Es ist nicht alles unsportlich was glänzt

von Juliane Schader 14. August 2014

Glitzernde Trikots, viel wasserfeste Schminke und der Sound von Super Mario, fertig ist die Synchronschwimm-EM. Oder? Ein Besuch bei atemlosen Leistungssportlern im SSE.

Sechs Kartenabreißer für eine Karte ist keine schlechte Quote. Zu anderen Zeiten sei hier aber viel mehr los, versichert die Dame, die mein Ticket scannt.

Kein Wunder, ich bin ja auch viel zu spät. Als ich in die Halle trete, schwimmt gerade schon die neunte von fünfzehn Teilnehmerinnen der Kategorie „Technische Kür. Solo“. Wobei der Begriff „Schwimmen“ nicht ganz passt zu der Akrobatik, die die sehr dünne junge Frau im Glitzerbadeanzug da gerade vollführt.

Womit wir das Problem umrissen hätten: Ich habe keine Ahnung vom Synchronschwimmen. Als Kind habe ich mich mal kurzzeitig für Eiskunstlaufen interessiert, was aus meiner Sicht dem, was da gerade passiert, am Nächsten kommt. Aber was will man machen, wenn die Europameisterschaft in dieser Sportart als Teil der Schwimm-EM im SSE und damit in Prenzlauer Berg gastiert und sich auf die Schnelle kein Sychronschwimm-Experte finden ließ?

 

Get in it to win it“

 

Jetzt sitze ich hier oben auf der Tribüne zwischen offenbar mitgereisten Angehörigen und Trainern, die mit kleinen Kameras jede Bewegung im Wasserbecken unter uns festhalten. Dass es stark nach Chlor riechen würde, damit hatte ich gerechnet. Dass es bekleidet in einem Schwimmbad recht warm sein könnte, hatte ich verdrängt. Nun schwitzen alle, damit diejenigen, die hier heute Sport treiben, nicht zittern.

Fairer Deal eigentlich.

Das Ganze scheint so abzulaufen: Zu Beginn der Kür tanzt die Sportlerin ein paar Takte auf einer kleinen Bühne am rechten Beckenrand, von der sie dann ins Becken gleitet, wo der Hauptteil stattfindet. Ein ganz großes Ding ist es, nur die Beine kerzengerade aus dem Wasser schauen zu lassen und sie dann mit langsamer Drehung unter die Oberfläche zu schrauben. Auch ein Spagat wider der Schwerkraft, also mit den Beinen über und dem Rest des Körpers unter Wasser taucht immer wieder auf. Gegenüber ist eine Jury an einem langen Pult zu sehen, auf dem „Get in it to win it“ steht. Sie verteilt Punkte in den Kategorien „Execution“ und „Artistic“, die nach jedem Auftritt an die Wand geworfen werden. Irgendwas mit 9 scheint sehr gut zu sein.

Auf jeden Fall hat die Russin Svetlana Romashina gerade sehr viele Neunen abgesahnt und damit Platz eins eingenommen. Zu einem deutschen Schlager ist sie durch das Wasser gewirbelt; dank der schlechten Schwimmbad-Akkustik werde ich wohl nie erfahren, ob das Lied „Pariser Tango“ oder „Bei diesem Tango“ heißt. Google beweist später, dass beides denkbar wäre. Leider bleibt aufgrund dieser Unsicherheit offen, ob Svetlana Romashina, übrigens mehrfache Olympiasiegerin in ihrer Disziplin, eher auf Vico Torriani oder Mireille Mathieu steht.

 

Keine olympischen Medaillen, kein Geld

 

Auf dem Platz neben mir sitzt ein älteres britisches Ehepaar. Sie sind extra aus der Nähe von London angereist, weil ihre zwei Enkelinnen hier dabei sind: Emily and Hannah Randall. Sie machten das beide schon seit zehn Jahren, erzählt ihre Oma. Heute sind sie 17 und 18. Wie man Synchronschwimmerin wird? „Sie haben eine Zeit lang in Kanada gelebt; da macht man das halt.“ So wie es aussehe, sei das hier aber ihr letzter großer Auftritt – nicht wegen mangelnden Talents, sondern weil dem Verband das Geld ausgegangen sei. Tatsächlich wurde den Synchronschwimmern in Großbritannien die Förderung gekürzt. Auch Basketball und Wasserpolo wurden eingespart, weil man sich keine Hoffnung auf olympische Medaillen in nächster Zeit macht.

Die erste Runde ist vorbei, am Freitag werden die Einzelkämpfer noch eine freie Kür schwimmen, am Sonntag ist Finale. Weiter geht es nachmittags mit den technischen Küren der Duette.

 

Synchronschwimm-Em

Das deutsche Team bei der Trocken-Performance. (Foto: BLN2014 OrganizingCommittee)

 

Diesmal bin ich pünktlich, was den Andrang bei der Kartenkontrolle nicht größer macht. Synchronschwimmer ist wohl doch ein Nischenthema.

Zu Beginn läuft die Jury unter fetziger Musik auf ihre Plätze. In ihren weißen Shirts und Hosen und mit den Schlappen sehen sie aus wie Zahnarzthelfer. Der frenetische Applaus, mit dem die nun einzeln Vorgestellten begrüßt werden, lässt aber ihre Prominenz vermuten.

 

Watschelndes Marschieren, natürlich synchron

 

Diesmal sind es immer zwei junge Frauen in Glitzerkleidung, die erst die Bühne ersteigen, dort Akrobatik vollführen und dann nach einem lauten Pfiff einen Kopfsprung ins Wasser wagen. Allein die Kunst, synchron drei Treppenstufen zu nehmen und dabei eine Gangart zu performen, die am ehesten als watschelndes Marschieren zu charakterisieren ist, ist beeindruckend. Von dem, was die Mädchen im Becken leisten, ganz abgesehen.

Beim Tanzen sagt man ja immer, die Frau mache das Gleiche wie der Mann, nur rückwärts und auf hohen Absätzen. Die Synchronschwimmerinnen müssen zusätzlich noch beim Leistungssport die Luft anhalten und darauf achten, dass im Wasser ihr Makeup nicht verläuft. Ach ja, und die in großer Nähe schwimmende Kollegin sollten sie auch nicht treffen, wenn sie ihre Beine und Arme wild durchs Wasser werfen.

Auftritt zweier Griechinnen, die ihre Dutts, zu dem hier alle ihre Haare gewickelt haben, unter kleinen, schräg auf dem Kopf sitzenden Hütchen verbergen. Auf ihren Badeanzügen ist Donald Duck abgebildet. Wie die Comicfigur watscheln sie ein wenig auf der Bühne herum, dann Sprung ins Wasser, Hebefigur, Beine aus dem Wasser, Spagat, schnellste Bewegungen mit Beinen und Armen, kurz synchron das, was man wirklich als Schwimmen kennt, dann wieder abtauchen, Drehung – und dann sind gut zwei Minuten rum, noch im Wasser gibt es Küsschen links, Küsschen rechts, Punktevergabe, der nächste bitte. 19 Paare in 90 Minuten? Kein Problem.

 

Wasserballett – sagt man das noch?

 

Mittlerweile sind fast alle Duette geschwommen und ich habe immer noch keine Ahnung. Warum schneiden die lustigen Niederländerinnen, die sich einmal nicht für einen ESC-Gedächtnis-Song entschieden haben, sondern für die Super-Mario-Musik, so schlecht ab? Ist es schwieriger, sich unter die Wasseroberfläche zu schrauben oder sich gegenseitig aus dem Wasser zu haben? Darf man eigentlich auch Wasserballett sagen? Warum müssen die deutschen Schwimmerinnen Neonanzüge aus den 90ern auftragen? Und wieso haben alle Schwimmerinnen lange Haare und einen Dutt? Wäre eine Kurzhaarfrisur nicht viel praktischer, bei dem ganzen Wasser?

Ich denke über Spliss nach. Das wird dieser Veranstaltung wirklich nicht gerecht.

Um kurz nach halb fünf darf das Duo aus Russland auf Platz eins aus dem ersten Wettkampftag gehen. Ab 19 Uhr schwimmen noch die Teams, wird durchgesagt. Die Zeit dazwischen sollen sich die Besucher wohl rund ums Velodrom vergnügen.

Die britische Oma wollte eine dieser Pausen für eine Stadtrundfahrt nutzen, hatte sie mir vormittags erzählt. Um Berlin kennenzulernen sei das doch ausreichend? Auf keinen Fall! Hätte ich ihr fast gesagt, mich dann aber doch noch rechtzeitig zusammengerissen. Schließlich habe ich hier gerade ohne Ahnung über Synchronschwimmen geschrieben.

„Um einen Überblick zu bekommen, ist das eine sehr gute Idee“, war dann meine Antwort.

Die Wettkämpfe im Synchronschwimmen laufen noch bis Sonntag. Worauf eine weitere Woche mit Schwimmwettkämpfen im Velodrom folgt. Weitere Informationen zur Schwimm-EM gibt es auf der Internetseite.

 

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