Engagiert wie Oskar

von Constanze Nauhaus 21. April 2016

Mehr als nur Senatorengatte: Oskar Lederer aus Prenzlauer Berg ist neben seinem Vollzeitjob auch Bürgerdeputierter. Ein Gespräch über fehlende Bürgerbeteiligung und einen klitzekleinen Promi-Bonus.


Klar, der Nachname sticht schon ins Auge. Und war auch nicht gänzlich unschuld daran, dass wir uns ausgerechnet von Oskar Lederer erklären lassen wollten, was ein Bürgerdeputierter ist. Noch ausschlaggebender allerdings war der Umstand, dass er im für den Bezirk wichtigsten Ausschuss sitzt: Finanzen, Personal und Immobilien. Und, natürlich, dass er in Prenzlauer Berg wohnt. Beim Treffen bestätigt sich: Die Wahl war hervorragend. Ins Café am Arnimplatz kommt ein entspannter Fast-Mittdreissiger, der eher wie ein Endzwanziger aussieht: unaufgeregt, zugewandt, sympathisch. Zurückgegelter Kurzhaarschnitt, Brille mit knallblauem Plastikrahmen, Silberohrringe, ähnlich denen seines prominenten Mannes. Hände schütteln, ich bin Oskar, wollen wir uns duzen, ja, sehr gerne.

Unter dem eleganten Pfeffer-und-Salz-Kurzmantel kommt eine lockere rote Trainingsjacke zum Vorschein, darunter ein blaues Hemd – am Hals ebenso wenig zugeknöpft wie sein Träger: Oskar Lederer, 33 Jahre alt, geboren in Dresden, aufgewachsen in Pankow, seit 2000 wohnt er in Prenzlauer Berg. Bereits mit 16 Jahren ist er der Linken beigetreten, war früh in der Antifa organisiert. Nach seiner Ausbildung zum Verwaltungswirt zunächst sechs Jahre  als Arbeitsvermittler beim Jobcenter tätig, arbeitet nun beim Bundessozialministerium im Bereich Behindertenpolitik. Seit 16 Jahren ist er mit dem jetzigen Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke) zusammen, seit 2009 auch verheiratet. Aber deshalb wollten wir ihn nicht sprechen. Sondern, weil er sich neben seinem Vollzeitjob ehrenamtlich als Bürgerdeputierter im Bezirk engagiert. Was das ist? Das soll er uns am besten selbst erklären.

 

Lieber Oskar, wir starten gleich durch: Was sind Bürgerdeputierte?

Das sind Menschen wie ich, die eine Fraktion auf Kommunalebene ehrenamtlich durch ihre Sachkenntnis bei der Arbeit in den Fachausschüssen unterstützen. In der Linksfraktion haben wir zumindest in den Fraktionssitzungen Stimm- und Sprachrecht, dürfen aber selbst weder Mitglied der BVV noch in derselben Bezirksverwaltung tätig sein. Außerdem entlasten wir die oft sehr kleinen Fraktionen. Meine, die Linksfraktion, zum Beispiel, hat 13 Mitglieder, hat aber in jedem der zwölf Ausschüsse mindestens drei Sitze zu besetzen. Das übernehmen dann zum Teil Bürgerdeputierte, die Bezirksverordneten müssen aber in der Mehrheit sein.

Was unterscheidet dich von einem Bezirksverordneten?

Als Bürgerdeputierter kannst Du dich auf ein Thema, auf einen Ausschuss konzentrieren und musst nicht jedes Mal auch an Fraktions- und BVV-Sitzungen teilnehmen. Als Bezirksverordneter hingegen musst du schon mehr Generalist sein. Man weiß vorher nicht, in welchen Ausschüssen man landet, das ist eine Gemeinschaftsentscheidung der Fraktion. Da muss man dorthin, wo Not am Mann oder der Frau ist.

Heißt das, die Bürgerdeputierten haben mehr Sachkunde als die Bezirksverordneten?

(lacht) Ja, zumindest sollten sie umfangreiche Kenntnisse für den Fachausschuss, für den sie sich entschieden haben, mitbringen. In anderen Bundesländern heißt es deshalb auch „sachkundige Bürger“. Nur bei uns in Berlin, warum auch immer, heißt es Bürgerdeputierter. Die Idee dahinter ist dieselbe: Bürger in die Ausschüsse holen, die Ahnung haben, aufgrund ihrer Lebenserfahrung oder ihres beruflichen Hintergrunds. Gern wird es auch als Vorstufe zum Bezirksverordneten benutzt, sozusagen zur Probe.

Wieso gehören fast alle Bürgerdeputierte einer Partei an, ist das Voraussetzung? Sollten sie nicht besser unabhängig sein?

Ich glaube, der Gesetzgeber hat damals eher an unabhängige Bürger gedacht. Grundsätzlich musst du kein Parteimitglied sein. Du könntest zu einer der BVV-Fraktionen gehen und sagen, ich interessiere mich für Verkehr, und dann könnte diese Fraktion dich in den Verkehrsausschuss entsenden. Die Frage ist aber, wie kommen die Fraktionen an die Bürgerdeputierten. Bezirkspolitik ist leider nicht so im Fokus, selbst politisch interessierte Menschen wissen ja kaum, dass es diese Möglichkeit des Engagements gibt. Deshalb fragen die Parteien meist diejenigen, die sie kennen, ihre Mitglieder. Man könnte das sicher weniger parteiendominiert organisieren, mit einem Bewerbungsaufruf – die Grünen haben Kirchners Nachfolge ja auch öffentlich ausgeschrieben -, aber damit das funktioniert, braucht es eine breite Öffentlichkeitsarbeit. Das könnte man etwa über Social Media versuchen, das fände ich sinnvoll.

 

Fühlst Du selbst dich bei der Arbeit im Ausschuss denn als unabhängiger Bürger oder deiner Partei verpflichtet?

Ich fühle mich meiner Fraktion verpflichtet. Wir wollen unser linkes Wahlprogramm für Pankow umsetzen und wir haben uns als Zählgemeinschaft mit SPD und Grünen inhaltlich einiges vorgenommen. Ich bringe meine Meinung als Bürger ein, aber ich bin auch Parteimitglied. Das kann ich, ehrlich gesagt, im Kopf nicht trennen. Zu Konflikten kam es bislang aber nicht, wir stehen ja auch noch am Anfang. Letztlich entscheidet aber die Mehrheit der Fraktion über unser politisches Handeln. Ich bin gespannt wie es im Ausschuss läuft, bisher konnte ich seit meiner Wahl im Dezember noch an keiner Sitzung teilgenommen.

Apropos Grüne: Die haben im Dezember einen Antrag eingereicht, dass sich Kandidaten künftig vorstellen sollen. Denn bisher werden Bürgerdeputierte quasi durchgewinkt, oder?

Ja, genau. Bisher wird über die Anträge der Fraktionen, bestimmte Menschen als Bürgerdeputierten zu entsenden, meist ohne Aussprache in der BVV entschieden. Da stimmen meist alle mit Ja oder enthalten sich, ohne die Leute zu kennen. Das ist letztlich die Katze im Sack, deshalb finde ich den Vorstoß der Grünen gar nicht schlecht.

Wie bist Du dazu gekommen, dich als Bürgerdeputierter zu engagieren?

Ich bin es ja jetzt das zweite Mal. Von 2006 bis 2011 war ich im Ausschuss für Eingaben und Bürgerbeteiligung aktiv, weil ich, jung und motiviert, dachte, mehr Mitsprache der Bürger organisieren zu können. Das war dann aber doch nicht so möglich, wie von mir gedacht. Das lag ein Stück weit auch an mir selbst. Und natürlich waren wir damals in der Opposition, da verfasst man eben oft auch Anträge für den Papierkorb. Jetzt ist die Situation eine andere, wir stellen den Bezirksbürgermeister und ich wollte mich wieder in meinem Heimatbezirk ehrenamtlich engagieren. So hat mich die Linksfraktion wieder als Bürgerdeputierter, sogar für meinen Wunschausschuss, delegiert.

Für den Ausschuss Finanzen, Personal und Immobilien. Wieso dieser?

Ich möchte, dass Pankow ein liebens- und lebenswerter Bezirk für alle bleibt. Insbesondere die kommunale soziokulturelle Infrastruktur und eine soziale Wohn- und Mietenpolitik ist dafür sehr wichtig. Ich glaube, im Finanzausschuss kann man am meisten steuern, wie das Zusammenleben im Bezirk sozial gerechter und bürgerfreundlicher gestaltet werden kann.  Und auch, was die Bürgerbeteiligung angeht, ist vieles im Argen. Mauerpark, Clubsterben, das sind Beispiele dafür, wie die Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Das wollen wir ändern, aber das kostet Geld. Deshalb gehe ich in den Ausschuss, wo alles zusammenläuft. Außerdem bringe ich berufliche Kenntnisse aus meiner Tätigkeit beim Bundessozialministerium mit, da geht es auch um die Aufstellung und Bewirtschaftung des Haushaltsplans auf Bundesebene. Das unterscheidet sich auf kommunaler Ebene kaum.

Kann man also sagen, dass dein Ausschuss der wichtigste ist? Denn bis auf den Haushaltsplan hat die BVV ja nicht so viel zu beschließen.

Ja, das kann man sagen, aber die Fachausschüsse sind auch wichtig. Zum Glück gibt es neben dem Haushalt auch noch einige andere Themen, für die die BVV zuständig ist. Gerade bereiten wir die Haushaltsaufstellung 2018/2019 vor. Da überlegen sich zuerst die Fachausschüsse, wo sie das Geld ausgeben wollen, dann versuchen wir, die vielen Wunschkonzerte der Fachpolitiker bei dem wenigen Geld, das uns zur Verfügung steht, unter einen Hut zu bringen. Ich denke, das geht nur, wenn wir Schwerpunkte setzen. Denn von dem Geld, was das Land dem Bezirk zuweist, ist der überwiegende Teil schon gebunden für Personal, Immobilien oder Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II und Wohngeld.

Und wo würdest Du diese Schwerpunkte gern setzen?

Meine Schwerpunkte sehe ich in einer sozial gerechten und partizipativen Politik, etwa die kommunale Umsetzung der neuen Wohnungspolitik des Landes, dass wir freie Flächen nicht an den Meistbietenden verhökern. Da wird es sicher Diskussionen geben. Schulen, Kitas, Personal in den Bürgerämtern, das sind alles Baustellen, da muss meiner Meinung nach Geld hin, da haben andere Fraktionen aber sicher andere Vorlieben.

Wo wir schon beim Thema Geld sind: Bekommst Du für dein Ehrenamt eine Aufwandsentschädigung?

(lacht) 20 Euro pro Ausschusssitzung.

So ein Ausschuss ist ja die kleinste hyperlokale politische Einheit. Wie kommst Du in diesem engen Rahmen mit Mitgliedern von dir unsympathischen Parteien klar?

Ich werde mir alle Beiträge anhören und für mich prüfen, wie ich dazu inhaltlich stehe, egal von welcher Partei sie kommen. Wenn ich einen AfD-Antrag inhaltlich richtig finde, kann ich mir durchaus vorstellen, mit Ja zu stimmen. Denn die AfD kann man nur entzaubern, wenn man sie ernst nimmt und aus der Märtyrer-Rolle holt. Ich rechne aber ehrlich gesagt, bei den bisherigen Erfahrungen mit AfD-Fraktionen, nicht mit vielen substanziellen Anträgen.

Ist so ein Ehrenamt zeitlich zu schaffen, wenn man nebenbei voll arbeitet?

Das kommt darauf an, wie ernst man das nimmt. Jeden Montag ist Fraktionssitzung, dann Ausschusssitzung zweimal im Monat und BVV-Sitzung einmal im Monat. Zu denen sollte man ab und an gehen, gerade jetzt, wenn der Haushaltsplan aufgestellt wird. Verpflichtend sind aber nur die Ausschusssitzungen. Plus Vor- und Nachbereitungszeit rechne ich mit etwa fünf bis zehn Stunden pro Monat. Ich hoffe, es wird nicht wesentlich mehr, denn ein bisschen Freizeit wäre auch noch schön.

Hast Du, vor allem seit den letzten Wahlen, durch deinen Mann einen klitzekleinen Promi-Bonus?

Ich hoffe nicht, denn ich will als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen werden und nicht als Anhängsel von Klaus. Aber natürlich weiß ich, dass das so nicht trennbar ist. Ich merke schon, dass manche zu mir kommen, weil ich „der Mann von“ bin. Natürlich hat das auch seine Vorteile, ich komme an Informationen, ich kenne über ihn viele Leute. Aber ich glaube, das war für meine Wahl zum Bürgerdeputierten nicht ausschlaggebend.

Oskar Lederer mit seinem Mann, Kultursenator Klaus Lederer (Linke). (Copyright: Oskar Lederer)

Auch, wenn Du für den Kulturausschuss kandidiert hättest?

Der war sogar mein Zweitwunsch, weil ich dachte, meine Verbindungen zum Land könnten für den Bezirk von Vorteil sein. Aber eigentlich bin ich froh, dass es nun mit dem Finanzausschuss geklappt hat.

Geratet Ihr als Paar auch mal politisch aneinander oder habt Ihr ähnliche Auffassungen?

Natürlich sind wir uns politisch sehr nah, aber wir streiten und diskutieren auch mal leidenschaftlich. Da wir beide politisch sehr eingebunden sind, stehen in unserer gemeinsamen Freizeit aber eher andere Interessen im Vordergrund.

Abschließend: Würdest Du anderen Pankowern empfehlen, sich als Bürgerdeputierte zu engagieren?

Ja, unbedingt! Das ist was für Leute, die sich aktiv im parlamentarischen Verfahren einbringen und im großen Ganzen was bewegen wollen, die Lust haben, Anträge zu formulieren und zu bearbeiten, zu beraten, Reden zu halten, zu diskutieren, zentimeterdicke Haushaltspläne oder Stellungnahmen zu lesen. Und es werden immer händeringend Bewerber gesucht. Bei uns sind zum Beispiel noch Stellvertreter offen.

 

Und, Lust bekommen auf mehr Engagement? Hier könnt Ihr die einzelnen Fraktionen der BVV Pankow kontaktieren.

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