In Prenzlauer Berg ist die Spielplatzversorgung inzwischen unzumutbar, und es wird schlimmer werden. Das liegt auch daran, dass die Großen ihre Ruhe haben wollen. Was ist hier eigentlich los?
Prenzlauer Berg hat ein Demografieproblem. Es gibt zu viele Kinder. Jedenfalls, nimmt man die zur Verfügungen stehenden Prenzlauer Berger Spiel- und Tobeflächen zum Maßstab. Die sind so überfüllt und in einem dermaßen schlechten Zustand, dass sich das Problem vielleicht bald selbst löst: Abgebauter Spielschrott schafft Platz, auf dem man wiederum die Kinder zum Spielen stapeln kann. Nun gut, keine echte Lösung, aber den Weg in den Sarkasmus ist einer, den viele Prenzlauer Berger Eltern inzwischen gehen müssen. Denn die Spielplatzsituation ist eine Katastrophe. Damit korrespondiert, dass es mit der Kinderfreundlichkeit hier auch nicht so weit her ist, vor allem in den besseren Ecken des Stadtteils. Hier legt man offenbar vermehrt Wert auf Ruhe, wozu wohl auch die Abwesenheit von Kinderlauten gehört.
Die wachsende Bevölkerungszahl im Bezirk Pankow (Berlin-Rekord) und im Stadtteil Prenzlauer Berg (Bezirks-Rekord) ist Erfolgsgeschichte und Klagelied in einem. Erfolg deshalb, weil sich die Kommunalpolitik gerne die Beliebtheit des verwalteten Bereichs zugute hält, Klage deshalb, weil sie diesen Erfolg nicht so recht verkraftet. Seit Jahren schon hechelt der Bezirk den Prognosen hinterher, öffnet Schulen und Kitas, notfalls auch Container, immer mit der Botschaft, dass auf Kante genäht wird. Bis jetzt klappte das immer ganz gut, was wohl auch an fließenden Sanierungs- und Ostfördergeldern der letzten Jahre lag, mit denen, und damit zurück zum Problem, zum Beispiel mannigfaltige Spielplätze errichtet werden konnten. Das ist jedoch inzwischen bei vielen Plätzen viele Jahre her, dazwischen lag Verschleiß und viele weitere unverhoffte Geburten. Keine ideale Kombination, wie sich jetzt zeigt: Es gibt zu wenig Platz, und der verbliebene ist überfüllt und teilweise unzumutbar.
Spielgeräte kollabieren, Glasscherben im Sand
Gerade hat das Bezirksamt Zahlen veröffentlicht, eine Liste mit den stark frequentierten Spielplätzen. Etwas weniger als hundert werden für den gesamten Bezirk, elf Ortsteile, aufgelistet. Und 45 davon befinden sich in Prenzlauer Berg. Bereits Ende Juli hatte das Amt mitgeteilt, dass nur jeder fünfte Spielplatz hier auf dem neuesten Stand sei. Es bestehe „hoher Bedarf, die Spielplätze, die noch nicht überarbeitet worden sind, zu überprüfen“. Sie müssten dann entweder erneuert oder komplett ausgetauscht werden. Im Schnitt müssten die stark genutzten Prenzlauer Berger Plätze alle sechs Jahre saniert werden, die anderen alle zehn. Noch kürzer seien die Intervalle bei Plätzen mit Holzspielgeräten, da die schneller verschlissen. Doch für all das ist nur ein Bruchteil des nötigen Gelds vorhanden.
Die Folgen sind überall in Prenzlauer Berg sichtbar. Um die Sicherheit der Kinder nicht zu gefährden, müssen Spielgeräte gesperrt werden wie derzeit am Falkplatz, oder komplett abgebaut wie am Arnimplatz. An der Marienburger Straße konnte das große Spielschiff vor einer Woche nur wieder in Betrieb genommen werden, weil Eltern Geld spendeten. Der Bezirk ist finanziell hoffnungslos überfordert, wie er in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Bezirksverordneten Roland Schröder (SPD), Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses, gerade deutlich machte. Eventuell könnte im kommenden Jahr der Spielplatz am Arnimplatz repariert werden, heißt es dort.
Dann werden aber wahrscheinlich schon die nächsten Geräte kollabieren, die für mittlere fünfstellige Summen repariert werden müssten. Schon gar kein Geld bleibt derweil für die Pflege der Spielplätze, wie bereits im Juli deutlich gemacht wurde. Mit der Folge, dass die Plätze auch noch verwahrlosen. Zum Beispiel an der Marie: Eine Leserin berichtet, dass sie immer öfter Flaschen und Glasscherben auf dem Platz findet, weil hier Jugendliche abends feiern. Aus einem ähnlichen Grund wurde kürzlich auch der bis dahin öffentliche Schulhof im Gleimviertel geschlossen.
Bürger beschweren sich wegen Bobbycars
Die Tendenz ist klar: Immer mehr Menschen nutzen immer weniger Freiflächen in Prenzlauer Berg, ein generelles Problem der Verdichtung, dessen Folgen jetzt offenbar die Kinder ertragen müssen. Dabei geht es augenscheinlich um mehr als ein paar Buddelkästen, Schaukeln und Rutschen – sondern um die grundsätzliche Frage, wie tolerant die Bewohner des Stadtteils gegenüber Kindern sind. Darauf gab es Berlin ja schon einige unrühmliche Antworten, zum Beispiel brennende Kinderwagen oder auch mal Schall- und Sichtschutzwände an Bolzplätzen. Im Bezirk Pankow, das erklärte kürzlich der Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Christian Gaebler (SPD) auf eine schriftliche Anfrage im Abgeordnetenhaus, gab es zuletzt zum Beispiel eine Beschwerde wegen der Nutzung eines Bobbycars. Man muss sich das mal bildlich vorstellen: Ein Kind fährt Bobbycar und ein geschäftsfähiger Mensch setzt deswegen ein Schriftstück ans Amt auf.
Gaebler erklärte auf die Anfrage auch noch, „dass Konflikte im Zusammenhang mit Geräuschimmissionen, die durch Kinder und Jugendliche verursacht werden, mit Hilfe der bestehenden rechtlichen Instrumente im Einzelfall gelöst werden können“. Und: „Im Bedarfsfall sind daher kooperative Einzelfalllösungen möglich, die zu einem Interessenausgleich führen und im Regelfall eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden.“ Wie absurd: Geräusche von Heranwachsenden werden gegen das Ruhebedürfnis Erwachsener – wohlgemerkt tagsüber – abgewogen. Um es klar zu sagen: Das ist natürlich Blödsinn. Kinder müssen – und das geht nicht ohne Krach – ihre Umwelt erlernen. Und Erwachsene müssen sich damit arrangieren. Nicht umgekehrt. „Gerichtliche Verfahren,“ erklärt Staatssekretär Gaebler dann noch, „die Geräuschimmissionen von Kindern zum Gegenstand haben, werden in Berlin nur in Einzelfällen geführt“. Na, immerhin.
Kinder stören in der Hinterhöfen und auf den Straßen
Sich gegen Kinderlärm zur Wehr zu setzen, funktioniert also immer noch in Berlin, und in Prenzlauer Berg offenbar besonders gut. Unter anderem kann man damit erreichen, dass keine weiteren Kitas eröffnet werden, auch wenn die mehr als dringend gebraucht werden – zu sehen an der Antwort des Pankower Stadtrats für Stadtentwicklung Jens-Holger Kirchner (Grüne) auf die oben erwähnte kleine Anfrage des Ausschussvorsitzenden Schröders. Dort ging es auch um die Tatsache, dass der Bezirk keine neuen Kitas mehr um den Helmholtz-, den Kollwitz- und den Humannplatz genehmigt, sofern diese keine eigenen Freiflächen vorhalten können. Man habe sich „die Entscheidung nicht leicht gemacht“, erklärte daraufhin Kirchner und begründete die Auswahl der Sperrbezirke mit mehreren „Entwicklungstendenzen“.
Erstens eine „starke Lärmbeeinträchtigung der Anwohner durch die Hole- und Bringesituation“, zweitens „erschwerte Bedingungen bei der Gewährleistung des Kinderschutzes auf überfüllten öffentlichen Spielplätzen“, drittens eine „Beeinträchtigung der privaten Hofsituation der Anwohner durch die Nutzung der Höfe durch Kitas“, und viertens die „Reduzierung der Nutzflächen für die Bewohner durch das Abstellen von Rädern und Bollerwagen, Kinderwagen der Kitas auf Höfen und Gehwegen.“ Zusammengefasst: Kinder stören auf Spielplätzen, in Hinterhöfen, und irgendwie auch auf Straßen und Fußwegen. Und ein bisschen Sorgen machen wir uns auch.
Spielplatz am Arnimplatz: Hier wurde ein Großteil der Geräte abgebaut. (Foto: tt)
Stadtrat Kirchner erklärt auf Nachfrage, dass es bei der ausgesprochenen Kita-Sperre nicht vorrangig um Lärm gehe, sondern um die Abnutzung der Spielgeräte. Für deren Pflege und Bereitstellung bekämen Kitas auch Geld. Würden die Kinder auf öffentliche Flächen ausweichen, „muss dafür dann die Allgemeinheit aufkommen, und die Kitas behalten das Geld“. Dem Vorwurf, der Bezirk würde Kinderlärm als Beschwerdegrund anerkennen, wiederspricht Kirchner. „Es geht da meist um andere Dinge, zum Beispiel um blockierte Feuerwehreinfahrten.“ Kirchner sagt, dass nach derzeitigem Stand in den kommenden Monaten keine weiteren Spielgeräte abgebaut werden sollen, was sich natürlich ändern könne, würden über den Winter weitere Schäden offenbar. „Dass es zu wenig Spielmöglichkeiten gibt in Prenzlauer Berg, kann man aber nicht bestreiten.“ Allerdings sei die Situation „tausendmal besser als vor zwanzig Jahren“. Allerdings galt damals Prenzlauer Berg auch noch als Szene-, nicht als Familienbezirk.
Kinder sollen auf der Straße spielen
In der Gudvangerstraße haben sich Eltern inzwischen auf eine andere Lösung fokussiert. Sie hadern seit Jahren mit mangelhaften Spielgeräten, derzeit ganz akut durch die Situation am Arnim- und Falkplatz. Eine Initiative aus Kitas, Eltern, Anwohnern und der Humboldt-Gemeinschaftsschule will ihre Kinder deshalb auf die Straße schicken. 2500 Kinder gebe es im Kiez, der „Humann-Spielplatz ist tagsüber durch Kitas und Hort, und nachmittags durch Kinder und abholende Eltern oft überfüllt“, heißt es in einem Aufruf der Initiative. In diesem wird gefordert, die Gudvangerstraße zur „temporären Spielstraße“ zu erklären, auf der einmal pro Woche gespielt werden kann. Dazu müssten an diesem Tag die Autos von der Straße verschwinden, auch die parkenden. Initiator Matthias Groh erklärt auf Anfrage, dass es zwar auch einen Hinterhof in den Häusern gebe, in dem die Kinder gerne spielten, sich deswegen aber häufig Nachbarn beschwerten, vor allem die älteren Bewohner. Neulich habe es eine erfreuliche Situation gegeben: Ein Mann habe aus dem Fenster zur Ruhe gemahnt. Gefolgt sei ein noch lauterer Ruf aus einem anderen Fenster, dass die Kinder gefälligst weiter Krach machen sollen, das gehöre sich so.
Der zuständige Stadtrat Kirchner unterstütz die Initiative in der Gudvangerstraße. „Die sollen das einfach mal anmelden, dann sehen wir ja, ob es ein funktionierendes Modell ist.“ Allerdings sei er skeptisch, ob es wirklich klappt. Immerhin müssten dafür manche Anwohner Abstriche machen. Die Gruppe um Matthias Groh macht dazu gerade eine Umfrage unter Anwohnern. Die Ergebnissen will sie dann in drei Monaten den Bezirksverordneten präsentieren. Zuständig für das Anliegen ist dabei nicht die Spielplatzkommission oder der Jugendausschuss – sondern der für Verkehr.