Jahresendwurst

von Cosima Lutz 18. Dezember 2015

2015 feierte „Konnopke’s Imbiß“ 85. Jubiläum. Zeit, vor dem Festbraten innezuhalten und sich still mampfend unter die Hochbahn an der Eberswalder zu stellen. Die Currywurst in acht Stückchen.

 

Ende

 

Klappe auf, Pappe rein, Klappe zu. So sieht immer das Ende aus. Jeder Pappteller, jede Pommesgabel, jeder geheimnisumwitterte Saucenrest landet am Schluss mit leisem Tusch im Dunkel der Abfalleimer. Wie stille Wächter, diskret und sauber, stehen sie in den Ecken rund um „Konnopke’s Imbiß“, bereit für das Ende Hunderter Mahlzeiten. Ein Mann mit breitem Kreuz, Baseballkappe und Zollstock in der Hosentasche, ein Handwerker offenbar, hat soeben binnen fünf Minuten drei große Würste verzehrt und dazu ein niedliches Fläschchen Kakao geleert. Sein Blick: grimmig. Klappe auf, Pappe rein, Klappe zu, mit dem Handrücken den Mund abgewischt, weiter. Arbeit, Essen: geschafft. Das Gefühl, etwas bewältigt zu haben, ja, alles bewältigen zu können, liegt in der Luft. Die Verkäuferinnen tragen Nikolausmützen. Bald ist Weihnachten.

 

Anfang

 

Dem Staat geht es schlecht, der Welt geht es schlecht, Berlin geht es sowieso ganz, ganz schlecht, und besonders schlecht geht es dem dicht besiedelten Prenzlauer Berg. Und dann kommt da auch noch ein mittelloser Bauernjunge aus dem Umland und meint, wie Tausende andere auch im Schatten der Weltwirtschaftskrise, er hätte hier eine Chance für ein Start-up. Er hat eine. Vor gut 85 Jahren, am 4. Oktober 1930, heirateten Max Konnopke und seine Jugendliebe Charlotte und gründeten am selben Tag ihr gemeinsames Unternehmen für – zunächst – nächtlichen Wurstverkauf. Finsteres Gesindel drückte sich lukrativ unter der Hochbahn herum, dort, wo heute noch „Konnopke’s Imbiß“ steht. Frühmorgens kamen die Arbeiter, Handwerker und die Nachtschwärmer, alle brauchten dringend frische Brühwurst. Max und Charlotte sind findig, er entdeckt im Westen der Stadt darmlose Bratwürste, und sie kreiert die legendäre Sauce. Daraus wird dann 1960 die erste Currywurst der DDR.

 

Geheimnis

 

Geheimnisse gehören nicht zu dem, was ein Prenzlauer Berger heute essen will. Über alles, was nicht in dem angebotenen Gericht ist, will er genaueste Auskunft haben. Kein Gluten, keine Laktose, kein Fleisch, kein Soja, kein Glutamat. Konnopke aber wirbt wacker damit, dass das Rezept für die Sauce weiterhin strikt geheim sei. Okay, Allergene sind inzwischen deklariert. Trotzdem: Schon die Wurst an sich umgibt ja die Aura des Geheimnisvollen und Verdeckten. Böse Zungen behaupten, Würste und Gesetze hätten gemeinsam, dass man lieber nicht so genau wissen wolle, wie sie zustande gekommen seien. Seit vergangenem Sommer, das ist kein Geheimnis, gilt Wurst offiziell als ein brandgefährliches, ja tödliches Essen. Täglich Wurst zu essen, ist demnach das Wurst Case Szenario, man verleibt sich da womöglich etwas ein, das gar nicht mehr „Lebens“-Mittel heißen dürfte, und am Ende ist man tot. Konnopke hat sogar Zeiten überstanden, in denen es gar kein Fleisch gab. Dann wurden eben Reibekuchen verkauft. Als die Kartoffeln rar wurden, gab’s Brühe. Ob der Imbiss auch die Selbstoptimierungswelle überleben wird?

 Nahaufnahme Currywurst mit PommesCurrywurst mit Pommes heißt jetzt „kleines Menü“. Foto: Cosima Lutz

 

Vegan

 

Seit 2015 bietet Konnopke eine vegane Currywurst an. Freudige Erregung, als ich sie bestelle, es scheint ein seltenes Ereignis zu sein. Eine eigene Friteuse wird vorbereitet, neues Fett eingefüllt. „Wir haben sogar eine eigene Zange“, sagt die Verkäuferin, „damit wirklich alles vegan ist“. Man habe darauf reagiert, dass viele Gäste mit veganer Begleitung kämen, die dann immer auf Pommes ausweichen müsste. Kenn ich, sage ich, in Dorfgaststätten hätte man als Vegetarier ja auch oft nur die Alternative Käsespätzle. Warum sage ich das jetzt? Ausgerechnet hier? Spätzle! Es tobte in Prenzlauer Berg vor noch nicht allzu langer Zeit immerhin ein „Spätzlekrieg“, sogar eine Mauer aus Maultaschen wurde um Konnopkes Imbiss errichtet, aber naja, hatte ich gerade vergessen. Die Verkäuferin schaut kurz etwas blass unter der Nikolausmütze hervor. Andere Frage: Auf wie viele normale Currywürste kommt denn eine aus Soja? Zehn vielleicht? „Nee, eher auf 50 oder 100“. Ihr schmecke sie jedenfalls, „und das, obwohl ich kein Veganer bin.“ Sie fragt, ob ich ihr danach berichten würde, wie sie mir geschmeckt habe.

 

Kommunikation

 

Konnopke’s ist die Weltzeituhr Prenzlauer Bergs. Ständig ein einziges Abklatschen (jung) und Umarmen (alt). Die Schlange pulsiert, erst ist sie lang, plötzlich kurz, für ein paar Momente steht da niemand, dann wieder 30 Leute. Zwei Grüppchen spanischer Schüler treffen sich und füllen einen langen Tisch im überdachten „Garten“. Drei mittelalte blonde Freundinnen begrüßen sich laut gackernd, offenbar ein Wiedersehen nach langer Zeit. Eine Mutter und ihre Tochter (gleiche Haare, gleich gespitzter Mund beim Kauen) schleppen sich mit schwerer Shopping-Beute aufeinander zu, wirken genervt und essen hier, damit wenigstens etwas Unkompliziertes passiert an diesem Tag. An meinen Tisch stellt sich ein Nerd, man nickt einander kurz zu, es herrscht stille Übereinkunft darüber, dass der Umstand, sich penisförmige, tropfende Dinge in den Mund zu schieben, jetzt erst mal nicht so eine tolle Gesprächsgrundlage ist. Es sei denn, es fällt einem ein Witz ein. Humor! Nö. Die Zeiten sind heute vermutlich anders, cleaner. Ein altes Hutzelweiblein trägt emsig einen Teller mit einer Wurst davon und stößt beinahe mit einem Büro-Beau zusammen.

 

Entscheidungen

 

„Wenn’s um die Wurst geht“, mit diesem Spruch wirbt Konnopke. Und das Sprichwort sagt ja nichts anderes, als dass es um die Entscheidung geht. Wahrscheinlich geht das auf volkstümliche Wettkämpfe zurück, bei denen der Sieger eine Wurst erhielt. Das Sortiment bei Konnopke ist über die Jahre gewachsen. Anders als zu eher minimalistischen DDR-Zeiten hat man, wie in jedem anderen Lebensbereich auch, eine ordentliche Anzahl an Optionen, zwischen denen man sich dann entscheiden muss. Aber eigentlich geht man zur Currywurstbude, um Currywurst zu essen. Wer eine Currywurst bestellt, verleibt sich genau das ein: das Sich-nicht-entscheiden-Müssen. Die Zeit nach dem Mauerfall erlebte Dagmar Konnopke, die Enkeltochter der Gründer, vor allem als eine Zeit, in der man plötzlich Preise und Produkte vergleichen und ständig blitzschnell entscheiden musste. „Es war, als wenn man zuerst auf einem ruhigen See schwimmt und dann plötzlich Leinen los und wir waren auf dem Wildwasser unterwegs“, sagt sie in dem neu erschienenen Konnopke-Buch (s. Hinweis am Ende des Textes). Vielen Menschen, sogar Wessis, ist das ständige Auswählenmüssen inzwischen zuviel, manche sehnen sich nach Zeiten, als es noch keine 677 Handytarife, sondern nur ein moosgrünes Telefonmodell gab. Entscheidungen machen müde. Aber auch hungrig.

 

Noch ein Ende

 

Kulturpessimisten finden, dass die Leute (Radfahrer, Hundehalter, Eltern, Touristen, Kinder) sich sowieso nur noch so verhalten, als ob ihnen alles wurst ist. Woher nur der Spruch wieder kommt? Alles kommt rein, die Bestandteile verlieren ihre individuelle Kontur, alles geht ineinander über. Gleichmacher Wurst. Wie der Schnee, wie der Tod. Ist wurst: egal, aber eben auch egalitär. Nimmt man den Spruch beim Wort, hat er ein enormes Freiheitspotential. Denn wem – nicht alles, aber vieles – wurst ist, der hat weniger (Berührungs-)Angst. Zu DDR-Zeiten der verordneten Gleichheit trafen sich bei Konnopke die Punks, die Arbeiter, die Künstler und schon auch ein paar hungrige Staatsdiener. Als angesichts einer tödlichen Mauer „guilty pleasures“ noch ein Fremdwort war. (Fast) alles hat halt ein Ende. Klappe auf, Pappe rein, Klappe zu.

 

Nachklapp,

 

nämlich das Feedback zur veganen Currywurst! Schmeckt fast indisch. Außen angenehm kross, nussig, das Curry scheint auf das Soja gewartet zu haben. Die Verkäuferin freut sich, als ich ihr sage, die vegane Currywurst habe mir fast noch besser geschmeckt als die normale. Vielleicht gibt es die fleischlose Variante ja irgendwann nicht mehr aus Soja, sondern aus heimischen Lupinen. Irgendwas fällt denen bei Konnopke schon ein, und immer passt es zu uns, den Vorübergehenden.

 

Buchtipp: „Konnopke’s Imbiß – Das Original seit 1930“, eine reich bebilderte Geschichte des Imbisses und Prenzlauer Bergs, haben Waltraud Ziervogel und Dagmar Konnopke anlässlich des 85-jährigen Jubiläums herausgegeben (Berlin Story Verlag, 120 S., 16,95 €).

 

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