Im Ballhaus Ost schuhplatteln und twerken sich zwei Körper in eine „Situation mit Doppelgänger“ und fragen nach Original und Fälschung.
Wer abschreibt, hat ein Copyright-Problem. Was aber ist, wenn einer, sagen wir mal, ab-tanzt? Tatbestand Rausch oder Raub? Wem gehören Schuhplattler, Cakewalk oder Twerking? Wer war der erste Mensch, der steppte, und warum tat er das? Was an diesen Tänzen ist schwarz, was ist weiß? Kann man sich in einen der beiden Bereiche einbürgern lassen? Und wer definiert die Grenze?
Es sind, man muss es so bescheuert sagen, erfrischend abstrakte Fragen, die Oliver Zahn und Julian Warner da im Ballhaus Ost mit ihren hart arbeitenden Körpern auf die Bühnenbretter stampfen. Denn vor lauter politischem Herumdenken droht derzeit ja im anämischen Meinungsspitzentanz der Blick fürs große, einfache Ganze verloren zu gehen. Also fürs schwierige, ernste, aber auch ziemlich lustige Verhältnis von Fremdem und Eigenem: Man kann ja einander so schön okkupieren, parodieren, imitieren, kolonialisieren, schein-penetrieren – und das alles am glaubhaftesten, unverschämtesten und unwiderstehlichsten, indem man tanzt.
Die Parodie einer Parodie einer Parodie
Um keine falschen Erwartungen aufkommen zu lassen: Diese Performance ist eine sehr wortreiche. Aber keine geschwätzige. Schön und genussvoll moduliert die Stimme Tinka Kleffners aus dem Off die sturztrockensten Sätze. Der Zuschauer erfährt in fast ethnologischer Präzision, wie die Bühne aussah, auf der im New York des 19. Jahrhunderts ein Weißer einen Schwarzen parodierte, der einen Weißen parodierte. Oder wie merkwürdig es war, als im Sommer 2015 vor dem amerikanischen Präsidenten Obama und einigen Berggipfeln geschuhplattlert wurde, um das gute deutsch-amerikanische Verhältnis zu bekräftigen.
Die beiden Performer, die keine Profitänzer sind, führen – ohne Musik! – vor, um welche Tänze es gerade geht. Pur, nur mit den Körpern als Instrumenten, sezieren sie die Musikalität des Tanzes als durch die Zeiten irrlichternde Kompositionen aus Stampfen, Beinekreuzen, Klatschen, Grinsen. Dass der eine von ihnen einen dunklen Teint hat, der andere nicht, der eine deutscher Staatsbürger sei, der andere „im Rheinland geboren“, oder dass schwarze Transsexuelle in New Orleans aus purem Spaß twerkten und kurz darauf weiße Frauen in Dortmund im teuer bezahlten Workout, setzt dem Abend komödiantische Glanzlichter auf, ohne den würdigen Ernst einer Dokumentation oder eines kulturhistorischen Seminars aufs Spiel zu setzen.
Tanz den Gedankentwist!
Was für ein Training, das gilt nicht nur für die eher gemütlichen Körper der beiden Schauspieler, die hier ordentlich ins Schwitzen kommen. Trainiert wird auch das Aushaltenmüssen einander widersprechender Aussagen, denn immer wieder grätschen im Bühnenhintergrund eingeblendete Sätze zwischen das, was gerade gesagt und getanzt wird: „Naja“. „Nein“. „Stimmt nicht“. Was stimmt denn nun? Zumindest, dass es für den amüsierwilligen Teil der Menschheit offenbar schon immer das Schönste gewesen ist, „über einen abwesenden Dritten zu lachen“. Am Ende des Premierenabends waren jedenfalls alle platt und glücklich. Aber nicht, weil das junge Publikum gemeinsam jemanden ausgelacht hätte, sondern weil die Gedanken eine Weile tanzen durften.
Ballhaus Ost, Pappelallee 15. Weitere Vorstellungen: heute und morgen (30./31. Oktober), 20 Uhr. Karten 15/ 10 Euro, Tel. 44 039 168, karten@ballhausost.de oder an der Abendkasse.
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