Pratergarten

Es lebe das Schmalzstullen-Theater!

von Brigitte Preissler 11. Juni 2014

Mit einer neuen Freilichtbühne will der Kulturverein Prenzlauer Berg die Tradition der Altberliner Gartentheater wieder beleben. Deshalb kann man sich jetzt im Hof der Danziger Straße 50 bei Molle und sauren Gurken amüsieren wie einst im Pratergarten um 1900.

Sie nannten ihn den „Lehmklatscher“: Zu den beliebtesten Artisten, die um 1900 im Pratergarten auftraten, zählte ein Mann, dessen Kunst darin bestand, innerhalb kürzester Zeit aus Lehm oder Ton die Köpfe berühmter Persönlichkeiten nachzuformen. Dazu rezitierte er Selbstgedichtetes. Den Schneidermamsells und Handlungsgehilfen, den Gesellen und Handwerkern, die nach getaner Arbeit mit ihren Familien im Publikum saßen, gefiel das enorm, wie Thilo Zantke in seiner Geschichte des Prater (vgl. u.) berichtet. Dergleichen ungezwungenes „Amüsemang“ gab es auf den Hofbühnen der Innenstadt nicht. Und anders als in den bürgerlichen Schauspielhäusern brauchte man sich hier, unter freiem Himmel, bei selbst gebrühtem Kaffee oder einer kühlen Molle auch nicht vornehmer zu geben als man war.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die große Zeit dieser Altberliner Gartenbühnen, die vom zeitgenössischen Feuilleton meistens ignoriert wurden und mit denen sich auch die Theatergeschichtsschreibung bis heute eher selten befasst. Rund fünfzig solcher Gartenetablissements mit Theaterbetrieb soll es damals in Berlin gegeben haben, genaue Zahlen sind, wie Wolfgang Jansen schreibt (vgl. u.), gar nicht bekannt. Auf dem Gebiet des heutigen Prenzlauer Berg erwähnt Thilo Zantke, neben dem Prater, beispielsweise „Puhlmann‘s Garten“ in der Schönhauser Allee oder das „Vorstädtische Theater“ am Weinbergsweg in der heutigen Zehdenicker Straße, letzteres war nach dem kulinarischen Pausenangebot auch als das „Schmalzstullentheater der Mutter Gräbert“ bekannt. Gleichfalls auf dem Windmühlenberg, dem späteren Prenzlauer Berg, befand sich „Würst‘s Tabagerie und Gartenvergnügen“, an der Ecke Schönhauser Allee/Choriner Straße besuchte man den „Musikalischen Holzhof“.

 

Eine Posse aus dem Jahre 1860

 

Die Saison begann alljährlich kurz nach Pfingsten, mit einem frechen Einakter, einer Varieténummer oder einem zünftigen Marsch. Wer also in diesen Tagen abends im Prater sitzt und auf die dortige Volksbühnen-Spielstätte blickt, ist gewissermaßen ein später Kostgänger dieser Tradition. Auch der Kulturverein Prenzlauer Berg will die Alt-Berliner Sommertheater jetzt zu neuem Leben erwecken. Im Hofgarten der Danziger Straße 50 wurde dafür eigens eine neue Open Air-Bühne errichtet. Morgen Abend wird hier zum ersten Mal „Mamsell Uebermuth“ gezeigt, eine Posse von Adolf Bahn aus dem Jahre 1860. Darin verliebt sich die vermögende Witwe Aurora in den beträchtlich jüngeren Eduard – den leider auch ihre Tochter Agnes verführen will. Bis zum 30. August soll es zehn Vorstellungen geben.

Während der Kulturverein für sein Sommerprojekt richtige, gelernte Theaterleute zusammentrommelte (mit der Organisatorin Katrin Schell, dem Regisseur Marcus Staiger und den Schauspielerinnen Lina Wendel und Katharina Groth sind etwa etliche Absolventen der Ernst-Busch-Hochschule dabei), waren die Gartenbühnen-Künstler des 19. Jahrhunderts bei weitem nicht so professionell. Der eingangs erwähnte „Lehmklatscher“ Terras war da schon die große Ausnahme: Er konnte, im Gegensatz zu den meisten anderen Künstlern, immerhin auf eine künstlerische Vorbildung zurückblicken, zuvor hatte er als Bildhauer gearbeitet.

 

Chansonetten, Exzentriker-Jongleure und andere Hobby-Artisten

 

Mögen all die Kapellmeister, Soubretten, Chansonetten, Akrobaten, Schwertathlethen, Komiker oder Tänzer der damaligen Sommergartenbühnen auch noch so ungelernte Hobby-Artisten gewesen sein – klangvolle Namen trugen sie allemal: „Sie nannten sich Paula Grigatti, Paul Conradini oder Georgette Langé, wohnten gleich um die Ecke und hießen mit bürgerlichem Namen eigentlich Paul Konrad und Martha Lange,“ schreibt Zantke. Auch „King Repp“, der berühmte „Exzentriker-Jongleur“, hatte im Pratergarten seinen ersten Auftritt; er hieß eigentlich Alfred Wolf und war der Sohn des Oberkellners.

Von den Werktätigen im Publikum wurde er sicher schon allein deshalb geliebt: Weil er einer der ihren war. Viele Stammgäste waren „landflüchtige Bauernsöhne und -töchter“ (Jansen), die erst vor kurzem in die aufstrebende Industriemetropole Berlin gekommen waren; die Bevölkerung Berlins stieg damals wegen der massenhaft zuziehenden Arbeitskräfte rasant an, die Wohnungen wurden knapper. Gerade das Gebiet des heutigen Prenzlauer Berg zählte damals zu den am dichtesten besiedelten Gegenden der Stadt. Für Freizeitvergnügungen boten die engen Mietskasernen keinen Platz, dort blieb man nur zum Essen, Schlafen und Kinderhüten. Also verlagerte sich das gesellige Leben zusehends von der Familie in die Öffentlichkeit. Kinos gab es noch nicht, doch es entstanden proletarische Freizeiteinrichtungen völlig neuen Typs.

 

Nach der Zaubersoiree einen Rollmops

 

Eine davon war der Prater. Oft wird er der älteste Biergarten Berlins genannt, doch damals war er weit mehr: Ausflugslokal, Varieté, Volkstheater, Ballsaal, Garten und Kinderspielplatz, der Saal diente aber auch als Versammlungsort der sich formierenden Arbeiterbewegung. Es war eine universale Kultureinrichtung für die Arbeiter und Kleinbürger, die in und um die Kastanienallee herum lebten. Draußen wurden robuste Einakter gezeigt, Märsche von Lincke oder Rossini gespielt, es gab Marionettentheater, Pantomimen oder Seiltänzer zu sehen; an Kiosken wurden in den Pausen Rollmöpse oder Zigaretten feilgeboten, man konnte an Schokoladenverlosungen teilnehmen oder am Pfeilwurfstand sein Können zeigen.

Wie das damals zuging, berichtet bei Zantke ein zeitgenössischer Beobachter: „Im Hintergrund steht ein kleines Theater, auf welchem, unter freiem Himmel, abwechselnd sentimentale Sängerinnen und Tanzkünstler sich produzieren, Komödien und Zauberpossen aufgeführt werden, von denen jedoch nicht der dritte Teil der bis an den äußersten Rand gedrängt stehenden oder sitzenden Zuschauer ein Wort verstehen oder einen Ton erhaschen mag, wie gespannt sie auch lauschen (…). Garten und Tische sind mit abgerissenem Papier bedeckt, da die meisten dieser Gäste sich ihre Mahlzeiten selber mitbringen. Und sie müssen sich für diese Gelegenheiten ganz gehörig verproviantieren; denn solch ein Vergnügen dauert lange. Es kommt noch der Luftballon, eine ,Zaubersoiree‘, die Illumination und das Feuerwerk, verbunden mit einem Militärkonzert, welches in früheren Jahren die Schlacht bei Leipzig darzustellen pflegte, jetzt aber, mit vielfachem Kanonendonner, gewöhnlich die von Sedan aufführt.“

 

Die Alternative zur Fußball-WM?

 

Nun gibt es das proletarische Milieu, an das sich solche Gartenbühnen einst mit ihren Programmen richteten, so natürlich heute längst nicht mehr, schon gar nicht in Prenzlauer Berg. Da ist es schon ein wenig verwegen, diese Kultur jetzt wiederbeleben zu wollen, noch dazu ausgerechnet parallel zur Fußball-WM. Doch wer weiß: Vielleicht gibt es im Kiez genügend Kulturschaffende, die Bühne und Stück aus historischen Gründen interessant finden, oder diese Art des Volkstheaters als originelle Alternative zum Public Viewing der WM-Spiele schätzen. Immerhin gibt es doch zum „Eintrittsbillet“ eine Schmalzstulle gratis.

Termininfo:

„Mamsell Uebermuth“, Premiere am Donnerstag, den 12. Juni 2014, im Hof des „ZENTRUM danziger50“. Weitere Vorstellungen: 14.6./27.6./28.6./3.7./4.7./5.7./28.8./29.8./30.8., jeweils um 19 Uhr 30. Weitere Infos stehen hier.

 

Zum Weiterlesen (beide Titel sind antiquarisch erhältlich):

– Thilo Zantke, Der Berliner Prater, Streiflichter aus der Geschichte einer Freizeit- und Vergnügungsstätte. Berlin 1987.

– Wolfgang Jansen und Rudolf Lorenzen: Possen, Piefke und Posaunen. Sommertheater und Gartenkonzerte in Berlin. Berlin 1987. 

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