Platz für Orientierungslose

von Thomas Trappe 1. Juli 2014

Verwirrte Senioren auf den Straßen – das wird es dank demografischen Wandels künftig häufiger geben. In Prenzlauer Berg gibt es deshalb an sofort „Schutzräume für Demente”.

Es ist ein subjektives Kollektivgefühl der Redaktion, dass in letzter Zeit gehäuft Polizeimeldungen in die Verbreitung gegeben werden müssen, in denen ältere Menschen als vermisst gemeldet werden, und um deren mentale Verfasstheit es nicht zum Besten gestellt sei. Menschen, die aus Altenheimen verschwinden oder eben ihren Wohnungen, wo sie ambulant betreut werden. Dass die Zahl der Dementen, die verwirrt durch die Straßen irren, steigt, gibt die persönliche Statistik zwar nicht her; die Prognose, dass solche Fälle in Prenzlauer Berg und im gesamten Bezirk zunehmen werden, kann aber trotzdem gewagt werden. Die Zahl der über 80-Jährigen im Bezirk wird sich nach aktuellen Berechnungen in den kommenden 20 Jahren verdoppeln, und die Demenzerkrankungen werden diesen Trend mitgehen. Grund, bezirksweit acht „Schutzräume für Demente” zu eröffnen. Gestern wurden diese offiziell vorgestellt. Sie sollen Demente, die in den Straßen aufgefunden werden, vorübergehend aufnehmen. Und vier dieser Schutzräume liegen in Prenzlauer Berg. 

Bisher sind Demente auf den Straßen ein Fall für die Polizei: Werden Sie von Anwohnern gemeldet, bringt sie eine Streife zum nächsten Revier, um dort die Identität festzustellen. Eine für die Betroffenen mehr als unangenehme Situation. „Weil sie dort hingebracht werden, wo für gewöhnlich Verbrecher landen”, sagte Pankows Bürgermeister Matthias Köhne (SPD) zur Pressekonferenz anlässlich der Eröffnung der Schutzräume. Auch mit dem neuen Netzwerk werden die Dementen zunächst von der Polizei aufgegriffen – dann aber sofort zum nächsten Schutzraum gebracht. Schutzräume sind die acht Pflegeheime, die mit der Polizei und dem Bezirk die Kooperationsvereinbarung unterzeichnet haben. Gerontopsychiatrisch ausgebildete Pflegekräfte kümmern sich dort um die „Gäste”, wie sie offiziell genannt werden, im Rahmen einer Kurzzeitpflege, solange, bis die Identität geklärt ist und die Betroffenen zurück zu ihren Angehörigen oder Betreuenden gebracht werden können. Auch für die Polizei eine Entlastung, wie Bernhard Kufka, Leiter der Polizeidirektion 1 und Mitinitiator des Projektes, erklärte. „Die Kollegen sind im Umgang mit Dementen nicht ausgebildet und deswegen oft auch überfordert.” 

 

Prenzlauer Berg könnte Demenz-Hot-Spot werden

 

Im Einzugsgebiet Prenzlauer Berg gibt es die Schutzräume in der Wisbyer Straße, in der Stavanger Straße, in der Gürtelstaße und in der Eberswalder Straße. Der Anteil der Dementen ist dabei im größten Teil Prenzlauer Bergs unterdurchschnittlich – einzig in Prenzlauer Berg Ost ist er erhöht, da hier mehr ältere Menschen wohnen. Doch ein Grund, sich in den kinderreichen und eher jüngeren Gebieten wie um den Helmholtzplatz und im Bötzowkiez beim Thema zurück zu lehnen, besteht nicht. Zum einen, weil eben jene Gebiete wegen ihrer relativ homogenen Altersstruktur in gut zwanzig Jahren tatsächlich zum Hot-Spot der Demenz-Gefährdeten werden könnten. Und zum anderen, weil schon heute einige Bewohner demente Eltern von auswärts zu sich nach Hause holen, um sie hier zu pflegen, so Wilfried Brexel, Vorstandsvorsitzender der Seniorenstiftung Prenzlauer Berg.

Knapp 4.000 Demenzerkrankte gebe es derzeit im gesamten Bezirk, jährlich kämen statistisch 526 Neu-Erkrankte hinzu, Tendenz steigend, erklärte Katja Dierich vom „Qualitätsverbund Netzwerk im Alter – Pankow e.V.”. Dierichs Verbund hat seinen Sitz in der Schönhauser Allee und  koordiniert die Schutzräume. Die sollen vor allem eine „würdige und kurzfristige Herberge” sein, sagte Dierich. Vor allem Menschen im Anfangsstadium einer Demenz orientierungslos auf die Straße gehen, „oft völlig unerwartet für Angehörige und Nachbarn”. 

Ob die Patienten in den Schutzräumen verweilen, liegt in deren eigenen Ermessen, machte Dierich schließlich deutlich. „Wer gehen will, wird von uns nicht festgehalten.” Umgekehrt, so wurde auf Nachfrage versichert, werde aber auch kein orientierungsloser Gast zurück in seine Wohnung geschickt, wenn keine Weiterbetreuung durch Angehörige, den sozialpsychiatrischen Dienst oder Pflegeeinrichtungen gewährleistet sei.

 

 

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