Völlig überbewertet

von Thomas Trappe 23. Juni 2015

Nimmt Prenzlauer Berg zu viel Raum ein in der politischen Diskussion des Bezirks? Manch ein Bezirkspolitiker hegt diesen Verdacht – und Zahlen bestätigen es.

Darum geht’s:

 

• Nicht wenige Bezirkspolitiker beklagen, dass Prenzlauer Berg im Vergleich zu anderen Ortsteilen im Bezirk übermäßig Beachtung geschenkt bekommt

• Sprich: Andere Ortsteile politisch vernachlässigt werden

• An der Zahl der Kleinen Anfragen und Anträge lässt sich das teilweise belegen

 

Wie erkennt man im Pankower Bezirksparlament, ob Zuschauer aus dem Süden des Bezirks, also Prenzlauer Berg, oder dem Norden kommen? Recht einfach: Alle bringen gerne mal Protestplakate mit – die einen befestigen sie an ihren Kindern (oder Bärenkostümen), die anderen an ihren Trekkern. Die einen protestieren gegen den Verlust eines Parkstreifens oder Spielplatzes, die anderen gegen den einer Aue. Abwegige Momentaufnahmen politischer Partizipation, völlig klar, doch es lässt sich nicht von der Hand weisen: Geht es um die politische Repräsentanz der einzelnen Stadtteile des Bezirks Pankow, gibt es nicht nur ästhetische Unterschiede, sondern auch ein deutliches Süd-Nord-Gefälle. Ein Phänomen, dass von Stadträten des Bezirks immer wieder beklagt wird und auch durch Alltagserfahrung belegbar scheint: Politik in Pankow, das ist doch meist Politik in Prenzlauer Berg, auch und gerade, rechnet man überregionale Berichterstattung hinzu. Zeit für eine nähere Betrachtung. Zumal die im Bezirk politisch tonangebende SPD bei ihrer jüngsten Kreisdelegiertenversammlung am vergangenen Freitag eben jenes Problem auf die Tagesordnung setzte: Die Dominanz einzelner Ortsteile bei der politischen Partizipation.

Den Bezirk Pankow gibt es in seiner heutigen Ausprägung seit 2001, mit etwas mehr als 380.000 Einwohnern ist er der größte in Berlin. Fusioniert wurde er aus den Altbezirken Pankow, Weißensee und Prenzlauer Berg. 13 Ortsteile hat Pankow. Der bevölkerungsreichste ist Prenzlauer Berg – etwa vierzig Prozent der Pankower leben hier. Das Rathaus befindet sich im Ortsteil Pankow, nicht aber die Bezirksverordnetenversammlung (BVV), die ihren Sitz in der Fröbelstraße, also in Prenzlauer Berg, hat. Das ist nicht unbedeutend für das politische Gepräge im Bezirk: Dessen publikumsoffene Politik findet in Prenzlauer Berg statt, was es für hier Ansässige leichter macht, zum Beispiel samt Kindern und Protestplakat in die BVV zu kommen.

 

SPD will Dominanz einzelner Ortsgruppen abbauen

 

Angesichts der Tatsache, dass fast jeder Zweite im Bezirk Prenzlauer Berger ist, scheint eine deutliche Dominanz des Innenstadtteils erst einmal gerechtfertigt. Doch immer wieder ist von Bezirkspolitikern die Klage zu hören, dass sich dies zu einer gewissen Einseitigkeit auswächst. In der CDU-Fraktion der BVV murrt man deswegen gelegentlich, ebenso tun es diverse Stadträte, die ab und an darauf hinweisen, dass es auch noch Probleme außerhalb Prenzlauer Bergs zu lösen gebe, dies aber nur wenig Niederschlag in der BVV und der Presse finde. Man kann das durchaus als Pankower Spezialproblem sehen: Denn in ganz Berlin gibt es kaum einen Bezirk, bei dem sich die Betrachtung so sehr auf einen Ortsteil konzentriert wie in Pankow. Außer vielleicht Neukölln.

Der Pankower Kreisverband der SPD zum Beispiel. Will man den verstehen, muss man in schmierige und langweilige zugleich innerparteiliche Grabenkämpfe einsteigen, und man geht da mit dem Gefühl heraus, sich schnell duschen zu wollen. Doch bei den Anträgen, die bei der bereits angesprochenen Kreisdelegiertenversammlung unter der Dachzeile „Organisationspolitik““ abgestimmt wurden, ging es im Grunde auch um das: Die Unlust mancher der 13 SPD-Abteilungen vornehmlich im Norden, sich den südlichen, also den Prenzlauer Bergern, unterzuordnen. So ging es unter anderem darum, SPD-Repräsentanten des Bezirks, zum Beispiel in der BVV, gleichmäßiger aus den einzelnen SPD-Abteilungen zu ziehen. Kommentieren wollte man das Ganze in der Pankower SPD in der vergangenen Woche noch nicht, auch mit dem sehr sozialdemoktratischen Hinweis auf Geschäftsordnungsfragen.

 

Klare Übermacht bei Linken

 

Wie ist es nun aber eigentlich bestellt mit der Ungleichgewichtung der einzelnen Pankower Ortsteile? Eine kleine Datenlese hilft. Über das Recherchesystem der BVV lässt sich die Zahl der Kleinen Anfragen und Anträge herausfinden, gegliedert danach, ob sie den Altbezirken Prenzlauer Berg, Pankow, Weißensee oder dem Gesamtbezirk zuzuordnen sind. Bis Ende vergangenen Jahres gab es demnach in der seit 2011 laufenden Legislaturperiode 1380 Anfragen und Anträge aus der BVV, rund 770 beschäftigten sich mit Belangen des Gesamtbezirks. Um den Altbezirk Prenzlauer Berg ging es in knapp 280 Fällen, um Pankow in 220 und um Weißensee in 110. Verhältnisse, die recht genau der Bevölkerungsverteilung im Bezirk entsprechen – allerdings lohnt da noch ein Blick auf die einzelnen Fraktionen.

Wenig Auffälligkeiten bietet demnach die SPD, bei der sich die Zahl der Anfragen und Anträge für die einzelnen Altbezirke ungefähr mit der Einwohnerzahl deckt. Bei den Grünen fällt auf, dass sich der allergrößte Teil der Anfragen dem Gesamtbezirk widmet, was vor allem daran liegen wird, dass die Fraktion gerne mal Anträge, die von Parteifreunden bereits in anderen Bezirken oder Städten eingereicht wurden, eins zu eins in die BVV Pankow einbringt. Bei den restlichen Grünen-Drucksachen ist das Verhältnis Weißensee zu Pankow zu Prenzlauer Berg ungefähr 1 zu 2 zu 3 – also ein klarer Überhang für Prenzlauer Berg zu notieren. 

Ähnlich bei den Piraten: Auch hier sind fast alle Drucksachen relevant für den Gesamtbezirk, unter den 36 regionsbezogenen stammen 27 aus Prenzlauer Berg und nur drei aus Weißensee. Die Piratenpartei hat ihren Stützpunkt damit klar im Süden des Bezirks, was auch daran deutlich wird, dass beide „Crews“ (Ortsgruppen) sich hier treffen. Die einzige Partei, die den Prenzlauer-Berg-Drall klar durchbricht, scheint die CDU zu sein. Hier war jede zweite Drucksache regionsbezogen: 50 für Pankow, 42 für Weißensee und nur 13 für Prenzlauer Berg. Bei den Linken hingegen ist die Prenzlauer Berger Übermacht geradezu erdrückend. 115 Drucksachen zu diesem Altbezirk stehen 55 aus Pankow und nur 14 aus Weißensee gegenüber. 

 

Quote ist keine Option

 

„Ja, es gibt einen leichten Überhang im Süden“, sagt Daniela Billig, Fraktionsvorsitzende der Grünen-Fraktion in der BVV. Die meisten ihrer Verordneten kämen tatsächlich aus Prenzlauer Berg, was aber nichts daran ändere, wie sie beteuert, „dass uns der Norden auch am Herzen liegt“. Nicht zuletzt, weil es dort gelegentlich noch um das alte grüne Anliegen Naturschutz gehe. Billig hat das Gefühl, dass der Norden zunehmend für die Bezirkspolitik an Bedeutung gewinne, und sicher sei es auch gut, wenn sich das bei der nächsten BVV-Besetzung auch bei den Grünen niederschlage. „Über eine Quotenregelung haben wir da aber noch nicht nachgedacht.“ Billig schiebt noch nach, dass im Vergleich zur Mitgliederverteilung der Grünen über den Bezirk der Norden sogar „überproportional wichtig“ sei – was freilich auch nur heißt, dass Pankower Grüne ganz auffallend häufig in Prenzlauer Berg wohnen.

Sören Benn, Bezirksvorsitzender der Linken in Pankow, kennt das Gefühl einer südlichen Übermacht im Bezirk. „Als ich als ehemaliger Weißenseer in der BVV saß, hatte ich auch immer den Eindruck hat, es ginge vorrangig um den Prenzlauer Berg“, sagt er und ergänzt: „Mit Abstand betrachtet halte ich das für Quatsch.“ Nicht einmal jeder zweite Linken-Verordnete in der BVV sei aus Prenzlauer Berg, „ein weit entfernter Ortsteil wie Buch, aus dem es kaum Verordnete gibt, steht zum Beispiel immer wieder sehr im Fokus der BVV“. Benn glaubt, dass es „zivilgesellschaftliches Engagement“ im alten Dissidentenstadtteil Prenzlauer Berg eine „ausgeprägtere Traditionen“ als im restlichen Pankow habe, allerdings hole der Norden „inzwischen auf“. Ebenso wie die Grüne Billig erwägt Benn keine Quotierung. Politische Prioritäten hängten „nicht prioritär am Wohnort der Verordneten, sondern an ihrer fachlichen Qualifikation“, sagt er.

 

CDU: Im Norden aktivere Mitglieder

 

Anders sieht das Johannes Kraft, Fraktionschef der CDU in der BVV. „Ich glaube schon, dass es eine übermächtige Fraktion aus Prenzlauer Berg in der BVV gibt“, sagt er, „das ist aus meiner Sicht auch tatsächlich ein Problem“. So sei schon zu fragen, „wie groß das Interesse an Ortsteilen wie Französisch-Buchholz oder Buch ist?“, außerhalb von rechtsradikalen Umtrieben, die hier gerne mal die Politik und Initiativen auf den Plan riefen. „Wir sind die einzige Partei, die sich um den ganzen Bezirk kümmert“, sagt Kraft selbstbewusst. Dass das auch mit mangelndem Wählerpotenzial im links-sozialdemokratisch-grün dominierten Prenzlauer Berg zu tun haben könnte, bestreitet Kraft. Er verweist auf das überraschend starke Abschneiden der CDU in Prenzlauer Berg bei der vergangenen Bundestagswahl. Die CDU landete hier auf einem guten zweiten Platz vor der SPD und hinter den Linken. Auch gebe es in der CDU Pankow mehr Mitglieder in Prenzlauer Berg als in den anderen Altbezirken – nur seien die im Norden offenbar etwas aktiver, so Kraft.

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