Der alte Fritz

von Juliane Schader 2. Dezember 2014

1933 verlor der jüdische Lehrer Fritz Wachsner seinen Job, 1942 wurde er in Riga ermordet. In seinem alten Schulgebäude ist heute die Humboldt-Gemeinschaftsschule untergebracht, die nun an ihn und 100 Jahre Schulgeschichte erinnert.

Es ist ein Foto aus glücklichen Tagen, das sie da in der Aula aufgestellt haben. Ein freundlich dreinblickender Mann in Anzug mit Schnauzer, auf den Schultern die junge Tochter mit einer viel zu großen Schleife im Haar. Das war, bevor Fitz Wachsner, Berliner jüdischen Glaubens, im April 1933 seinen Job an der Schinkel-Oberrealschule verlor, die damals in dem Schulgebäude in der Erich-Weinert-Straße 70 residierte.

Heute ist dort die Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule untergebracht, die in der vergangenen Woche den 100. Geburtstag ihres Gebäudes feierte. In einem großangelegten Schulprojekt hatten sich die Schüler mit der Geschichte ihres Hauses beschäftigt und waren dabei auch auf die von Fritz Wachsner gestoßen – 1886 in Berlin geboren, 1920 als Lehrer an die Schinkel-Schule gekommen, 1933 aus dem Schuldienst entlassen, 1942 gemeinsam mit seiner Frau Paula nach Riga deportiert und ermordet.

 

„Four Girls from Berlin“ für Hollywood

 

2014 wurde nun die frisch renovierte Aula seiner einstigen Schule nach ihm benannt. Seine Enkelin Marianne Meyerhoff war zu diesem Anlass extra aus Los Angeles angereist, wohin ihre Mutter vor den Nazis geflohen war. Um die zurückgelassenen Eltern in Berlin kümmerten sich derweil drei Freundinnen, die trotz Verbots das jüdische Ehepaar Wachsner besuchten und ihm Essen brachte. „Four Girls from Berlin“ heißt das Buch, das die Enkelin über die Geschichte ihrer Familie geschrieben hat. Derzeit arbeitet sie mit einem Hollywood-Produzenten an der Verfilmung.

Auf Deutsch hielt Meyerhoff eine kleine Rede, erinnerte an ihren Großvater, den sie „den alten Fritz“ nennt, und an die große Kiste aus Berlin, die 1945 in Los Angeles eingetroffen war. Die drei Freundinnen der Mutter hatten sich nicht nur um die zurückgelassenen Alten gekümmert, sondern auch persönliche Gegenstände gerettet – Fotos, Briefe und Zeugnisse, aus denen hervorging, dass Lehrer Wachsner selbst kein guter Schüler war.

Dass sich heute wieder junge Menschen für die Geschichte ihres Großvaters interessierten, freute Meyerhoff sichtlich. Was die Schüler aus der Lebensgeschichte Wachsners zusammengetragen hatten, war im Vorraum in einer kleinen Ausstellung zu sehen. Zudem werden die Ergebnisse der Arbeit in dieser Woche dem Archiv des jüdischen Museums übergeben. Auch ein Stolperstein wird in Zukunft vor dem Schulgebäude an den Lehrer erinnern.

 

Berufswunsch: Hausfrau und Mutter

 

Dass die Schule in den 100 Jahren ihres Bestehens nicht nur unterschiedliche Staatsformen, sondern auch sehr verschiedene pädagogische Ansätze gesehen hat, zeigte ein kleines Theaterstück, das ebenfalls Teil des Festakts zur Umbenennung der Aula war. Das bezopfte Mädchen aus dem Kaiserreich, das eine gute Hausfrau und Mutter werden wollte, saß da neben dem Jungen im FJD-Hemd und dem modernen Schüler im Kapuzenpulli, der sein Lernen selbst organisiert, in der Schulbank. „Es ist wichtig zu wissen, wie es früher war. Unsere Schule hat es erlebt“, hieß es am Ende.

Doch so unterschiedlich die Zeiten auch waren – manche Probleme kommen einem auch heute sehr bekannt vor. Schon in den 1920er Jahren kämpfte die Schule mit steigenden Schülerzahlen und musste einige Klassen in andere Gebäude auslagern, wie Schulleiterin Gabriela Anders-Neufang in ihrer Rede erzählte. Der Wunsch, die Realschule um einen gymnasialen Zweig zu erweitern, wäre daran fast gescheitert.

 

Spielen wie vor 100 Jahren

 

Ähnlich ergeht es der 2008 als Pilotprojekt gegründeten Gemeinschaftsschule auch heute: Die Schüler, die bereits in der ersten Klassen an der Humboldt-Schule anfangen, möchten gerne bis zum Abitur bleiben. Um einen gymnasialen Zweig aufzubauen, fehlen derzeit aber die Räumlichkeiten. Um eine Lösung wird noch gerungen.

Zum 100. Geburtstag wollte man sich mit solchen Sorgen aber nicht zu sehr belasten. Dafür wurde die Straße vor der Schule gesperrt, um noch einmal zu zeigen, wie es in Berlin 1914 aussah, als dort noch keine Autos parkten. Die Schüler, die so viel Zeit und Arbeit in die Erforschung der Schulgeschichte gesteckt hatten, durften dort spielen wie vor 100 Jahren, Hüpfekästchen und Reifentreiben inklusive.

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