Es ist noch Suppe da

von Kristin Freyer 21. April 2016

ARCHIV zum 25. Geburtstag. Prenzlauer Berg als Edelkiez? In der Suppenküche in der Kuglerstraße sieht man das anders. Die Heilsarmee betreibt das Café Treffpunkt und ist immer gut besucht von Hungrigen und Einsamen.

UPDATE vom 21. April 2016

Die Heilsarmee in der Kuglerstraße im Humannkiez feiert ihren 25. Geburtstag – mit vielen Tellern Erbsensuppe. Zur Zeit der DDR war die Armenspeisung  – mit „Suppe, Seife und Seelenheil“ – verboten. (ane)

 

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ARTIKEL vom 13. Dezember 2011

Erst in einer Viertelstunde wird geöffnet, doch die ersten Hungrigen warten schon. Eine ältere Frau mit Krücken, daneben ein Mann mit einem großen Bundeswehrrucksack. Drinnen in den Fenstern hängen Lichterketten. Endlich, 13 Uhr, geht es los, und jeder weiß genau, was jetzt zu tun ist: Die Wartenden setzen sich an die bereitgestellten Tische, eine Frau bringt jedem Gast einen Teller mit gefüllten Teigtaschen mit Tomatensauce und streicht auf einem Zettel die Namen ab.  

Es ist ein Tag im Advent im Café Treffpunkt, einer Armenspeisung der Heilsarmee in der Kuglerstraße. Auffällig viele Männer sind heute hier zu sehen, fast alle sind sie allein, Gespräche kommen kaum oder nur mühsam in Gang. Auf jedem Tisch steht ein kleiner Weihnachtsbaum, Lichterbögen brennen. Würde man jetzt über den Edelkiez Prenzlauer Berg reden, man würde wohl nicht mehr als ein bitteres Lachen als Reaktion erfahren. 

 

Heilsarmee begleitet auch zum Jobcenter

 

Wieviele arme Menschen es in Prenzlauer Berg gibt, darüber wird keine Statistik geführt. Für den ganzen Bezirk Pankow vermeldet die Arbeitsagentur Berlin Nord knapp 16.000 Arbeitslose im November. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von rund acht Prozent – deutlich unter dem Berliner Durchschnitt von etwa zwölf Prozent. Doch Armut gibt es auch hier.

Die ganz dramatischen Fälle landen im Café der Heilsarmee. Bereits seit 1991 bietet die christliche Freikirche in Prenzlauer Berg eine Armenspeisung an, zu Beginn in der Naugarder Straße, seit 1992 im Café Treffpunkt in der Kuglerstraße. Darüber hinaus bietet sie eine Sozial- und Lebensberatung an. Gäste der Einrichtung können beispielsweise von Sozialarbeitern zum Jobcenter begleitet werden oder sich beim Beantragen von Sozialleistungen helfen lassen. 

 

Keine Gewalt, sagt der Mann mit der Uniform

 

Leiter der Einrichtung und des Heilsarmee-Korps Berlin-Prenzlauer Berg ist Sergeant Siegfried Fischer. Wie alle Mitarbeiter der Heilsarmee trägt er einen militärischen Titel, der verrät, dass er hauptberuflich dort tätig ist. „Unser Café ist eine drogen- und gewaltfreie Einrichtung“, betont Fischer, der eine dunkle Uniform trägt. Unter dem Motto „Suppe, Seife und Seelenheil“ würden in seiner Einrichtung Menschen betreut, die diese Hilfe auch dringend benötigten. „Vielen fällt zu Hause die Decke auf den Kopf; sie können selbst nicht kochen oder haben nicht das Geld dafür. In unserer Einrichtung bekommen sie Wärme, Essen und das Gefühl von Gemeinschaft.“ Fischer nennt das Café Treffpunkt sein Wohnzimmer.  

„Bis Ende dieses Jahres werden wir voraussichtlich mehr als 16.000 Essen ausgegeben haben“, meint Horstpeter Sadin, der seit mehreren Jahren als ehrenamtlicher Helfer in der Einrichtung arbeitet. Im Durchschnitt kommen bis zu 80 Gäste pro Tag, zwei Drittel davon sind Männer. „Vor allem die Einführung von Hartz IV hat sich bemerkbar gemacht“, sagt Sadin. „2004 gab es besonders viele Bedürftige.“  

 

Ein Mitarbeiter zu wenig

 

Neben Hartz-IV-Empfängern kommen auch viele Rentner, Süchtige und psychisch Kranke in die Einrichtung. Jeder Fünfte ist laut Fischer obdachlos. Die meisten Besucher kommen aus Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee, aber auch aus Buch. Momentan hat der Sergeant zwei hauptamtliche und acht ehrenamtliche Mitarbeiter. Er selbst arbeitet nach eigenen Angaben zwischen 60 und 70 Stunden pro Woche und meint, dass er mindestens noch einen festen Mitarbeiter bräuchte. „Doch dafür fehlt uns leider das Geld.“ 

Wie auch andere soziale Einrichtungen bekommt das Café Treffpunkt Zuschüsse vom Bezirksamt. Pro Essen kann die Heilsarmee rund 25 Cent ausgeben. Viel zu wenig, so Fischer. „Ohne Geld- und Lebensmittelspenden von Privatpersonen und eines Berliner Supermarktes wäre es nicht möglich, die Menschen zu versorgen.“ Allein Letzterer beliefert die Einrichtung mit Lebensmitteln im Wert von 8.000 bis 10.000 Euro pro Jahr. Gebracht werden Produkte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum bald abläuft und die im Einzelhandel nicht mehr verkauft werden können. 

 

Ein Highlight: Weihnachten im Hotel

 

Das Café Treffpunkt bietet von Dienstag bis Freitag jeweils mittags und abends eine warme Mahlzeit an, am Freitag gibt es zusätzlich ein Frühstück und Samstag ein Abendessen. Sonntags findet nach dem Gottesdienst um elf zudem ein Kaffeetrinken statt. Grundsätzlich gilt: Zum Essen darf jeder vorbeikommen. Auch ein Nachweis der Bedürftigkeit muss nicht erbracht werden. Obwohl das Essen gratis ist, sind Spenden erwünscht. „Immerhin ist im Hartz-IV-Satz Geld für Essen einberechnet“, so Fischer. „Doch leider gibt es immer wieder Menschen, die unsere Gutmütigkeit ausnutzen.“

Höhepunkt der Adventszeit ist im Treffpunkt, es wundert kaum, der Heiligabend. Und dieses Jahr gibt es ein echtes Highlight. Nachdem das Weihnachtsfest in den vergangenen Jahren immer im Café selbst gefeiert wurde, trifft man sich diesmal im Hotel „Maritim“ in der Friedrichstraße. Insgesamt 140 Besucher werden erwartet, die Kosten für das Fest werden durch das Hotel und Spenden finanziert.

 

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