Für Comicfreunde ist Prenzlauer Berg das reinste Shopping-Paradies. Im Kiez mit der berlinweit höchsten Comicladendichte kommen Manga-Fans ebenso auf ihre Kosten wie Liebhaber gepflegter Graphic Novels. Wer weiß: Womöglich würde sogar Angela Merkel fündig.
Comicläden sind eine herrliche Sache. Schließlich zählen sie, neben Vinyl-Plattenläden, zu der immer seltener werdenden Sorte von Geschäften, in denen jeder eintretende Kunde umstandslos geduzt wird. Käme Frau Merkel hereinspaziert, würde auch sie garantiert sofort zur Familie gehören: „Nee du, Angela, die Abrafaxe haben wir grad nicht da, kann ich dir aber gern bestellen.“ Stünde Angela dann noch etwas unentschlossen herum, würde der Verkäufer sicher die Gelegenheit nutzen, um sie mit seinem Spezialwissen über Geschichtsvermittlung im indischen Comic der 60er Jahre zu beeindrucken.
Jetzt aber mal im Ernst: An Comicshops ist Prenzlauer Berg wirklich reich, vier Stück haben wir gezählt: „Comics & Graphics“ in der Prenzlauer Allee, „Black Dog Comics“ in der Rodenbergstraße (s. Foto, mit Mitinhaber Patrick Lafos), „Grober Unfug“ und „Neo Tokyo“, beide am Prenzlauer Berger Teil der Torstraße. Den „Supalife Kiosk“ in der Raumerstraße mit seinem Fokus auf Siebdruck-Erzeugnissen aller Art könnte man womöglich auch noch am Rande mit dazurechnen.
An Comic-Käufern mangelt es nicht
Nach unseren Recherchen hat das deutsche Comic-Zentrum Prenzlauer Berg damit berlinweit die höchste Comicladendichte, noch vor Kreuzberg, Neukölln oder Mitte. Mal ganz abgesehen von den vielen kleineren Städten im Lande, deren Bewohner mehrheitlich noch nie im Leben einen Comicshop gesehen haben, schon gar nicht von innen. Möglich, dass manche Zeichner aus Prenzlauer Berg wegziehen. An Käufern für ihre Werke aber mangelt es im Kiez offensichtlich nicht.
Sogar extrem spezialisierte Shops können sich gut im Viertel halten. „Black Dog Comics“ zum Beispiel sitzt schon seit 1999 in der Rodenbergstraße, übrigens vis-à-vis des wahrscheinlich extremsten Frisörladens der Stadt. „Black Dog“ ist in ganz Berlin der einzige Comic-Shop, der ausschließlich amerikanische Superheldencomics in englischer Sprache führt. Hier sind Spider-Man oder Silversurfer zeitgleich zu ihrem Erscheinen in Übersee erhältlich. Die Kundschaft kommt aus ganz Berlin und dem Umland in die Rodenbergstraße, und zwar vorzugsweise mittwochs und donnerstags, wenn die US-Importe im Laden eintreffen.
Mantra, die Glücksfee
Rund 50 Prozent der Verkäufe laufen allerdings inzwischen übers Internet, sagt Co-Inhaberin Brigitte Schulz. Sie erzählt uns auch, dass „Black Dog Comics“ nicht, wie man meinen könnte, nach irgendeinem nur Insidern bekannten Comic-Tier benannt wurde, sondern nach ihrer inzwischen verstorbenen Hündin Mantra. „Langjährige Stammkunden kennen den Hund noch, bei unseren Comic-Verlosungen spielte sie gern die Glücksfee.“
Auf die Frage nach Werken von Künstlern aus Prenzlauer Berg kramt Schulz‘ Kompagnon Patrick Lafos (s. Foto) einige martialische Spider-Man-Cover des Marvel-Zeichners Marko Djurdjevic aus der Schublade; Djurdjevic hatte mal ein Atelier in der Winsstraße, gelegentlich hat er bei „Black Dog“ auch schon signiert.
Heftchenfraktion vs. Graphic Novel
Frank Wochatz dagegen, Inhaber des Comicshops „Graphics & Comics“ in der Prenzlauer Allee, holt auf die Frage nach Künstlern aus Prenzlauer Berg die Werke von Jens Harder und Ulli Lust aus dem Regal. Wochatz‘ Geschäft beherbergt seit 2008 eine völlig andere Comic-Welt als „Black Dog“. Sein Sortiment ist weniger speziell, Wochatz führt prinzipiell alles: Insbesondere frankobelgische Alben, aber auch amerikanische Comics, antiquarische Hefte, Mangas, Comics für Kinder. Spider-Man-Zahnbürsten allerdings sucht man hier vergeblich. Für Merchandizing-Gimmicks hat Wochatz nichts übrig.
Einen Schwerpunkt setzt er bei den Graphic Novels – also Romanen oder auch Sachbüchern im Comicformat, wie eben Harder oder Lust sie erschaffen. Während sich die Heftchenfraktion eher bei „Black Dog Comics“ zu Hause fühlen dürfte, gibt es hier viele gebundene Werke. „Comics & Graphics“ erinnert dadurch sehr an eine kleine und feine, gepflegte, inhabergeführte Buchhandlung.
Ein Zuhause nach der Apokalypse
Kein reiner Comicladen, sondern ein Fachgeschäft für japanische und koreanische Popkultur ist „Neo Tokyo“ in der Torstraße. Neben Anime und Musik machen Manga allerdings den Hauptumsatz aus, erzählt Mitinhaber Dieter Hoch. Den Serienklassiker „Akira“ von Katsuhiro Otomo aus den 80er Jahren hat der ehemalige Sportjournalist natürlich ständig auf Lager, schließlich ist der Laden nach dem Schauplatz dieser Endzeitgeschichte benannt: „Neo Tokyo“ heißt darin eine Stadt, in der Überlebenden ein neues Zuhause finden, nachdem die Menschheit sich zugrunde gerichtet hat.
„Neo Tokyo“ in der Torstraße bietet dagegen seit 2003 all jenen Menschen eine Heimat, die sich für rosafarbene Magazine namens „Sweet“ oder „Cutie“ interessieren und ihre „Hello Kitty Sours“ oder „Hello Kitty Sweet Cupcakes“ am liebsten in teddybärförmigen Brotdosen aufbewahren. Es gibt auch farbige Kontaktlinsen, sogar in violett, und Plüschtiere mit sehr großen Kulleraugen. Endzeitstimmung macht sich höchstens breit, wenn auf dem Bildschirm neben dem Eingang gerade „Blue Exorcist“ läuft, ein Anime, in dem ein Hasenmonster die Erinnerungen der Menschen frisst.
Comics zum Rückwärtslesen
Das Publikum ist tendenziell deutlich jünger als die Mittdreißiger, die man bei „Black Dog“ oder „Comics & Graphics“ antrifft. „Zu uns kommen viele Jugendliche, im Teenie-Alter oder gerade volljährig,“ so Dieter Hoch. Er selbst kennt sich mit den Manga in seinem Geschäft natürlich professionell aus, sein persönliches Ding wurden die japanischen Comics zum Rückwärtslesen aber nie: „Ich bin dafür zu alt“, meint der 54-Jährige, er mag lieber japanische Musik und K-Pop.
Als Konkurrent des benachbarten „Groben Unfug“ fühlt Hoch sich jedenfalls nicht. Dieser deutschlandweit bekannte Comicladen, den es schon seit 1982 gibt und der mit zwei Filialen, drei Inhabern und drei Angestellten neben „Modern Graphics“ zu den größten Berliner Comicshops gehört, sitzt seit November 2010 nur einen Steinwurf entfernt ebenfalls in der Torstraße. „Auf unseren Tüten steht zwar ‚Mitte‘, aber es stimmt, das ist schon Prenzlauer Berg“, sagt Mitinhaberin Margitta Fischer. Ganz anders als bei „Neo Tokyo“ gibt es sowohl in dieser als auch in der kleineren Kreuzberger Filiale nicht nur eine Produktgruppe, sondern das ganze Comic-Spektrum: Also eine Menge US-Importe, japanische Artbooks und DVDs, deutsche und auch ein paar frankobelgische Comics, in einer Berlin-Ecke sind die hiesigen Zeichner und Verlage vertreten.
Zeichner hinterm Tresen
Auch die entsprechende Merchandizing-Palette – Plastikfigürchen, T-Shirts, Kaffeebecher – füllt etliche Vitrinen. Die Beratung ist allerdings kaum zu toppen, nicht nur die Mitarbeiter kennen sich aus, auch viele inzwischen prominente Zeichner standen beim „Groben Unfug“ schon als Verkäufer an der Kasse, aus Prenzlauer Berg zum Beispiel ATAK oder Fil.
Anders als in den ehemaligen Geschäftsräumen an der Weinmeisterstraße, herrscht hier auch kein höhlenartiges, Comic-Anfänger womöglich ein wenig abschreckendes Ambiente mehr. Alles ist clean, hell und freundlich. Ja, selbst eine Angela Merkel könnte man sich hier gut als Kundin vorstellen. Die Abrafaxe sind jedenfalls meistens vorrätig, und falls nicht, bestellbar. Galten Comics wirklich mal als Subkultur oder Nerd-Hobby? Angesichts des breit gefächerten Prenzlauer Berger Shopping-Paradieses kann man sich das kaum noch vorstellen.
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