Wer schreibt, der bleibt

von Thomas Trappe 11. August 2014

Ein Prenzlauer Berger Parkraumkontrolleur berichtet über seine Arbeit. Über denunzierende Vorgesetzte und ungeheuren Druck, der schließlich an den Autofahrern ausgelassen werde.

Morgens gilt es, schnell zu sein: Rein ins Amt in der Fröbelstraße, Dienstklamotten an und los. Man kann in diesen Minuten viel falsch machen, jedenfalls, wenn man den Schilderungen von Ronald Wehrle glaubt. Einen Plausch mit den Kollegen halten – ungut. Zu langsam laufen – schlecht. Nochmal auf Toilette – eher zu vermeiden. „Diese ständige Beobachtung ist unerträglich.” Ronald Wehrle ist Parkraumkontrolleur in Prenzlauer Berg. Er will über die seiner Meinung nach unhaltbaren Zustände im Amt sprechen. Unter denen die Kollegen litten. Und indirekt auch die Autofahrer, die den Frust abkriegten, so Wehrle.

Wehrle heißt natürlich nicht so, er bat zu dem Treffen unter der Voraussetzung, dass er anonym bleibt. „Sonst sitze ich morgen auf der Straße”. Anlass für seine Kontaktaufnahme war dieser Bericht, in dem es um Konflikte zwischen Ordnungsamtsmitarbeitern und Parkraumüberwachern in Pankow ging. Wehrle ärgerte sich, dass darin der „unteren Ebene der Parkraumüberwachung der schwarze Peter” zugeschoben worden sei, er wolle den Blick mal auf die Chefs lenken. Wehrle arbeitet schon mehrere Jahre in der Parkraumbewirtschaftung in Prenzlauer Berg, vor vier Jahren wurde die hier eingeführt. Den Job machte er die längste Zeit gerne – doch inzwischen hätte sich das geändert. „Die Stimmung ist bei uns allen im Keller.”

 

Er möchte sich am liebsten für manche Kollegen entschuldigen

 

Wehrle berichtet über ungeheuren Druck bei den Parkraumkontrolleuren, vor allem bei den neueren Kollegen. Rund 160 Kontrolleure gibt es insgesamt, ein Teil von ihnen ist seit Beginn dabei: Sie haben laut Wehrle fristlose Arbeitsverträge und verdienten, je nach Dienstzeit und Kinderzahl, zwischen 2000 und 2.700 Euro brutto. Die anderen seien großteils nach der jüngsten Erweiterung der Prenzlauer Berger Parkraumbewirtschaftungszone eingestellt worden, sie kriegten weniger Geld, mitunter ein paar hundert Euro. Und außerdem, das ist für Wehrle viel gravierender, hätten sie befristete Arbeitsverträge. Zwei Jahre, die für die meisten im kommenden Januar endeten. Ob sie weiter beschäftigt würden, sei bis heute, trotz mehrfacher Nachfragen, ungewiss. „Die müssen Familien ernähren, einige haben ein Haus abzuzahlen”, sagt er. Das Resultat: Existenzängste bei den Kollegen. Mit den entsprechenden Folgen.

„Wer schreibt, der bleibt”, das sei inzwischen der Leitspruch in der Parkraumbewirtschaftung. Soll heißen, je mehr Strafzettel verteilt würden, desto größer schätzten Kontrolleure ihre Chance ein, später entfristet zu werden. „Das führt dazu, dass auch Fälle aufgeschrieben werden, bei denen man eigentlich ein Auge zudrücken sollte.” Wehrle kennt viele Geschichten, in denen die Leidtragenden oft Gewerbetreibende sind. Der Weinhändler, dem von einem Kontrolleur gesagt wird, er könne kurz im Parkverbot seinen LKW entladen – und der dann von einem anderen Kontrolleur aus sicherer Entfernung notiert wird. Ein Bäcker, der eine Ausnahmegenehmigung beantragt hat – aber jeden Tag beim Be- und Entladen einen Zettel verpasst bekommt, da die Genehmigung ja noch nicht da ist. „Für sowas würde ich mich am liebsten entschuldigen”, sagt Wehrle. Und bittet um Verständnis für die Kollegen: „Die machen das ja auch nur, weil sie Angst haben, dass sie sonst gehen müssen.”

 

Angst vor Denunzianten

 

Die Parkraumbewirtschaftung ist vordergründig nicht als Einnahmequelle gedacht, sondern dafür da, den fließenden und ruhenden Verkehr in der Stadt vorm Kollaps zu bewahren. Wehrle weiß das und kann darüber nur schmunzeln. Die Bezirksverordneten wollen Geld sehen, meint er, den Druck gebe das Bezirksamt weiter an die Parkraumbewirtschaftung. Und deswegen würde dort auch erfasst, wie viele Zettel die Kollegen jeden Tag verteilen. „Nicht offiziell”, sagt Wehrle, aber die Zähllisten würden jeden Abend ausgefüllt und abgeheftet, „und sicher nicht zum Spaß”. Erfasst würde jeder Mitarbeiter, und zwar von den Koordinatoren, die für jeweils 20 Kontrolleure zuständig sind. „Dass das dann bei der nächsten Entscheidung, wer entfristet wird, nicht zu Rate gezogen wird, ist nur schwer vorstellbar. Und selbst wenn nicht: Der Druck ist nun mal da.” Kontrolleure, die ihre Aufgabe ernst nähmen und auch „Bürgergespräche” führten, so Wehrle, gerieten da leicht ins Hintertreffen.

Oder in die Schusslinie von Denunzianten. Mehrere Kollegen hätten, so Wehrle, in letzter Zeit Abmahnungen bekommen. Oft sei es dabei um vermeintliche Bummelei gegangen. Ein Kollege habe einem anderen vorgeworfen, statt mit der Straßenbahn zu Fuß zum Einsatzort gegangen zu sein und so wertvolle Zeit verloren zu haben. Meist kämen die Abmahnungen mehrere Monate nach den Vergehen, ohne Möglichkeit einer Anhörung und mit der Ankündigung eines Lohnabzugs. Auch die Vorgesetzten würden die Mitarbeiter während ihrer Streifendienste stichprobenartig überwachen und gegebenenfalls abmahnen.

Und bald könnten neue Gründe für Sanktionen hinzukommen. Wehrle berichtet von einer neuen Dienstanweisung, die verbiete, Getränke in Gaststätten oder Cafés zu sich zu nehmen. Dazu muss man wissen, dass die Kontrolleure täglich mehrere Kilometer zu Fuß unterwegs sind und kaum die Gelegenheit haben, sich für eine Pause hinzusetzen. „Im Winter ist es gut, wenn man sich kurz aufwärmen kann, und im Sommer, sich abzukühlen.” Nun werde „argumentiert, dass wir für die Pausen ja ins Dienstgebäude kommen können. Das ist aber sinnlos, wenn man gerade an der anderen Ecke von Prenzlauer Berg Streife macht.”

 

Stadtrat: Kontrolleure zufrieden

 

Der für die Parkraumüberwachung zuständige Stadtrat Torsten Kühne (CDU) äußert sich ausführlich zu den Vorwürfen und schickt vorweg, dass bei einer jüngeren Umfrage 84 Prozent der Mitarbeiter angegeben hätten, dass sie Spaß an der Arbeit hätten. Die Entscheidungen, ob und wenn ja welche Arbeitsverträge entfristet werden, könne laut Kühne erst Ende dieses Jahres erfolgen – nämlich dann, wenn klar ist, ob die Parkraumbewirtschaftung überhaupt fortgeführt werden soll. Gerade werde das in einer „Wirkungsanalyse” untersucht. Die unterschiedliche Bezahlung alter und neuer Mitarbeiter betrage laut Kühne nur eine und nicht die von Wehrle angegebenen zwei Gehaltsstufen und sei begründet mit der Rückkehr Berlins in die Tarifgemeinschaft der Länder, das „Ziel der Einheitlichkeit” werde aber gerade angestrebt.

Den Berichten des Parkraumüberwachers Wehrle, es würde bei jedem einzelnen Mitarbeiter erfasst, wer wie viele Knöllchen verteilt hat, widerspricht Kühne deutlich. „Zum Zwecke der Einsatzplanung und -steuerung werden zwar die entsprechenden Zahlen in anonymisierter Form einzeln abgegeben, eine Zuordnung zu einzelnen Mitarbeitern erfolgt aber zu keinem Zeitpunkt. Eine Erfassung der geschriebenen Strafzettel je Mitarbeiter ist schon aus rechtlichen Gründen nicht möglich.”

 

Lohnkürzungen wie in jedem anderen Unternehmen auch

 

Nicht bestritten wird von Kühne, dass das Amt Pausenzeiten und eventuelle Bummeleien überwacht. „Es werden regelmäßig durch die Führungskräfte des Fachbereichs sogenannte Dienstkontrollfahrten durchgeführt.” Das sei einerseits nötig, um die tatsächlich geleistete Arbeit zu erfassen, andererseits, „um eine arbeitsrechtlich vorgeschriebene regelmäßige Beurteilung der Arbeitsleistung der Mitarbeiter vornehmen zu können”. Mitunter würden nach solchen Kontrollen auch Abmahnungen verteilt und Lohn abgezogen, „wie in jedem anderen Unternehmen auch auf der Grundlage der tariflichen und gesetzlichen Bestimmungen”, die Mitarbeiter hätten allerdings die Möglichkeit einer Anhörung.

Die Dienstanweisung, die den Aufenthalt in „Geschäften, Spätkaufläden, Kantinen, ähnlichen Einrichtungen und Wohnungen außerhalb der Pausenzeiten nicht gestattet”, begründet Kühne mit gängigem Arbeitsrecht. „Der Nachkauf von alkoholfreien Getränken und der Gang zu sanitären Einrichtungen ist weiterhin gestattet.” Zudem bestünde jederzeit die Möglichkeit, bei gesundheitlichen Beschwerden in die Dienststelle zurückzukehren.

 

 

NEWSLETTER: Damit unsere Leserinnen und Leser auf dem Laufenden bleiben, gibt es unseren wöchentlichen Newsletter. Folgen Sie uns und melden Sie sich hier an!

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar