Bis zum Schluss

von Thomas Trappe 9. Dezember 2014

Ein Prenzlauer Berger soll 15 Euro wegen Falschparkens zahlen. Seit drei Jahren weigert er sich, und saß deswegen schon im Gefängnis. Er will weiterkämpfen, koste es, was es wolle.

Dinge, die dem Gegenwert eines Tages Gefängnisses entsprechen: Eine Schachtel Zigaretten und zwei Bier. Es ist schweinekalt, der Mann mag trotzdem draußen sitzen, auf den Trottoir einer einfachen Bar am Kollwitzplatz, was dazu führt, dass der Reporter sich hernach eine Woche mit einer Erkältung plagt und sich eine Frage stellt, von der er meint, dass sie sich der Mann mit dem Bier und den Zigaretten vielleicht auch mal stellen sollte. Frage: Junge, ist es das wirklich alles wert? Ist es wert, sich so zu unterkühlen, für eine Geschichte über einen Mann, der lieber ins Gefängnis geht, als 15 Euro für ein Knöllchen zu bezahlen? Und, Mann, ist es das wert, wegen so eines Mists ins Gefängnis zu wandern? Zweimal ja. Und so saßen wir da, der Herr Querulant, der seine Geschichte erzählt, und einer, der sie aufschreibt, weil er denkt, dass es ja mal ganz wichtig wäre, Folgendes festzuhalten. Man kann wegen Falschparkens in Prenzlauer Berg ins Gefängnis kommen. Immer und immer wieder, wenn es sein muss.

Der Mann hat nichts dagegen, wenn er namentlich genannt wird, aber es gibt gute Gründe, das jetzt mal zu unterlassen. Der wichtigste ist der, dass man nichts hochkochen will und so riskieren würde, dass er noch mehr Schriftverkehr mit Behörden des Bezirks, des Landes, der Bundesrepublik, der Europäischen Union, des Europarats, den Vereinten Nationen und diversen anderen Organisationen ansammeln muss. Nennen wir ihn also einfach Herr Müller, und warum soll man sich bei Pseudonymen eigentlich immer einen Vornamen ausdenken, der eh nicht stimmt. Herr Müller also las einen Text auf unserer Seite zum Thema Parkraumbewirtschaftung, und meldete sich. Er sei wegen 15 Euro verhaftet worden, schrieb er, und damit wegen eines Vergehens, das er nicht begangen habe. Fünf Zeugen gebe es dafür. Man trifft sich also, denn eines ist die Geschichte ja auf jeden Fall, egal, wie man sie wendet: Abenteuerlich. Es wird sich später zeigen: Sie ist grotesk.

 

Anzeige gegen Kontrolleurin

 

Zu den Fakten, die sind erstmal ein wenig profan. Am 11. November 2011, und ja, kurz nach 11 Uhr abends, bekam Müller in der Dunckerstraße einen Strafzettel, 15 Euro sollte er zahlen. Das ist zwischen Ordnungsamt und Müller unstrittig, alles andere nicht. Müller nämlich sagt, dass nicht, wie vom Ordnungsamt angegeben, er bereits um 22.21 sein Auto geparkt hätte, sondern gegen 23.20 Uhr, also kurz bevor er den Strafzettel bekam. „Das hätte die Kontrolleurin auch leicht feststellen können, wenn sie ihre Hand auf die Motorhaube gelegt hätte.“ Er hätte damit also nicht geparkt, sondern nur gehalten, meint er. Müller legte Widerspruch gegen den Bescheid ein, mit den Angaben, dass er am fraglichen Abend zu einem Abendessen in Alt-Moabit gewesen sei und zweitens mit dem Hinweis, dass er kurz zuvor eine Anwohnervignette beantragt habe und noch auf deren Zustellung wartete. Auf Aufforderung der Polizei konnte er dann auch eine unterschriebene Zeugenaussage beisteuern. Tatsächlich, so erklärte seine Steuerberaterin schriftlich, habe sie Herrn Müller bis 22.15 Uhr zusammen mit vier anderen Gästen bewirtet.

Daraufhin bekräftigte die Mitarbeiterin des Ordnungsamtes ein einem schriftlichen Bescheid, dass das Auto sehr wohl schon 22.21 Uhr gestanden habe. „Um 23.25 Uhr tippte ich zum zweiten Mal das angegebene Kennzeichen in mein mobiles Datengerät ein“, erklärte sie. „Eine Verlängerung ist nur möglich, wenn das angegebene Kennzeichen identisch ist. Somit ist ein Ablesefehler meinerseits ausgeschlossen.“ Zudem habe im Auto ein handgeschriebener Zettel gelegen, auf dem gestanden habe, dass ein Antrag auf eine Anwohnervignette gestellt sei. Allerdings weicht diese Angabe von einer ersten schriftlichen Stellungnahme der Kontrolleurin ab. Dort hieß es noch, dass „lediglich ein handgeschriebener Antrag auf Ausstellung einer Anwohnervignette“ gesehen worden sei. Rechtlich macht beides wohl kein Unterschied, nährt aber Müllers Zweifel an der Zuverlässigkeit der Angaben der Parkraumüberwachung. Er zeigte die Kontrolleurin dann wegen „Vollstreckung gegen Unschuldige“ an, und verlangte zudem die Herausgabe der Daten des Kartenlesegeräts. Bis heute warte er darauf, sagt er, während er in seinem Ordner mit hunderten kopierten Dokumenten kramt. Auch das alles zusammenzustellen hat wahrscheinlich schon Materialkosten von mehr als 15 Euro verursacht.

 

Kreislaufzusammenbruch, als die Polizei kam

 

Müller schrieb weiter Briefe, an das Ordnungsamt, ans Gericht, die Polizei, an jede Stelle, die auch nur entfernt mit dem Fall zu tun haben könnte. Die Staatsanwaltschaft hatte zwischenzeitlich die Ermittlungen gegen die Kontrolleurin eingestellt, mit der Begründung, es lägen keine Anzeichen für eine Straftat vor. Inzwischen waren fast zwei Jahre ins Land gegangen, als Müller 2013 Post vom Amtsgericht Tiergarten bekam, in der Erzwingungshaft angekündigt wurde. Es wurde ihm eine Frist für einen Widerspruch eingeräumt, was Müller wohl auch wahrnahm. Wieder kramt er zwischen unzähligen, meist formlosen und handgeschriebenen Zetteln herum, die zu systematisieren jetzt man schon längst aufgegeben hat.

Es ging nochmal ein gutes Jahr ins Land, Müller hatte vielleicht schon nicht mehr damit gerechnet, doch am 22. Juli dieses Jahres, einem Dienstag, kam die Polizei. Zwei Beamte hätten geklopft, berichtet Müller von dem denkwürdigen Tag. „Ich habe zuerst nicht die Tür aufgemacht“, sagt er, dann, als er die Polizisten reinließ, habe er einen Kreislaufzusammenbruch erlitten, „was mir von der Polizisten wiederum als Widerstand gegen die Staatsgewalt ausgelegt wurde“, so seine Version der Vorgänge. „Und dann haben sie mich nach Plötzensee gebracht“, eine JVA des offenen Vollzugs im Wedding. Im Gefängnis habe er dann von 11 Uhr bis 10 Uhr am nächsten Tag gesessen, „ohne was zu essen“. Zwar sei ihm etwas angeboten worden, gleich zum Haftantritt, „aber in so einer Situation konnte ich nichts essen. Und danach kriegte ich nichts mehr.“ Zudem habe er einen Arzt verlangt, wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, die seinen Aufenthalt im Gefängnis verbiete. Als das nicht fruchtete, habe er – auch ohne Erfolg – nach einem Staatsanwalt gefragt. 

 

Müller fühlt sich gefoltert

 

Wichtig zu wissen ist, dass die Erzwingungshaft nicht davon befreit, den Strafzettel zu zahlen. Doch mit der Haft bekam der Kampf Müllers gegen die Behörden eine völlig neue Dimension: Jetzt kämpfte er nicht nur gegen das Knöllchen, sondern auch gegen das Unrecht, dem er sich durch die Gefängnisstrafe ausgesetzt sieht. Er hat da wirklich schon sehr viel geschrieben in den letzten Monaten. Straßburg und Genf sind Adressen, an die er auch noch denkt. An die Staatsanwaltschaft zum Beispiel formuliert er einen Brief, in dem er die seelischen und psychischen Grausamkeit im Gefängnis anprangerte, das Wort Folter dick unterstrichen.

Am Ende des Gesprächs kommt Müller noch auf andere Sachen zu sprechen, und spätestens hier ahnt man, dass die Sache mit dem Parkzettel nur die Spitze eines Eisberges ist und dass irgendwas im Leben Müllers vor einer ganzen Weile schrecklich schief gelaufen sein muss. Von einem „Vernichtungsterror“ spricht er, den der Staat gegen ihn bereits seit neun Jahren führe. Ein Trauma wegen Polizisten, die Gerichtskosten bei ihm eintreiben wollten, führt er an. Und dann noch eine geplatzte Ader im Kopf wegen all des Stresses, „seitdem habe ich hier eine Titanplatte im Kopf“.

 

15 Euro kaum der Rede wert

 

7100 Stunden, also ein dreiviertel Jahr, habe ihn das schon alles an Arbeitszeit gekostet, so seine Berechnung. Zum Beispiel musste er Mahnbescheide gegen das Land Berlin verfassen oder Petitionen an den Bundestag, in dem die Einhaltung der Menschenrechte gefordert wird. Sein Ziel ist es, diese Arbeitskosten wieder vom Staat einzutreiben. „Die haben meine Existenz zerstört“. Tatsächlich scheint das Knöllchen in der Dunckerstraße da so etwas wie eine Zäsur zu bedeuten, zumindest besteht eine auffällige zeitliche Koinzidenz: Weniger als zwei Wochen nach dem Strafzettel wurde Müller arbeitsunfähig erklärt, erhält seitdem Sozialhilfe. Dagegen geht er auch gerade vor, warum, das versinkt in einem Brummen im Kopf, das man inzwischen wegen all dieser Ungeheuerlichkeiten und schwersten Menschenrechtsverbrechen verspürt.

Man verlässt das Interview etwas ratlos, und zitternd wegen der Kälte. Was macht man mit dieser Geschichte? Aufschreiben wohl. Die Ahnung verfestigt sich zu einer Gewissheit. Herr Müller, das wird nicht gut ausgehen, dürfte ich die 15 Euro nicht vielleicht spendieren, liebes Gericht? Wahrscheinlich nicht. Behörden sind stur, das ist ihre Aufgabe. Und Menschen können sich festbeißen. Er will weiter kämpfen, sagte Müller zum Abschied. Und natürlich, es gehe ums Prinzip. Die 15 Euro, die seien ja wirklich kaum der Rede wert.

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1 Kommentar

F. Lorenz 10. Oktober 2022 at 5:26

Jeder kann da Geld spendieren. Der Justiz bzw. dem Staat ist es egal woher das Geld für eine Ordnungswidrigkeit oder Strafe herkommt. Es kann auch aus kriminell erlangten Mitteln kommen, die selbstverständlich auch korrekt versteuert sein müssen.

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