der Humboldt-Gemeinschaftsschule.
Die Vorsitzende der Gesamtelternvertretung, Carola Ehrlich-Cypra, eine engagierte Mutter mit buntem Strickschal, führt über das Gelände. Über kaum enden wollende Treppen geht es nach oben in die Flure der Kleinsten – Erst- bis Drittklässler lernen hier zusammen in Gruppen. Sie heißen nicht 1A und 2C, sondern Pusteblumen und Sternschnuppen.
Südkorea, Zeitzeugen und Tsunamis fächerübergreifend
An einer Wand hängen Bögen mit getuschten Schriftzeichen. „Das ist von unserem Südkorea-Projekt“, erklären zwei Mädchen mit langen blonden Haaren. „Da haben wir unsere Namen auf südkoreanisch geschrieben.“ In einer anderen Ecke des Flurs erzählen Pablo und Milla, sieben Jahre alt, von dem „Zeitzeugen-Projekt“ der Schule. Kinder anderer Lerngruppen stehen vor ihnen und lauschen. Milla deutet auf ein schwarz-weißes Klassenfoto: „Das sind wir, haben wir nachgestellt. Wie früher.“ Pablo zieht einen Holzgegenstand hervor. „Früher haben die kleineren mit Holzfedern geschrieben, und die größeren mit Stahlfedern.“
Bei dem Zeitzeugen-Projekt sind Erwachsene unterschiedlichen Alters in ihre ehemalige Schule gekommen und haben den Kindern von ihrer Schulzeit berichtet. „Das Lernen läuft hier sehr projektorientiert ab“, erklärt Ehrlich-Cypra. „Die Kinder suchen sich, was sie interessiert.“ Es gehe immer um Partizipation und gegenseitigen Austausch.
Ihre Tochter, acht Jahre alt, habe sich zum Beispiel brennend für Tsunamis interessiert – mit dem Ergebnis, dass „Tsunami“ eines der ersten Worte war, das sie lesen konnte.
Den Unterschied machen die Selbstständigkeit und die Gemeinschaft
In den Stockwerken tiefer sitzen die älteren Schüler. In der Lerngruppe Apollo – bestehend aus den Klassen sieben, acht und neun – liest eine Schülerin vor. Auffallend flüssig und mit Gefühl. Sie hat einen Vorlesewettbewerb gewonnen.
Klassenraum-Szene in der Humboldt-Schule.
Dann hat die Elternsprecherin Ehrlich-Cypra ein Treffen mit den drei Schulsprechern organisiert. Lena ist 13, Laura und Kolja sind 14 Jahre alt und – natürlich – Fans ihrer Schule.
Was macht den Unterschied zu anderen Schulen aus, wenn sie vergleichen, was Freunde aus ihrem Schulalltag erzählen? „Ich kann hier selbstständiger lernen, ganz nach meinem Tempo“, sagt Laura. „Und ich habe das Gefühl, wir haben weniger Stress und eine bessere Beziehung zu den Lehrern.“ „Wir gehen aufeinander zu und kennen die Stärken der Anderen“, meint Kolja. „Ich konnte hier Stoff nachholen, den ich verpasst hatte – das ist sonst nicht so einfach“, meint Lena. Es fallen ziemlich oft Begriffe wie soziale Kompetenz, Projektarbeit, Motivation, Herausforderungen.
Klar wird aber auch: Die Harmonie hat auch Tücken. Jüngere lernen nicht immer nur Gutes von den nicht immer vorbildhaften Älteren. Schimpfwörter und Raufen zum Beispiel. Außerdem braucht jemand, der diese Art der Schule besucht, ein großes Maß an Disziplin und Motivation. Nur so kann er sich wie die anderen Schüler an Plänen und Lernziel-Checklisten entlang hangeln. Das kann dann aber den überfordern, der direkte Anweisungen und kleine Aufgaben lieber hat oder gewohnt ist.
Modellversuch mit Oberstufenzentrum – „sonst so nicht in Berlin“
Letzte Station: Das Büro der Schulleiterin Gabriela Anders-Neufang. Es warte ein Junge zum Schülergespräch, deshalb sei nicht so viel Zeit. Vorbei an der Sekretärin, hinein in ihr Büro auf ein Sofa. Anders-Neufang ist sichtbar stolz auf das, was sie schon erreicht hat mit ihrer Schule. Vermutlich geht vieles davon auf ihr Konto. Die Oberstufe war ein großes Ziel.„Im Modellversuch mit dem Oberstufenzentrum Elinor-Ostrom können unsere Schüler auch ihr Fachabitur oder eine duale Ausbildung abschließen oder ihren Mittleren Schulabschluss noch mal machen.“
Es geht also nicht nur um das allgemeine Abitur. „So gibt es das sonst nicht in Berlin“, sagt Anders-Neufang. Weitere Räume dafür werde es künftig – vermutlich mit Start im Jahr 2016 – in der Driesener Straße am Arnimplatz geben. Campus-Feeling für die Schüler? „Genau“, sagt die Schulleiterin und lacht.
Rund 70 Schüler kann die Schule jedes Jahr neu in die ersten Klassen aufnehmen. „Wir haben doppelt so viele Anmeldungen wie Plätze. Und einen Ordner voll von Quereinsteigern. Das spricht ja für sich.“ Sorgen um den Nachwuchs hat die Schulleiterin also nicht. Dennoch schwingen Bedenken mit: „Ich würde mir wünschen, dass unser Schul-Konzept flächendeckend normal ist“, sagt sie. Noch hänge es davon ab, wie lange es politisch gewollt sei.
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