Wer sind eigentlich die Flüchtlingshelfer in Prenzlauer Berg? Das fragen wir in unserer Serie. Conrad Menzel lässt in seinem Blog die Menschen selbst zu Wort kommen. Wir auch: Hamed aus Afghanistan.
Conrad hat ein großes Spezi bestellt, Hamed einen kleinen Kaffee, schwarz. Beide lächeln als ich mich zu ihnen setze, an einen Tisch in einem Café in der Choriner Straße, abgerockt, aber gemütlich. Wir hätten uns auch in Hameds momentanem Zuhause treffen können, der Sporthalle in der Wichertstraße. Aber Privatsphäre geht vor.
Seit der Texter Conrad Menzel die Geschichte von Hamed aufgeschrieben hat – in seinem Blog „Am Nullpunkt“ – verbindet die Beiden eine Freundschaft. Auf der Webseite berichten Flüchtlinge bebildert mit feinen Strichzeichnungen aus ihrem Leben vor der Flucht.
Bei dem 31-Jährigen stehen da Sätze wie: „Ich bin seit 50 Tagen in Deutschland. Das sind die ersten 50 Tage meines Lebens, an denen ich keine Angst hatte.“
Conrad, wie kamst du auf die Idee, einzelne Flüchtlinge zu porträtieren?
„Die Idee entstand aus einer Form von Hilflosigkeit heraus, als sich die Zahl der geflüchteten Menschen so rapide erhöhte. Ich habe Kontakt zum Unterstützerkreis Straßburger Straße, weil ich in der Choriner Straße wohne. Und ich habe überlegt, was ich mit der wenigen Zeit, die man so hat – weil man Familie hat, weil man arbeiten muss – machen kann. Im Sommer bin ich mit ein paar Kids zu einem Schwimmkurs gegangen. Dann habe ich noch ein paar Tage in der Kleiderkammer geholfen.
Was mir immer mehr aufging: Mich störte das Wort Flüchtling. Sprachlich betrachtet ist die Endung -ling eine Verniedlichung. Aber viel prägnanter ist es, dass der Begriff alle Menschen so über einen Kamm schert. In der Berichterstattung sind sie keine Menschen mehr, sondern Flüchtlinge. Es ist ein Label. Ich hatte das Gefühl, dass es die ganzen Biographien wegwischt. Es wird so viel über Flüchtlinge gesprochen und so wenig mit.“
Und so hast du das Blog „Am Nullpunkt“ gestartet?
Conrad: „Ja, ich bin freiberuflicher Werbetexter. Ich habe mich gefragt: Wie kann ich konkret helfen, mit dem, was ich eben kann?“
Während Conrad redet, starrt Hamed auf seine halb-getrunkene Tasse schwarzen Kaffee. Die Hände im Schoß. Seine graue Mütze nimmt er auch im Café nicht ab. Wie Conrad, der auch seine Schiebermütze trägt.
Entschuldige, dass wir so viel Deutsch sprechen.
Hamed: „Das ist okay. Ich versuche, zu lesen und einige Wörter, die ihr sprecht, verstehe ich schon. Ich wünsche mir eine Zukunft und möchte unbedingt Deutsch lernen. Ich möchte nicht nur sitzen und warten. Ich bin jetzt 31 und ich habe zwei Kinder: Sie sagen, ich soll unbedingt Deutsch lernen. Als Afghane ist es leider schwer, einen Kurs zu bekommen.“
Eine Familie. Zeichnung: Erna Linst Illustration, aus dem Blog „Am Nullpunkt“
Conrad: „Ich wollte zeigen, dass alle Menschen, die hierher kommen, eine Vergangenheit hinter sich haben, die unserer sehr ähnlich ist. Die einen Beruf hatten, eine Familie hatten, ein Häuschen, eine Wohnung, die gleichen Vorstellungen von Glück, egal welcher Religion sie angehören. Also, dass das Fremde gar nicht so fremd ist.
Bei den ersten Porträts funktionierte das ganz gut, bei zwei Syrern. Wenn man mit Menschen aus Afghanistan oder aus dem Irak spricht, wird klar, dass das hier anders ist und dass oft schon das ganze Leben konfrontiert ist mit Gewalt. Aber am Ende ist es auch egal, es geht darum, den Leuten zuzuhören und die Leute sollen erzählen, was sie erzählen möchten.“
Sie wieder zu Individuen werden zu lassen…?
Conrad: „Sie wieder zu Individuen werden zu lassen. Fremd sind Menschen nur solange man sie nicht kennt.“
Hamed zeigt ein Smartphone-Video von seiner Flucht nach Deutschland. Menschen mit Schwimmwesten steigen aus einen kleinen Boot. Bilder, die fast jeder aus den Nachrichten kennt. Dann ist Hamed im Bild und filmt ein Selfie: Er ist erschöpft, aber lacht.
Hameds Leben – so hat es Conrad aufgeschrieben – ist geprägt von Gewalt und dem Gefühl, als minderwertiger Mensch wahrgenommen zu werden. Er wuchs mit dem Geräusch von Krieg auf, wurde bedroht, angefeindet und war Freiwild für Milizen.
Hamed: „Registriert bin ich seit dem 25. November. Manchmal lädt mich eine Ehrenamtliche zu sich nach Hause ein. Dort spielen wir Uno – dieses Kartenspiel kannte ich bisher nicht – und sie bringt mir und den anderen ein bisschen Deutsch bei. Ich fühle mich jetzt besser hier. Wenn ich aufwache, denke ich: Ich bin in einer neuen Welt. Aber was die Politiker machen, weiß ich nicht.“
Hast du von den sexuellen Übergriffen in Köln gehört hat?
„Ich habe es in Facebook gesehen, was in Köln passiert ist und ich glaube, etwas Ähnliches ist auch in Hamburg passiert. Wenn du Moslem bist und bleiben möchtest, musst du die Gesetze von hier achten und du musst die Kultur kennen. Das ist meine Meinung.“
Wie geht es weiter? Wie lange wirst du in der Halle bleiben?
„Ich weiß es nicht, vor zwei Monaten haben sie uns gesagt, dass es für drei Monate sein soll. Wir sind keine faulen Leute, wir sind nicht hier zum Essen und Schlafen. Ich will etwas erreichen. Meine Kinder brauchen mich. Sie wollen gern zu mir kommen.“
Es ist klar: Für Hamed ist eines am allerwichtigsten – Deutsch lernen. Er hat eine App auf seinem Handy. Jene namens „Ankommen“, das unter anderem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge herausgegeben hat.
Conrad: „Es ist nicht so, dass ich mir mein Interview abhole, gehe dann und höre ich nie wieder von den Leuten. Wenn sie irgendwelche Probleme haben, können sie mich anrufen. Wir haben jetzt mit Hamed sehr ambitioniert versucht, Sprachkurse zu finden. Denn Afghanen werden oft keine Sprachkurse angeboten, weil die Bleibeperspektive so schlecht ist. Sie sind dazu verdammt, abzuwarten. Ich für mich finde es schön, wenn ich Leute direkt kennenlerne und wenn man auf einer persönlichen Ebene tut, was man kann und wozu man fähig ist.“
Was hast du aus den Gesprächen mitgenommen in den letzten Wochen?
Conrad: „Das sind keine Geschichten von einer einmonatigen Reise über das Mittelmeer. Am Ende suchen alle bloß einen Platz, um ein bisschen glücklich zu sein.“
Conrad muss schlucken. Für einen Moment hält er, der so gern gestikuliert beim Reden, inne.
„Wenn man mal länger drüber nachdenkt, ist das logisch: Was müsste alles zusammenkommen, dass du dir selbst sagt: Ich mache mich jetzt mit meiner Familie auf den Weg? Wenn ich dann Hameds Geschichte höre, der nur zwei Jahre jünger ist als ich, denke ich: ‚Krass! Du bist gesund, kannst deine Miete bezahlen und alles andere ist Zugabe.’“
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