Über 2500 Flüchtlinge leben in unserem Bezirk. Was bedeutet das für uns? Wir haben nachgefragt: Antworten zu Unterkünften, Schulklassen und Problemen, die es auch ohne die Flüchtlinge gegeben hätte.
Pankows Sozialstadträtin war zu Gast beim Mitgliedertreffen der Prenzlauer Berg Nachrichten. Thema des Abends: die Flüchtlingslage in Prenzlauer Berg. Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) antwortete auf die Fragen von Mitgliedern und Teilnehmern aus dem ehrenamtlichen Unterstützerkreis.
Für alle, die nicht dabei sein konnten, haben wir die wichtigsten Fragen und Antworten des Abends noch einmal zusammengefasst.
In welchem Umfang ist Prenzlauer Berg aktuell von der Flüchtlingswelle betroffen?
Zürn-Kasztantowicz: Es gibt momentan ungefähr 900 Plätze für Flüchtlinge in Prenzlauer Berg. Im gesamten Bezirk Pankow sind es 2 555. Auch in unserem Bezirk ist die Zahl der geflüchteten Menschen im Verlauf des Jahres stark gestiegen. Im Oktober 2014 hatten wir noch 500 Plätze für Flüchtlinge. Untergebracht sind die Flüchtlinge in Prenzlauer Berg in den Gemeinschaftsunterkünften an der Straßburger Straße und an der Storkower Straße 139c und in den Notunterkünften an der Storkower Straße 133a und der Wichertstraße. An der Wichertstraße dient eine Turnhalle als Notunterkunft.
Woher stammen die Flüchtlinge in unserem Ortsteil?
Zürn-Kasztantowicz: Die meisten Neuankömmlinge stammen aus Syrien. Dazu kommen einige Flüchtlinge aus dem Irak und aus Afghanistan. Vor der aktuellen Flüchtlingswelle stammte der Großteil der Flüchtlinge aus den Balkanländern und den ehemaligen Sowjetrepubliken. Die Unterkunft an der Straßburger Straße beherbergt schon seit dem Jahr 2012 Flüchtlinge.
Was sind jetzt die dringlichsten Aufgaben?
Zürn-Kasztantowicz: Als erstes müssen wir dafür sorgen, dass alle Menschen, die zu uns kommen, ein Dach über dem Kopf haben. Die erforderliche Zahl an Plätzen für die Flüchtlinge bereitzustellen, ist eine enorme Herausforderung. Auch neu eingerichtete Unterkünfte müssen zumindest die Anforderungen an den Brandschutz erfüllen und über eine ausreichende Zahl von Sanitäreinrichtungen verfügen. Da stößt man schnell an Grenzen.
Der zweite Schritt muss die Beschleunigung der Registrierung der Flüchtlinge sein. In Deutschland hängt fast alles davon ab, dass man gemeldet ist. Erst dann erhält man einen Krankenschein oder einen Schulplatz. Man könnte sagen: Wer nicht registriert ist, ist eigentlich noch gar nicht da.
Wie ist die aktuelle Lage an den Schulen im Bezirk?
Zürn-Kasztantowicz: In Pankow gibt es insgesamt 45 Willkommensklassen. Darin lernen rund 450 Flüchtlingskinder Deutsch. In den ersten und zweiten Klassen besuchen die Flüchtlingskinder von Anfang an die Regelklassen. Die Willkommensklassen einzurichten, ist nicht einfach, weil es in den Schulen im Bezirk ohnehin zu wenig Platz gibt. Aber bisher ist es dem Senat gelungen, für alle diese Klassen zusätzliche Lehrer einzustellen. Mittlerweile können auch die Schulen in freier Trägerschaft Flüchtlingskinder aufnehmen.
Viele Flüchtlinge werden langfristig hier bleiben. Was tut der Bezirk, um sich darauf vorzubereiten und zum Beispiel für genügend Schulplätze und Wohnraum zu sorgen?
Zürn-Kasztantowicz: Es müssen mittelfristig nutzbare Gebäude gefunden werden, die die Flüchtlinge beziehen können, wenn sie die Notunterkünfte verlassen. Der Bezirk ist momentan mit der Unterbringung und der Registrierung der Flüchtlinge personell ausgelastet. Einige Mitarbeiter sind zur Unterstützung an das LAGeSo abgetreten worden. Pankow erlebt einen permanenten Zuzug, und die Themen Schulplätze und preisgünstiger Wohnraum brennen uns schon jahrelang unter den Nägeln. Wenn man bedenkt, dass in Pankow mittlerweile 390 000 Menschen leben, ist der Anteil der Flüchtlinge an der Gesamtbevölkerung nach wie vor sehr gering.
Wie entwickelt sich die Stimmung im Bezirk? Wächst mit der Zahl der Flüchtlinge auch die Zahl der Ressentiments?
Zürn-Kasztantowicz: Wir erleben hier in Pankow eine enorme Welle der Hilfsbereitschaft, die mich immer wieder überwältigt. Mittlerweile werden die Notunterkünfte innerhalb kürzester Zeit eingerichtet. Trotzdem sind die freiwilligen Helfer schon nach wenigen Stunden zur Stelle. Aber es gibt auch Vorbehalte in der Bevölkerung, die darf man nicht einfach ignorieren. Am größten sind die Sorgen oft dort, wo bisher noch am wenigsten Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund leben. Wir müssen deswegen viel mit den Bürgern kommunizieren, um die Grundakzeptanz für die Aufnahme der Flüchtlinge zu erhalten.
Können Sie die Vorbehalte von besorgten Bürgern zerstreuen?
Zürn-Kasztantowicz: Es gibt die Sorge, dass mit den Flüchtlingen Krankheitserreger nach Deutschland kommen könnten, die hier nicht verbreitet sind. Bisher haben wir aber nur den Ausbruch einer Welle von Windpocken erlebt. Auch die Sorge vor einer steigenden Kriminalitätsrate im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften ist nach Auskunft der Polizei unbegründet. Die Kriminalitätsraten an den Standorten sind unverändert.
Viele Freiwillige gehen bis an ihre Grenzen, um den Flüchtlingen zu helfen. Wie kann der Bezirk sie unterstützen?
Zürn-Kasztantowicz: Auch hier kann ich leider nicht wirklich aus dem Vollen schöpfen, weil wir keine Personalkapazitäten mehr haben. Immerhin gibt es die Zusage, dass der Personalschlüssel für die Unterkünfte bei allen neuen Verträgen mit den Betreibern verbessert werden soll. In Zukunft soll es für jede Unterkunft mit 250 Flüchtlingen eine zusätzliche Stelle zur Koordination der freiwilligen Helfer geben. Außerdem will der Senat eine zentrale Aufnahmestelle für die Sachspenden einrichten. Das würde die Helfer vor Ort zumindest in dieser Hinsicht entlasten.
Wo können sich Unterstützer und Freiwillige in Pankow informieren?
Zürn-Kasztantowicz: Wir haben im Bezirksamt das Amt einer Flüchtlingskoordinatorin eingerichtet, das Birgit Gust bekleidet. Darüber hinaus findet man viele Informationen wie zum Beispiel täglich aktualisierte Bedarfslisten unter pankow-hilft.de.
Welche Art von Hilfe wird noch gebraucht?
Zürn-Kasztantowicz: Die wichtigste Ressource ist Zeit. Wenn jemand zum Beispiel eine Patenschaft für einen Neuankömmling übernehmen kann, ist das von unschätzbarem Wert. Die Flüchtlinge müssen in den ersten Monaten so viele Angelegenheiten regeln, aber sie sprechen unsere Sprache noch nicht und sie kennen sich weder in unserer Stadt noch in unserem Staat aus. Jemanden dabei zu begleiten, ist unwahrscheinlich gewinnbringend. Außerdem werden immer Räume gebraucht, in denen man gemeinschaftliche Aktivitäten veranstalten kann. Gemeinschaftsräume sind in den Unterkünften extrem knapp.
Wir sind eine werbefreie Mitgliederzeitung. Unsere (zahlenden) Mitglieder machen unsere Arbeit überhaupt erst möglich. Bitte werden Sie jetzt Mitglied und unterstützen Sie uns: Hier geht es lang! Vielen Dank!
Wenn Sie schon Mitglied sind, können Sie den Link unten im Kasten teilen und diesen Artikel so Ihren Freunden zum Lesen schenken.