Immer auf dem Sprung

von Dominique Roth 22. April 2016

Lena Hentschel ist die Nachwuchshoffnung des Berliner TSC. Während Gleichaltrige das Feiern entdecken, trainiert die 15jährige Wasserspringerin 60 Stunden in der Woche. Ein Besuch am Beckenrand.

Es sind die kleinen Auszeiten, die durchblicken lassen, dass hier ein Teenager trainiert. Als Lena Hentschel zum Beispiel zusammen mit ihren sechs Kameradinnen die Schwimm- und Sprunghalle des Europasportparks (SSE) betritt, flachsen sie miteinander am Beckenrand. Schubsen sich ins Wasser, weichen sich aus – Jugendliche eben. Drei, vier Minuten geht das so, dann ist wieder Training.

Hinter den Mädchen liegt schon eine knappe Stunde „anwärmen“, wie Lena es nennt. Direkt neben der Sprunghalle, im gleichen Gebäudetrakt des SSE, hüpfte sie auf Trampolins, machte Dehn- und Kraftübungen und sprang zum Abschluss ein paar Mal von einem der drei Sprungbretter in die mit Schaumstoffteilchen gefüllte Schnitzelgrube.

Es ist einer dieser Tage, an denen nicht alles von Anfang an gelingt. Als Lena sich nach den ersten Aufwärmsprüngen im Sprungbecken das erste Mal an einen zweieihalbfachen Rückwärtssalto wagt, wird sie mit der Drehung nicht ganz fertig. Es ist kein Rückenplatscher, aber das Wasser spritzt doch arg. Davon unbeeindruckt, erklimmt Lena wieder die Treppe zum Dreimeter-Sprungbrett. „Klar sind die Trainingseinheiten oft schwer und manchmal denkt man: den Sprung bekomme ich nicht auf die Reihe“, resümiert die 15jährige Berlinerin. „Da braucht man auf jeden Fall Disziplin und Ausdauer.“ Aber nicht heute, im dritten Anlauf, taucht sie kerzengerade ins Wasser.

 

Sieht Teamkameraden häufiger als Eltern

 

Lena, dunkelblonde lange Haare, blasse Haut, kompakter Körper, geht in die neunte Klasse der Sportschule in Hohenschönhausen. Dennoch wirkt sie, als wäre die Pubertät nur etwas für Teenies, die sonst gerade nichts besseres in ihrem Leben zu tun haben. „Ich gehe lieber zuerst ins Training, dann in die Schule und komme dann nochmal in die Halle zurück“, sagt sie und schiebt die Erklärung hinterher: „Zur Schule brauche ich eine halbe Stunde länger von zuhause als ins SSE.“

Drei Mal pro Woche ist das der Fall, einen Tag muss sie aber zuerst den langen Weg zur Schule hinter sich bringen, bevor sie wieder springen kann. Eine Trainingseinheit kann bis zu drei Stunden dauern – für Lena sind also, zusammen mit den Wettkämpfen, der Schule und den Hausaufgaben, 60-Stunden-Wochen keine Seltenheit. Ob sie bei all der Arbeit Freizeit und Familie nicht vermisse? „Es ist komisch“, sagt Lena „weil ich glaube, dass ich eine normale Jugend nicht kennenlernen werde.“ Sie sehe folglich ihre Teamkameraden auch häufiger und länger als ihre Eltern. Und nach der Schule nach Hause zu gehen, so sinniert Lena weiter, könne sie sich gar nicht vorstellen. Traurig wirkt sie aber auch in diesen Momenten nicht.

 

Chance auf Olympia 2020 in Tokio

 

Jetzt Videoanalyse und kurzes Feedback von Trainerin Anne-Kathrin Hoffmann. Nach nahezu jedem der rund 20 Sprünge, die Lena pro Einheit absolviert, sieht sie sich noch im Becken sitzend ihren vergangenen Sprung an. Und wenn Hoffmann gerade einem der anderen Springer Tipps gibt, springt ein Assistenztrainer ein. „Wir haben hier optimale Bedingungen im Wasserspringen, vielleicht sogar die besten in Deutschland“, sagt das Mädchen aus Wilhelmsruh.

Im vergangenen Dezember hat Lena bewiesen, dass sie auch international konkurrenzfähig ist. Beim CAMO Invitation-Wettkampf 2015 belegte sie den zweiten Platz vom Drei-Meter-Brett und wurde zudem Vierte vom Ein-Meter-Brett. Zudem hat sie im Februar eine Jury des Landessportbundes, des Olympiastützpunkts sowie der Eliteschulen des Sports zu Berlins Nachwuchssportlerin des Monats gewählt. „Sie hat große Chancen, 2020 in Tokio dabei zu sein“, sagt der Christopher Krähnert. Der Geschäftsführer des Berliner TSC, Lenas Verein und seit Jahrzehnten einer der Vorzeigeclubs im Wasserspringen.

Bis dahin stehen aber in diesem Jahr vor allem die Jugend-Europameisterschaften und danach die Jugend-Weltmeisterschaften an, denen sie ihre volle Konzentration widmet. Aber vielleicht bleibt ja trotzdem noch ein bisschen Zeit für den ein oder anderen Schabernack mit ihren Kameradinnen.

 

Den Platz und die Zeit, um solche Beiträge zu veröffentlichen, haben unsere Autoren nur dank Prenzlauer Bergern wie Euch. Denn die Prenzlauer Berg Nachrichten sind eine komplett werbefreie Online-Zeitung, die allein von ihren Lesern lebt.

Wenn Ihr mehr Debatten, recherchierte Geschichten und Nachrichten aus nächster Nähe haben wollt, setzt ein Zeichen, unterstützt uns und werdet hier Mitglied.

Um uns besser kennen zu lernen, könnt Ihr hier unsere Wochenpost abonnieren (die gibt es in abgespeckter Version nämlich auch für Nicht-Mitglieder). Jeden Freitag bekommt Ihr dann einen kompakten Newsletter mit den Neuigkeiten aus unserem Kiez, inklusive eines freigeschalteten Artikels. Oder folgt uns hier auf Facebook.

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar