Wem gehört das Haus?

von Thomas Trappe 26. September 2014

In der Langhansstraße haben Freiwillige in der 90er Jahren ein Kulturzentrum aufgebaut. Seitdem nutzen sie das Haus mietfrei. Jetzt hat der Bezirk den Vertrag gekündigt. Der Trägerverein fühlt sich betrogen.

René Vedder zeigt auf die Ruinen. Sie sind zu sehen auf einem Bild aus den mittleren 90ern. Grundmauern am Rand, in der Mitte nichts als Brache. Das ist also schon mal klar: Hier war früher nichts, jetzt steht hier ein Haus, zwischendurch wurde hier also tatsächlich ein Haus gebaut. René Vedder ist nicht der sortierteste Erzähler, deshalb gerät das Gespräch immer wieder aus den Fugen, wo man doch bestrebt ist, einen klaren Zeitstrahl nachzuvollziehen. Um die Frage zu beantworten, wie es sein kann, dass René Vedder und sein Verein TheMa einst unter großen Beifall von Landes- und Bundespolitikern ein Modellprojekt auf die Beine gestellt haben, das als vorbildliche Jugend- und Kulturarbeit abseits des staatlichen Tropfs gepriesen wurde, jetzt der Bezirk den Verein raus haben will und nicht aus ganz unverständlichen Gründen die Vermutung im Raum steht, dass hier eine Gruppe engagierter und betriebswirtschaftlich nicht ganz dummer Leute verarscht wurde? Fangen wir also am besten mit dem Zustand der Grundmauern an, so eine Brachfläche ist ja oft ein erfreulich eindeutiger Zustand.

René Vedder ist gelernter Regisseur und Schauspieler und künstlerischer Leiter im Hof23, besagten Kulturzentrum in der Langhansstraße 23, das vom Verein TheMa betrieben wird. 1986 gründete Vedder in Marzahn ein Theaterprojekt, im Laufe der Jahre und über die Wende hinaus kamen weitere hinzu, alle recht erfolgreich, wie er mit einer überbordenden Mappe mit Presseartikeln aus dieser Zeit beweisen kann. Auch in Prenzlauer Berg und in Weißensee war er aktiv. So dass in den frühen Neunzigern das Bezirksamt Weißensee beschloss, ein baufälliges Haus in der Langhansstraße, das es für die Jugendarbeit nutzte, an den Verein TheMa zu übergeben, dessen Geschäftsführer Vedder zu der Zeit war. „Damit sicherte der Verein die damals bedrohte Jugendarbeit in diesem Objekt“, wie der damalige Weißenseer Bürgermeister später in einem Referenzschreiben schriftlich erklärte. Der Deal: TheMa kümmert sich um die Komplettsanierung des Hauses (was in einen Abriss und Wiederaufbau mündete) und zudem die weitere Jugendarbeit. Im Gegenzug wurde dem Verein Mietfreiheit zugesichert mit der Perspektive, das Haus später in Erbpacht zu übernehmen. Die Millionen, die für die Sanierung nötig waren, versprach TheMa e.V. einzutreiben. Was auch gelang.

 

Auch Eberhard Diepgen gehörte zu den Unterstützern

 

Größter Geldgeber wurde die Deutsche Klassenlotterie, sie gab für das Projekt 1,4 Millionen D-Mark. Viele andere Förderer kamen hinzu, auch Bundes- und Landesbehörden gaben Geld, insgesamt rund 3 Millionen Mark. Geworben hatten dafür in Referenzschreiben nicht nur der Bürgermeister von Weißensee, sondern auch der Regierende von Berlin, Eberhard Diepgen (CDU). Später, zur Eröffnung, gesellte sich auch die damalige Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) mit einem Grußwort zu den Unterstützern. Dass das Vorhaben so große Aufmerksamkeit fand, lag an dem innovativen Konzept. TheMa verprach, ein „House of Fantasy“ als Bildungs- und Ausbildungsstätte für Jugendliche, Veranstaltungshaus und Kieztreffpunkt aufzubauen – Jugendarbeit im herkömmlichen Sinne war das nicht. Dafür gab es das Versprechen, dass der Verein sich und seine Arbeit selbst finanziert, selbst Fördergelder eintreibt, und auch Geld verdient, mit Konzerten zum Beispiel. Ein Konzept, in dem das eine vom anderen abhing. Die Sponsoren geben nur Geld, wenn sie wissen, dass das Bezirksamt die Immobilie überlässt, der Bezirk überlässt sie nur, wenn er weiß, dass Sponsoren die Weiterarbeit sicherstellen. Irgendwie ging es, das Geld floss. „Nur der Bezirk hielt sich nicht an die Abmachung, sondern hielt uns hin“, sagt René Vedder. 1999 wurde das Haus eröffnet, die Beziehung zwischen TheMa e.V. und Bezirksamt war da schon desolat.

Fünf Jahre zuvor, 1994, gab das Bezirksamt zunächst nur einen „Übergangsvertrag“ zur Unterschrift, auch deswegen, um den potenziellen Sponsoren etwas Sicherheit zu geben, vermutet Vedder. 1999 sei dann der zweite Vertrag vorgelegt wurden, Vedder zeigt eine Kopie des mit allerlei Handschriftlichem versehenen Entwurfs. „Dort stehen zwar die 25 Jahre drin, allerdings auch, dass es eine Zweckbindung für offene Jugendarbeit gibt. Das konnten wir nicht unterschreiben.“ Begründung: Es wären damit die Förderbedingungen der Klassenlotterie gebrochen worden, die ja ausdrücklich ein kulturelles Bildungsprojekt unterstützte. „Da wären Regressforderungen auf uns zugekommen.“ Ebenso von der Senatsverwaltung für Bildung, die das „House of Fantasy“ ebenfalls förderte.

 

Protestplakat: Jugendliche fühlen sich hintergangen

Ein Protestplakat in der Langhansstraße 23: Jugendliche fühlen sich hintergangen. (Foto: tt)

 

Es passierte also erstmal nichts, außer dass René Vedder ins Ausland ging und den Verein verließ. 2006 wurde dann doch noch ein Vertrag abgeschlossen. Nach Darstellung des Vereins überrumpelten Bezirksamtsmitarbeiter zwei mit dem Thema nicht vertraute Vorstandsmitglieder. Sie schlossen einen Vertrag, der wiederum die offene Jugendarbeit vorgab – und eine dreimonatige Kündigungsfrist. 2010 wurde Vedder dann als Berater zurückgeholt, da der Verein zunehmend unter Druck geraten sei. „Als ich den Vertrag gesehen habe, bin ich fast in Ohnmacht gefallen. Das verstieß gegen sämtliche Vorgaben, die für das Modellprojekt galten.“ Regressansprüche schienen nun wieder möglich, außerdem war von den 25 Jahren Vertragsbindung und einer Übertragung in Erbpacht keine Rede mehr. „Seitdem streiten wir uns mit dem Bezirksamt“, sagt Vedder. 

 

Offener Brief mit schwersten Vorwürfen

 

Für Vedder und die meisten anderen Vereinsmitglieder, einer von ihnen verbreitet gerade einen offenen Brief mit schwersten Vorwürfen gegen den Bezirk, ist die Misere um das Haus mit dem Amtsantritt von Christine Keil (Linke) verbunden. Sie wurde 1996 stellvertretende Bürgermeisterin Weißensees und war dort für Jugend und Kultur zuständig, 2001 übernahm sie als Stadträtin diesen Bereich im fusionierten Bezirk Pankow. „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ganz froh war, dass dem Bezirk eine Immobilie hingestellt wurde“, sagt Vedder. Im kursierenden offenen Brief ist es weit drastischer formuliert: „Nachdem nun ein schönes saniertes Haus steht, greift der Bezirk zu und versucht sich des Vereins zu entledigen.“

Christine Keil sieht das ganz anders. Die Vorwürfe „sind in jeder Position nicht zutreffend und zurückzuweisen“, erklärt sie. Über Jahre habe ihr Amt sich „mit der Arbeit in der Einrichtung und dem Konzept des Hauses auseinandergesetzt. Von Anfang an war klar, dass die Jugendarbeit, auch die offene Jugendarbeit, wesentlicher Bestandteil in der konzeptionellen Ausrichtung sein soll und dass das Jugendamt und der Kinder- und Jugendhilfeausschuss nicht den Einfluss auf die Arbeit im Haus aufgeben (können).“ Dass die Förderbedingungen der Klassenlotterie verletzt würden, sei nicht wahr. „Auch in der Zukunft soll es ein Zentrum für Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen bleiben, insofern bleibt der Förderzweck erhalten.“

 

315.000 Euro Regress drohen

 

Dem Verein wurde der Vertrag für die Langhansstraße 23 jedenfalls nun Ende Juni gekündigt, für Vedder und die rund 30 Mitarbeiter eine Kriegserklärung. Zwar sei ihnen von Amt angeboten worden, dass sich der Verein gerne um die für das Haus ausgeschriebene Jugendarbeit bemühen könne. „Aber dann würden wir uns um ein Konzept bewerben, dass die Klassenlotterie zu einem Regress zwingen würde“, sagt Vedder, das sei ihm von der Lotterie auch bestätigt worden. 315.000 Euro stünden als Summe in Raum. „Wir werden deshalb gar nichts tun. Wenn der Bezirk uns rausschmeißt, werden wir die Forderungen dorthin weiterleiten.“ Sein Verein klagt jetzt gleich mehrfach gegen das Bezirksamt: Gegen das vom Jugendhilfeausschuss ausgeschriebene Interessenbekundungsverfahren für den Betrieb des Hauses in der Langhansstraße und gegen die ausgesprochene Kündigung. Außerdem wurde eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Stadträtin Keil auf den Weg gebracht. Vor dem Haus hängen inzwischen neue Plakate, sie weisen nicht auf Veranstaltungen hin. „Ausgenutzt und abgezockt“, steht darauf. Es geht um das Bezirksamt.

 

 

NEWSLETTER: Damit unsere Leserinnen und Leser auf dem Laufenden bleiben, gibt es unseren wöchentlichen Newsletter. Folgen Sie uns und melden Sie sich hier an!

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar