Wenn bei Attentaten wie in Paris Menschen sterben, wird schnell der ganze Islam beschuldigt. Dagegen wehrt sich die Pankower Gemeinde. Als eine der wenigen Moscheen öffnet sie ihre Türen.
Wenn eine muslimische Gemeinde nach den Terror-Anschlägen von Paris in ihre Moschee einlädt, was erwartet man dann? Distanzierungen wohl. Vielleicht auch Erklärungen und ein bisschen Beruhigung. Die Gemeinde der Khadija-Moschee in Pankow-Heinersdorf hat es versucht. Und kurzerhand eine – länger geplante – Presseveranstaltung über Flüchtlinge umgewidmet. Neues Thema: „Terror in Paris – Angst vor dem Islam?“
Die Moschee liegt nur zehn Fahrradminuten nördlich von Prenzlauer Berg. Es ist die einzige in Ost-Berlin, gar in Ost-Deutschland, wie die Gläubigen betonen. Der erste Eindruck ist laut – wenig idyllisch gelegen neben Autobahnauffahrt, Fast-Food-Drive-In und Gebrauchtwagen-Händler.
„Es schmerzt und tut weh.“
„Sie schmerzt, diese Barbarei“, sagt Imam Said Arif noch während des orientalischen Frühstücks, das ein lockerer Auftakt sein sollte. „Es tut weh.“ Man fühle sich genötigt, die Taten zu verurteilen. Obwohl diese Menschen quasi die Identität der friedlichen Muslime geklaut hätten.
Er sei sich der Verantwortung bewusst. „Über den Dialog können wir unseren Beitrag leisten“. Dieser Dialog, so scheint es, ist der Gemeinde nach dem langen Kampf um ihren Standort in Fleisch und Blut übergegangen. Seit 2008 gibt es die Moschee in Heinersdorf – gegen den Bau gab es damals lange Kämpfe, Vorurteile und NPD-Aufmärsche. Mittlerweile habe sich das Klima mit der Nachbarschaft entspannt.
Rund 40 000 Mitglieder – in einigen Ländern verfolgt als Sekte
„Wir bekennen uns klar zur demokratisch-freiheitlichen Grundordnung“, sagt der Bundesvorsitzende Abdullah Uwe Wagishauser. Die Gemeinde betreibt Jugendarbeit gegen Salafismus und der Imam zitiert aus dem Koran: „Tötet euch nicht selbst.“
Kleiner Hintergrund: Die Ahmadiyya-Gemeinschaft, zu der die Khadija Moschee zählt, hat in Deutschland rund 40 000 Mitglieder. Sie wurde 1889 in Britisch-Indien gegründet und wird in vielen muslimisch geführten Staaten als Sekte verfolgt. Neben Mohammed verehrt sie auch ihren Gründer Mirza Ghulam Ahmad als Propheten.
In Deutschland gilt die Ahmadiyya-Gemeinschaft als gut integriert. Sie setzt offensiv auf interreligiösen Dialog und spricht sich gegen Gewalt aus. Aus ihrer Gemeinde sei noch kein einziger Terrorist gekommen, betont Imam Said Arif.
Strategie: Aufklärung und Abgrenzung vom Extremismus
Wirkliche Antworten für die Zukunft gibt es natürlich nicht: Die Bedrohung für Deutschland ist offensichtlich. Doch der Gemeinde ist zu Gute zu halten: Sie öffnet ihre Türen und ist unfassbar gesprächsbereit. Ihre Strategie: Aufklärung und Abgrenzung vom Extremismus.
Das ist es, was von dem Besuch bleibt. Dass sie sich wenig Mühe gegeben hätten mit der Einladung, das kann man den Muslimen nicht vorwerfen. Auch ein wenig Mission und Werbung, klar.
Doch wären alle muslimischen Gemeinden in Deutschland so offen wie jene am Heinersdorfer Industriegebiet, es gäbe wohl mehr Kontakte und weniger Vorbehalte mit einem unbestimmten Das-ist-mir-so-fremd-Empfinden. In der Moschee ausgelegt mit weichem, grünen Teppich fühlt es sich – so in Socken – gar ein wenig heimelig an.
Die Prenzlauer Berg Nachrichten haben den Imam interviewt und ihm einige Fragen gestellt, die ihr – unsere Leser – uns geschrieben habt. Er ist 30 Jahre alt und seit zwei Jahren an der Khadija Moschee. Als Sechsjähriger kam er als Flüchtling mit seinen Eltern aus Pakistan nach Deutschland und wuchs in Wiesbaden auf (s.u.).
Der Bundesvorsitzende der Ahmadiyya-Gemeinschaft Deutschlands Abdullah Uwe Wagishauser (l.) und Imam Said Arif . Foto: Anja Mia Neumann
Warum müssen ich oder andere, die Atheisten sind, den Islam nicht fürchten? (Jan)
„Zum Terror in Paris: Solch einen Islam würde ich auch fürchten. Vor so etwas sind meine Eltern geflüchtet. Da muss man differenzierter hinschauen. Die Terroristen nutzen den Islam als Instrument, um seine eigenen Interessen und Machtbegierden durchzusetzen. Anschläge sind in keiner Art und Weise begründet im heiligen Koran. Man muss es im Gesamtkontext betrachten und nicht Koranverse aus dem Zusammenhang reißen. Kommen Sie zu mir: Ich bin immer offen für Gespräche. Man muss keine Angst haben vor dem Islam, der nicht politisch motiviert ist“
Wie können wir näher zusammen kommen? Was wünscht ihr euch in dieser Situation von uns Christen? (Kerstin)
„Wir müssen noch mehr Brücken schlagen und sie stärken. Das Miteinander, das Ins-Gespräch-Kommen, das ist jetzt sehr wichtig, um Angst, Paranoia und Vorurteilen keinen Raum zu lassen. Einfach das direkte Gespräch suchen.“
Die Frage ist doch: Möchte man die Theologie der wenigen Terroristen stärken? Oder möchte man in Kontakt kommen und die Theologie der vielen friedliebenden Muslime bestätigen?
Wollen wir eine Menschenkette machen? Als Demo für den Frieden, um zu zeigen, dass Atheisten und Menschen jeglicher Religion sich die Hand reichen. (Katja)
„Wir positionieren uns ganz klar auf Mahnwachen und Kundgebungen. Für uns ist wichtig ein nachhaltiges Signal zu setzen. Eine Menschenkette ist kurzfristig gut und symbolisch, aber wir müssen es nachhaltig umsetzen. Deswegen machen wir auch unsere Plakataktion „Muslime gegen Gewalt“.“
Inwieweit engagiert sich die Gemeinde in der Flüchtlingskrise? Wäre es ein möglicher Akt der Solidarität, die Räumlichkeiten der Moschee als Übernachtungsquartier zur Verfügung zu stellen? (Marén)
„Seit mehreren Wochen servieren Gemeindemitglieder täglich Tee vor dem Lageso. Wir sammeln Geld und checken die Bedarfslisten der Notunterkünfte und bringen dort hin, was gebraucht wird. Außerdem bieten wir Übersetzungshilfe beim Lesen und Schreiben von Briefen. Ein Flüchtling, der vor einem Jahr kam, schien zunächst sehr stark und stabil zu sein, aber dann kam heraus, dass er wirklich Probleme hatte. Er war mit der Situation überfordert und wir haben ihm geholfen und ihn letztlich als Hausmeistergehilfen in der Moschee eingestellt. Das Motto ist auch: Flüchtlinge für Flüchtlinge.
Was ein Notquartier angeht: Wenn der Staat auf uns zukommen würde, würde wir das in Erwägung ziehen. Aber wir sind da vorsichtig. Was wäre, wenn jemand darunter wäre, der extremistisches Gedankengut hat und er ist in der Moschee? Da muss man viel Fingerspitzengefühl haben.“
Wie geht die Moscheegemeinde mit homosexuellen Mitgliedern um? (Christian)
„Wir haben unsere Grenzen und Homosexualität ist eine dieser Grenzen. Die gelten für alle unsere Gemeindemitglieder, wie auch das Verbot von außerehelichem Sexualverkehr, Alkohol und Schweinefleisch. Jemand, der unserer Gemeinde beitritt, der bekennt sich zu diesen Werten und muss sich an die Grenzen halten. Aber wichtig ist und wo der Toleranzgedanke auch eine Rolle spielt: Dass wir diese Grenzen niemandem aufzwingen. Was außerhalb passiert, ist jedermanns Privatsache.“
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