Keine Zeit für Notfälle

von Anja Mia Neumann 26. November 2015

Das Bürgeramt ist auch in Notfällen kaum erreichbar. Zwei Wochen braucht es für eine Bearbeitung mit „Dringlichkeitsvermerk“, zeigt der Fall eines Vaters mit seinen Zwillingen. Das ist fahrlässig und riskant.

Ein Notfall heißt Notfall, weil jemand in Not ist und: möglichst ganz schnell gehandelt werden sollte. Was beim 112-Notruf binnen Minuten funktioniert, dauert im überlasteten Bürgeramt (Termine für die nächsten zwei bis drei Monate nicht verfügbar) nicht etwa Stunden, sondern Wochen. Zwei um genau zu sein. Und das nur mit viel persönlichem Engagement.

Wie prekär die Lage ist und wie riskant die Handlungsunfähigkeit von Amts wegen sein kann, zeigt folgender Fall.

Ein Vater von Zwillingen braucht eine neue Wohnung. Denn noch leben die zwei neunjährigen Mädchen bei ihrer Mutter. Die steht unter Beobachtung des Jugendamtes, es läuft ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung. Deswegen will das Amt, dass die Mädchen zum Vater ziehen. Es ist nicht so akut, dass die Mädchen sofort in ein Heim oder eine Pflegefamilie müssten, aber Eile ist geboten.

 

Der Vermieter wartet – und drängelt

 

So weit so geläufig in Berlin. Doch: Noch lebt der Vater in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Prenzlauer Berg. Mit den Zwillingen steht ihm eine Drei-Zimmer-Wohnung zu. Ihm ist klar, in Prenzlauer Berg wird das so schnell nichts – aber es findet sich, natürlich nicht ohne große Anstrengung, eine Wohnung an der Grenze in Wedding. Fehlt nur noch eines: ein Wohnberechtigungsschein, auf den er einen Anspruch hat. Dann kann der Mietvertrag unterschrieben werden.

Doch dieses „nur noch ein Wohnberechtigungsschein“ ist ein noch größeres Problem, als das Finden einer Wohnung. Der Vermieter ist kulant und wartet. Aber klar: Er drängelt auch.

Was folgt, ist ein Bitten, Betteln und Kämpfen des Vaters, nennen wir ihn Sascha Köhler. Das Wohnungsamt in der Fröbelstraße hat keine Sprechzeiten, auch nicht für Notfälle, sondern arbeitet nur auf Termin und die sind ja nicht zu bekommen. Also stellt sich Köhler eine Stunde an den Informationsstand im Bezirksamt – die Mitarbeiterin vom Sozialen Wohnungsdienst hatte ihm geraten, auf Dringlichkeit zu pochen wegen der Kinder.

 

Die Mitarbeiterin vom Amt lacht laut auf.“

 

„Als ich dran war hat die Mitarbeiterin erst mal laut aufgelacht und gemeint: ‚Na, die haben ja Ideen!’“, sagt Köhler. Sie nimmt den Antrag entgegen mit dem Verweis, dass es dringlich ist. Aber ob dieser Hinweis beachtet werde – sie wisse es nicht. In einigen Fällen dauere die WBS-Ausstellung sechs Monate. Nicht ganz das, was sich Köhler mit „sofort oder innerhalb von 48 Stunden“ vorgestellt hatte.

Beruhigend wirkt da auch nicht das Gespräch in seinem Hinterkopf, das Köhler in seinen Wartezeiten mitbekommen hat. Vater: „Was soll ich denn tun, wenn keine Wohnungen mehr zu bekommen sind und Sie mir keinen WBS ausstellen?“ Amt: „Sie kommen dann in die Obdachlosenunterkunft.“ Vater: „Und meine Kinder? Sollen die dann mit mir in die Obdachlosenunterkunft?“ Amt: „Ja, die müssen dann wohl auch mit.“

„Der Zynismus und die trockene Art, der die Beamtin das vortrug, lassen auf eine soziale Abstumpfung rückschließen“, sagt Köhler „Oder eben auf eine Gewöhnung an solche Vorgänge.“

 

13 Tage für einen Wohnberechtigungsschein mit Dringlichkeitsvermerk

 

Aus seiner Sicht hätten viele Menschen in seiner Lage die Hoffnung komplett verloren – gerade auch, weil der Wohnungsmarkt so angespannt ist. „In so einer Situation Experiment mit Termine-Only zu machen, ohne dabei die steigenden Dringlichkeitsverfahren zu berücksichtigen, ist mindestens grob fahrlässig, wenn nicht Schlimmeres“, ist er überzeugt.

Schließlich erreicht Köhler, dass sich das Jugendamt und die Familienhilfe einschalten und direkt mit den Mitarbeitern vom Wohnungsamt reden. 13 Tage nach dem Antrag bekommt er den WBS, der – wohlgemerkt – einen Dringlichkeitsvermerk hatte.

„Ich habe nur Erfolg gehabt, weil ich ein Charakter bin, der sich durchsetzt und nicht so leicht aufgibt“, meint Köhler. Und das größte Glück für Vater und Kinder ist: Der Vermieter hat gewartet bis das Amt sich endlich rührte.

Letztlich stellen solche Geschichten die Frage: Darf oder muss nicht sogar Dienst nach Vorschrift eine Grenze haben? Ein Amt, das nicht für die da ist, für die es arbeitet – die Bürger – ist grotesk genug. Aber ein Amt, das seine Bürger nicht ernst nimmt und nicht sensibel genug oder in der Lage dazu ist, zu entscheiden, wann schnell – im besten Fall sofort – gehandelt werden muss, hat einen Namen sicher nicht verdient: Bürgeramt.

 

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