In der Winsstraße 59 hängt seit März eine sichtundurchlässige Bauplane, gearbeitet wird an der Fassade allerdings kaum. Fast alle Bewohner klagen derzeit gegen den Hauseigentümer, der die Miete vervierfachen will.
Im Sommer fährt man raus aufs Land, und diesen Sommer war es für Familie Arianne Jäger und Sebastian Pfütze ein besonderer Segen, dieses Berliner Hinterland. Durchatmen und den Himmel sehen, das sind Bedürfnisse, die zu elementaren werden können, ist man Sanierter in der Winsstraße 59. Im vergangenen Jahr berichteten wir von dieser bemerkenswerten Baustelle, deren Alleinstellungsmerkmal in Sachen Sanierungssauerei der Umstand darstellte, dass hier das teuerste Außenklo der Stadt entstehen sollte. Und tja, mit dem entstehen sollen ist es manchmal so eine Sache. Denn viel entsteht hier in der Winsstraße eigentlich nicht. Außer Frust bei den Bewohnern und das ziemlich konkrete Gefühl, unter einer Plane zu leben – denn die hängt seit März durchgängig vor den Fenstern des Hauses, sperrt Licht aus und Staub ein. „Deshalb war es ganz gut, dass wir in diesem Sommer öfters mal rausgefahren sind“, sagt Arianne Jäger, während sie in ihrer matt beleuchteten Küche sitzt und einen Kaffee umrührt, wenigstens der ist dunkler als der Rest des Raumes.
Das Haus gehört der Christmann Unternehmensgruppe aus Berlin, im Sommer des vergangenen Jahres wurde den zwei Dutzend Mietparteien mitgeteilt, dass ihr Haus energetisch saniert werden, die Struktur der Wohnungen dabei aber weitgehend erhalten bleiben soll. Ergebnis: Wohnungen mit Außenklos und in die Küche integrierte Nasszellen mit einer Miete von rund 1.000 Euro für 80 Quadratmeter. Oder eben 2.000 Euro für 120 Quadratmeter, wie bei der Wohnung von Pfütze und Jäger. Eine Vervierfachung des Mietpreises hätte das für alle bedeutet – und damit wohl den Auszug für die meisten. 22 Mietparteien klagten daher gegen die Sanierung, die Christmann Unternehmensgruppe reagierte mit Klagen auf Duldung der Maßnahme. Die Prozesse laufen jetzt gerade in der 1. Instanz an, Ende August gab es die erste Verhandlung, in der es um die Wohnung von Sebastian Pfütze und Arianne Jäger ging. Mit einem Urteil ist erstmal nicht zu rechnen.
Eigentümer äußert sich nicht
Warum die Plane nun seit März hängen muss, ist nicht unbedingt aufdringlich ersichtlich. An der Fassade passiert wenig, berichtet Sebastian Pfütze, zwei Arbeiter hätten über Wochen den Putz von der Wand geklopft, im gemächlichen Tempo. „Und dass die Folie vor Regenwasser schützen soll, ist unrealistisch. Denn bei Regen läuft es hier trotzdem die komplette Wand runter.“ Er vermutet, dass die Plane die renitenten Mieter zum Auszug bewegen soll. Fast alle hatten daher schon zu Beginn einstweilige Verfügungen dagegen beantragt. Bei manchen Bewohnern wurde danach ein Sichtloch vor die Fenster gebracht, bei anderen nicht. „Kam drauf an, welchen Richter man erwischte.“
Hinzu kommt, das schon ein ausgeprägter Hang zum Glauben an Zufälle nötig ist, um der Plane nicht einen anderen Sinn als die simple Baustellenabsicherung zuzuschreiben: Denn Ähnliches (und weit Krasseres) kann auch aus der zu sanierenden Kopenhagener Straße 46 berichtet werden – auch dort gehörte die Dauerplane offenbar zum Standard, und auch hier ist die Christmann Unternehmensgruppe verantwortlich. Die Mieter der Winsstraße stehen daher auch im engen Kontakt zu jenen in der Kopenhagener, und beide Häuser erfreuten sich in den vergangenen Monaten erhöhter Medienaufmerksamkeit.
Erste Urteile im Oktober
Eine redaktionelle Anfrage bei der Christmann Unternehmensgruppe blieb bis jetzt unbeantwortet. Die Bewohner des Hauses glauben nicht so recht, dass die Plane vor ihrem Fenster demnächst verschwinden wird, „oder wenigstens durch eine ersetzt wird, durch die man etwas sieht“, sagt Arianne Jäger. Im Oktober könnte ein erstes Urteil zur Duldungsklage des Eigentümers erlassen werden. Bis dahin werden Arianne Jäger und Sebastian Pfütze wohl noch das ein oder andere Mal aufs Land fahren.