Der ferne Norden von Prenzlauer Berg hat nun auch seine BI. Solches Engagement ist wichtig. Doch es darf nicht nur darum gehen, Probleme vor die Tür Anderer zu verlagern.
Wer in Prenzlauer Berg wohnt, muss damit rechnen. Mag man sich auch in die hinterste Ecke des Ortsteils verzogen haben, irgendwann holt sie einen ein, die Bürgerinitiative.
Wir haben jetzt auch eine.
Ein sicheres Anzeigen dafür, dass man bürgerinitiativisiert wurde, sind Aushänge in den Hauseingängen, gefolgt von sorgsam per Hand zugeschnittenen Flyern im Briefkasten gefolgt von noch mehr Aushängen. Wenn ich mir das darin geschilderte, ich zitiere, „bedrohliche Szenario“ korrekt ausmale, wird unser Viertel bald von einer Armee Monstertrucks in einer riesigen Smogwolke begraben. Kinder werden elendig ersticken, arme Hausfrauen stundenlang an Querungen ausharren müssen, weil sie und ihr Einkaufstrolley vor lauter Autos einfach nicht über die Straße kommen, während sich verzweifelte Vatis auf der Suche nach Parkplätzen in das Verkehrschaos einreihen müssen. Darüber werden wir alle taub werden, Krupp-Husten und Nagelpilz bekommen, und wer ist schuld an der Misere? Die Politik! Von der niemals die Rede sein darf, ohne sie undemokratisch und selbstherrlich zu nennen.
Keiner lebt für sich allein (in einer Großstadt)
Erfahrene PBN-Leser wissen natürlich längt, worum es hier überhaupt geht: In den kommenden Wochen wird begonnen, die sanierungsbedürftige Bösebrücke zu flicken, und damit einher geht die Einrichtung einer Umleitung durch die Malmöer Straße. Um die Lärmbelästigung für die Anwohner möglichst gering zu halten, hat man dort in den vergangenen Wochen das Kopfsteinpflaster durch Asphalt ersetzt. Dennoch wird es das sonst sehr ruhige Viertel beeinflussen, wenn über zwei Jahre die Hälfte des Verkehrs durch die Straße zieht, der sonst die Bornholmer Straße entlang rollt. (Für die andere Hälfte bleibt die Brücke in eine Fahrtrichtung geöffnet.)
Nun ist es nicht so, als sei ich ein riesiger Fan davon, plötzlich statt in einer Straße am Ende der Welt an einer Hauptverkehrsader zu leben. Doch als ich mich vor Jahren entschloss, in ein Altbauviertel zu ziehen, hatte ich die Vermutung, dass dort auch etwas alt sein könnte, das ab und an einer Sanierung bedarf.
Es mag daran liegen, dass ich für eine Zeitung schreibe, die seit Jahren über die beängstigende Baufälligkeit der Bösebrücke berichtet, aber ich bin großer Fan, dass das nun endlich angegangen wird. Dass das für mich persönlich Einschränkungen mit sich bringt, nervt mich ebenso wie die seit Wochen gesperrte Nord-Süd-S-Bahntrasse und die schleppenden Klavierfortschritte des Nachbarkindes. Doch man kann nicht in einer Großstadt leben und sich ernsthaft darüber beschweren, wenn man dort nicht alleine ist und alles bestimmen kann.
Meet the NIMBYs
Die Bürgerinitiative scheint das etwas anders zu sehen. In einer ersten Wutwelle forderte sie in etwa (der dazugehörige Flyer ist leider mittlerweile verschwunden), die Notwendigkeit von Bauarbeiten in Zukunft per Bürgerentscheid beschließen zu lassen. Das erinnerte mich an eine der erste BIs überhaupt, die es in dieser Stadt gegeben haben soll. Im 19. Jahrhundert soll diese sich gegen die Anlage einer Kanalisation verwehrt haben – Nase und Seuchenschutz bedanken sich jeden Tag, dass dies ohne Erfolg geschah.
Mittlerweile hat man sich auf das Heraufbeschwören des beschriebenen Horrorszenarios verlagert, welches vorrangig dem Zweck dient, das Problem mit vereinten Kräften an einen anderen Ort zu verlagern. So lautet einer ihrer Vorschläge, die Umleitung über die Hauptverkehrsstraßen zu führen. Ich habe das mal kurz nachgeschlagen: Den Verkehr wie geplant über die Jülicher und Malmöer Straße zu lenken, entspricht einem Umweg von einem Kilometer. Die Alternative über die Bad-/Brunnen- und Bernauer Straße sowie die Schönhauser Allee wäre mehr als zweieinhalb mal so lang. Zudem müssten sich die Wagen dort in den üblichen Rushhour-Stau einreihen. Wer sich ernsthaft um die Luft in dieser Stadt Gedanken macht, kann das nicht wollen.
Darüber hinaus hat mich ein weiterer Hinweis stutzig gemacht: Man wolle die Bürgerinitiative Kastanienallee kontaktieren und von deren Erfahrungen profitieren. Über Monate hinweg war dieser gelungen, anstehende Sanierungsarbeiten an der Straße aufzuhalten, weil sie um deren ramschigen Charakter fürchteten. Einige vergebliche Unterschriftenaktionen später wurde klar, dass hier zehn Leute und ein DJ den kompletten Kiez auf Trapp hielten, während eine schweigende Mehrheit nur wollte, dass die Baustellen endlich angegangen und abgehakt wird.
Mehr Informationen, bessere Laune
Bürgerinitiativen sind wichtig. Die Politik benötigt ein Korrektiv vor Ort, das die Bedürfnisse und Ängste von Anwohnern vermittelt. Sie müssen aber zwei Dinge anerkennen: Probleme einfach nur vor eine anderen Haustür zu verlagern, kann keine Lösung sein. Und nur weil sie das Wort „Bürger“ im Namen tragen, haben sie nicht automatisch die Mehrheit hinter sich. Man kann Politiker so sehr hassen, wie man mag. Aber im Gegensatz zu einer Bürgerinitiative wurden sie gewählt.
Wie kommen wir nun zu einem versöhnlichen Schluss? Politik und Verwaltung könnten dabei helfen. Viel Wut gegenüber anstehenden Baumaßnahmen beruht auf mangelnder Information. Der Bürger von heute ist nicht mehr zufrieden, wenn man ihm am Tag des Baubeginns einen Zettel an die Tür hängt. Man nehme eine kleine Info-Veranstaltung mit Diskussionsmöglichkeit, und schon sind alle viel besser gelaunt. Manch Anwohner als Experte für die Verhältnisse vor Ort hat sicher eine gute Idee beizutragen.
Doch es kann nicht sein, dass eine kleine Gruppe mit viel Tagesfreizeit darüber bestimmt, ob baufällige Brücken saniert werden müssen oder nicht. Hier geht Sicherheit für alle vor das Ruhebedürfnis des einzelnen.
Vielleicht sollte ich diesen Satz bei Gelegenheit mal an die Haustür hängen. Seitdem jemand mir Unbekanntes die letzte Plakataktion der BI beseitigt hat, ist dort nämlich wieder Platz.