Blutlachen, wohin das Auge schaut: Das Leben in unserem Kiez kann enorm gefährlich sein. So erzählen es jedenfalls eine ganze Reihe von Prenzlauer-Berg-Krimis.
Schade um das schöne Auto: John Kleins goldfarbener Mercedes 300 S, Baujahr 1985, sieht aus wie ein „halb durchgebratenes Boeuf Stroganoff in der Paris Bar.“ In Thomas Knaufs Prenzlauer-Berg-Krimi „Der Golem vom Prenzlauer Berg“ hat irgendwer den Oldtimer des ermittelnden Protagonisten abgefackelt, und dies bleibt bei weitem nicht das gemeinste Verbrechen, mit dem sich der verwitwete Privatdetektiv auf den folgenden 200 Seiten herumschlagen muss: Obendrein müssen auch noch das Verschwinden einer Fünfjährigen aus der Raumerstraße sowie der gewaltsame Tod eines Rabbiners aus der Synagoge am Wasserturm aufgeklärt werden.
Bereits drei solcher Prenzlauer-Berg-Krimis hat Thomas Knauf im be.bra Verlag veröffentlicht – und das, obwohl der 1951 in Halle geborene, seit vielen Jahren im Kollwitzkiez ansässige Autor selber gar keine Krimis liest und sich schon gar nicht für einen Lokalpatrioten hält. „Die spielen halt hier, weil ich hier wohne“, erklärt er in der Raucherecke des „Osswald“ bei einem Glas Tee, während sein Hündchen Struppi um die Stuhlbeine flitzt.
Ermittlungen von Sylt bis Bad Boll
Als 2012 der erste Fall seines Ermittlers John Klein erschien, gab es noch kaum jemanden, der Krimis mit explizitem Prenzlauer-Berg-Bezug schrieb. Und wenn doch mal einer hier angesiedelt war – etwa „Flammenopfer“ von Jörg Liemann oder Tom Peuckerts „Abriss“ –, dann wurden diese Titel von ihren Verlagen zumindest nicht mit dem inzwischen recht inflationär gebrauchten, weil mutmaßlich verkaufsförderlichen Regionalkrimi-Etikett versehen.
Knauf hielt das Verfassen von Regionalkrimis deshalb für ein gutes Geschäftsmodell. Schließlich erfreut sich das Genre ja schon seit vielen Jahren erstaunlicher Beliebtheit, Christoph Gottwald soll mit seinem Köln-Krimi „Tödlicher Klüngel“ aus dem Jahre 1984 zumindest laut Verlagswerbung den allerersten veröffentlicht haben. Seither sind jede Menge Schwarzwald-, Sauerland-, und Niedersachsen-Krimis erschienen, nicht zuletzt der badische Gmeiner Verlag hat sich des Genres angenommen. Und so hat von Sylt bis Bad Boll längst jedes Provinznest seinen eigenen Fahnder. Warum also nicht auch Prenzlauer Berg?
Verdächtige WG in der Prenzlauer Allee
Das dachte sich wohl auch Ute Kissling aus der Jablonskistraße, von ihr stammt der aktuellste der derzeit lieferbaren Kiezkrimis – der vom bookshouse Verlag allerdings als „Berlin-Krimi“ ausgewiesen wird. In „Venusf@ll“ hat es (unter anderem) einen Arzt aus der Rykestraße erwischt. Seine Leiche wird im Mauerpark gefunden, das schwäbisch-hellersdorfische Ermittlerduo Paul und Florentine folgt den Spuren bis zu einer verdächtigen Wohngemeinschaft in der Prenzlauer Allee.
Ute Kissling, Jahrgang 1970, ist Historikerin und Redakteurin bei einer großen Nachrichtenagentur. Überhaupt scheint das Regionalkrimischreiben unter hauptamtlichen Journalisten eine beliebte Nebenbeschäftigung zu sein, handwerklich jedenfalls bietet es offenbar willkommene Herausforderungen: „Ein Nachrichtentext wird mit dem Verstand bearbeitet, ein literarischer mit dem Herzen – da tut das Redigiertwerden besonders weh,“ bekennt die bei Heidelberg geborene Autorin.
Piefiger Eskapismus oder legitimes Unterhaltungsbedürfnis?
Dass sich die Recherche für Pauls und Florentines fiktive Kiezabenteuer vergleichsweise einfach gestaltete, fand sie indes verführerisch; schließlich war es kein Problem, die Tatorte und Schauplätze erst einmal ausgiebig zu besuchen und zu fotografieren, um sie dann umso plastischer und detailreicher beschreiben zu können. Auch wenn „Venusf@ll“ trotzdem nicht ganz frei von den bekannten Stereotypen über das so genannte Szeneviertel Prenzlauer Berg ist, hat sich das genaue Hinschauen gelohnt: Selbst die Schuhe, die mitunter an Ampeln oder Bäumen baumeln, vergisst Kissling nicht zu erwähnen.
Vom deutschen Feuilleton wird der anhaltende Regionalkrimi-Boom zwar, wenn überhaupt, meistens misstrauisch bis herablassend beobachtet: Wenn schon Entertainment und Special Interest, dann doch bitte welthaltig; das schlichte Bedürfnis nach Entertainment durch eine fiktive Bluttat vor der eigenen Haustür gilt dagegen gemeinhin als piefig bis eskapistisch und landet deshalb eher unter „Vermischtes“ als unter „Kultur“.
Keine NSA, kein „Sherlock“-Superhirn
Doch Ute Kissling kümmert das genau so wenig wie Thomas Knauf, den Pionier des Prenzlauer Berg-Krimis. Sein John Klein ist der klassische Privatdetektiv alter Schule, der zum Lösen seiner Fälle keine Elektronik, keine NSA und auch kein hippes „Sherlock“-Superhirn, sondern allenfalls seinen schwulen Geschäftspartner Peter Kurz und sein Hündchen Seneca benötigt.
Wie alle Regionalkrimis leben auch Knaufs von detailreichen Ortsbeschreibungen, von der Wiedererkennbarkeit des Milieus und der Schauplätze. Dieses „Lokalkolorit“ braucht auch Knauf nicht groß zu recherchieren: Wie es beispielsweise beim Bäcker in der Sredzkistraße/Ecke Kollwitzstraße zugeht, weiß er aus alltäglicher Anschauung, dort geht nämlich nicht nur sein Ermittler ein und aus, sondern auch er selbst, sogar seine Krimis werden dort verkauft. Auch die hemdsärmelige Verzweiflung des arbeitslosen Dachdeckers aus der Raumerstraße, dessen kleine Tochter in „Der Golem vom Prenzlauer Berg“ vermisst wird, klingt bei Knauf dermaßen authentisch, dass man fast glauben könnte, es gebe in der Raumerstraße tatsächlich noch arbeitslose Dachdecker: „Bei uns kommt nischt weg, normalerweise.“
Schnittige Plots mit Unterhaltungswert
Nun mögen auch die mit der genretypischen Kaltschnäuzigkeit geschriebenen Werke Knaufs keine literarischen Kostbarkeiten sein – in Sachen Unterhaltungswert aber können sie es mit dem durchschnittlichen Sonntagabendkrimi allemal aufnehmen. Knauf ist eben, und das merkt man seinen schnittigen Plots an, von Haus aus Drehbuchschreiber. Zwischen 1981 und 1990 arbeitete er für die DEFA, Michael Gwisdeks „Treffen in Travers“ war 1989 sein erster großer Wurf, später gingen neben vielen anderen TV-Produktionen auch ein „Tatort“ und ein „Polizeiruf“ auf sein Konto. Seit ein paar Jahren hat er sich, neben journalistischen Arbeiten für „Lettre international“ oder den „Freitag“, mehr und mehr aufs Bücherschreiben verlegt, sein erklärtes Ziel ist es, insgesamt zehn Prenzlauer-Berg-Krimis zu veröffentlichen.
Sein in der Kulturbrauerei sitzender Verlag wird des Genres „Regionalkrimi“ ebenfalls noch lange nicht müde. „Die Zielgruppen und Leseansprüche sind in Berlin sehr unterschiedlich,“ sagt be.bra-Programmleiter Robert Zagolla, „deshalb funktionieren Berlin-Krimis nicht so wie Allgäu-, Eifel- oder Ostsee-Krimis. Berlin wird ja nur von außen als Einheit wahrgenommen, in der Stadt selbst gibt es dagegen eine sehr starke Kiezverhaftung. Deshalb wollten wir als Verlag ausprobieren, ob nicht auch Krimis auf Bezirksebene ihre Leser finden. Bislang geht das Konzept auf, sogar besser als erwartet: Selbst in Zehlendorf interessiert man sich für das kriminelle Treiben in Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Ob das umgekehrt genauso funktioniert, werden wir auch noch ausprobieren.“
Nun wussten wir ja bereits, dass wir in einer „Tatort-Republik“ leben, wie der „Spiegel“ vor kurzem titelte (Heft 23/2014). Gewissermaßen als Fußnote zu dieser These der Hamburger Kollegen erlauben wir uns nun aber doch anzumerken, dass gerade auch der Prenzlauer Berger in einem von fiktivem Blut geradezu durchtränkten, kriminalistisch vorzüglich erschlossenen Tatort-Kiez zu Hause ist.
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Prenzlauer-Berg-Krimis – eine Auswahl:
Ute Kissling, Venusf@ll, Klinker-Reihe 1. Bookshouse-Verlag, April 2014, 289 Seiten, 10,99 Euro.
Thomas Knauf, Der Golem vom Prenzlauer Berg. Ein Prenzlauer Berg Krimi. be.bra Verlag September 2012, 216 Seiten, 9,95 Euro.
Ders.: Berliner Weiße mit Schuss. Ein Prenzlauer Berg Krimi. be.bra Verlag 2012, 270 Seiten, 9,95 Euro.
Ders.: Mord hält jung. Ein Prenzlauer Berg Krimi. be.bra Verlag September 2013, 304 Seiten, 9,95 Euro.
Jörg Liemann: Flammenopfer. Ein Fall für den Berliner Kommissar Kai Sternenberg. Goldmann Verlag, Juni 2011, 352 Seiten, antiquarisch erhältlich.
Tom Peuckert: Abriss. Radio Tatort. Der Hörverlag 2010. Hörbuch-Download. 52 Minuten, z. Zt. vergriffen.
Verena Roßbacher, Schwätzen und Schlachten. Kiepenheuer & Witsch 2014, 640 Seiten, 24,99 Euro.