Unmut am Helmholtzplatz

von Christiane Abelein 17. März 2014

Der Helmi ist seit Jahrzehnten ein Treffpunkt für Trinker. Die Anwohner beschweren sich darüber fleißig, die Polizei kontrolliert „verstärkt“, aber ein „neuer Oranienplatz“ mit vielen Drogen – wie Stadtrat Kirchner ihn fürchtet – entwickelt sich nicht.

Hach, der Frühling am Helmholtzplatz ist wunderbar! In den Café lassen sich laute Brunch-Runden die Sonne auf den Latz knallen, die lieben Kleinen wühlen im Sand und kleckern mit ihren ersten Eistüten jede Jacke voll, die im Umkreis von 20 Metern abgelegt wurde, und auf den Steinbänken strecken sich die Obdachlosen und Profitrinker mit Flaschen in den Händen in voller Länge aus und zeigen ein wenig Bauch.

So idyllisch bleibt es nicht lange: Die Polizei rückt an, in Mannschaftsstärke, alle gepanzert mit schusssicheren Westen. Langsam umrunden die insgesamt acht Frauen und Männer die Tischtennisplatten, stellen die vermeintlichen Penner zur Rede. Personenkontrolle nennt man das wohl. Was war da los? Nichts besonderes, hört man in der Polizei-Pressestelle. Es handelte sich demnach um eine reine Überprüfung der Personalien, ein Anlass war „auf die Schnelle nicht nachvollziehbar“. Zufällig waren aber Kapazitäten frei, weil die Einsatzkräfte bei einer Aktion im Mauerpark nicht gebraucht wurden. Der unbeteiligte Zuschauer vergisst den Vorfall schnell, schließlich kräht das Kind – nein, nicht auf der abgebauten Schaukel, oder dem maroden Spielschiff, das nur mithilfe von Spenden erneuert werden kann, sondern im übergroßen, allumfassenden Sandkasten.

 

2 Kontrollen innerhalb von 3 Stunden

 

Wenig später der nächste Zwischenfall: Zwei Damen vom Ordnungsamt steuern ihr Dienstauto etwas umständlich, aber entschieden mitten auf den Platz. Sie steigen aus, ziehen sich die Hosen hoch, und gehen geradewegs auf die etwas verwahrlost aussehenden Hundehalter zu, die es sich auf einer Parkbank bequem gemacht haben. Ist etwas vorgefallen, außer dass nicht alle Hunde angeleint waren? (Die treuen Begleiter diverser kurzrockiger Schönheiten und Familienväter übrigens auch nicht.) Nö, sagt der fürs Ordnungsamt zuständige Bezirksstadtrat Torsten Kühne (CDU). „In letzter Zeit hatten wir keine auffälligen Vorkommnisse.“

Keine auffälligen Vorkommnisse und trotzdem zwei Kontrollen innerhalb von drei Stunden? Wer sich ein wenig mit der Geschichte des Helmholtzplatzes beschäftigt, versteht das besser. Probleme (auch mit Trinkern) gab es hier schon zu DDR-Zeiten, während der Sanierung entwickelte sich das Grün zum sozialen Brennpunkt, und nach der Wiedereröffnung des Platzes sollten all die Obdachlosen und Punks den neuen Anwohnern möglichst nicht mehr negativ auffallen. Neu verdrängt alt. Doch die Trinker blieben, auch wenn einiges gegen sie unternommen wurde. Es gab Zeiten, da kam die Polizei jede Stunde; der Helmholtzplatz galt bei der Polizei und Berlins Innenpolitikern als „gefährlicher Ort“.

 

Anwohner beschweren sich schnell und oft

 

Diese Zeiten sind vorbei. Das Label „gefährlich“ wurde abgeschafft und ersetzt durch das behörden-spezifischere „kriminalitätsbelastet“. Ob der Platz, der in einigen Kinderbüchern durch schwangere Enten und kinderwagenschiebende Hühner skizziert wird, dazu gehört, gibt die Polizei nicht bekannt. Sie will ihre Strategie nicht preisgeben und den Orten „keinen Stempel aufdrücken“. Aber so schlimm wie früher, das erzählen alle, die mit dem Helmi befasst sind, ist es nicht mehr.

Trotzdem wird der Bereich immer noch „verstärkt bestreift“. Der Grund: Anwohnerbeschwerden über Lärm und Belästigungen. Im gesamten Jahr 2013 führte die Polizei am Helmholtzplatz 227 Einsätze durch. In beinahe der Hälfte der Fälle, nämlich 107 Mal, waren Anrufe der Anwohner der Anlass.

Warum nur die vielen Beschwerden? Man meint Kühne durchs Telefon die Schultern zucken zu hören. Naja, sagt er, „wir haben auch Lärmbeschwerden über zu laute Mülltonnen oder das Geschirrklappern aus dem Restaurant. Der ein oder andere greift eben schnell zum Telefon.“

 

Alkohol, Drogen – ein „neuer Oranienplatz“?

 

Kühnes Stadtratskollege Jens-Holger Kirchner, der sich um die Stadtentwicklung in Pankow kümmert, sieht das weniger pragmatisch. Für ihn ist der Helmholtzplatz so gar kein sonniges Frühlingsparadies, sondern womöglich „der nächste Oranienplatz“. Der Grünenpolitiker begründet seine Haltung so: „Wir haben dort nicht nur die Trinker, sondern auch ein massives Drogenproblem!“

Drogen? Davon hat Kühne noch nichts gehört. Aber die Trinkerszene, die sei immer noch ein Problem. Kühne sagt: „Die Szene entwickelt sich – wenn man so will – weiter.“ Es kämen immer wieder neue Figuren hinzu: „Anscheinend erfreut sich der Helmholtzplatz einer gewissen Bekanntheit oder Beliebtheit.“ Größer werde die Gruppe aber – auch „demographisch bedingt“– nicht.

Mit den Trinkern hat auch die Polizei so ihre Erfahrungen gemacht. In den vergangenen Jahren beobachtete die zuständige Polizei im Abschnitt 15 eine „zunehmende Aggressivität“ zwischen Trinkerszene und Platzbesuchern (auch, weil es keine Toilette mehr für die zum Teil Obdachlosen gibt). Zum anderen waren da die extremen sozialen Veränderungen im Kiez. Seit dem Mauerfall, berichtet Abschnittsleiter Klaus-Dieter Bukowski, hat sich die Bevölkerung beinahe komplett ausgetauscht – insgesamt 40.000 Zu- und Wegzüge wurden in den 25 Jahren verzeichnet. Bukowski erschlich so ein Gefühl, dass das nicht gutgehen könne.

 

Weiche Fakten statt Gefühl

 

Weil der freundliche Herr seiner Arbeit aber lieber Fakten zugrunde legt, nahm er sich gemeinsam mit seinen Untergebenen viel viel Zeit und überprüfte die Stimmungslage am Helmholtzplatz. Sie verteilten im vergangenen August 1.550 Fragebögen an zufällig Auserwählte unter den insgesamt 21.000 Anwohnern im Kiez zwischen Schönhauser Allee im Westen, Senefelderstraße im Osten, der Ring-Bahn Trasse im Norden und der Danziger Straße im Süden. Drei Monate saßen sie an der Auswertung, jetzt ist sie fertig. Klaus-Dieter Bukowski ist völlig bewusst, dass nach einem Rücklauf von 409 Fragebögen keine repräsentative Studie entstanden ist, und er immer noch nicht mehr als ein Stimmungsbild im Kiez in den Händen hat. Aber das gibt es nun immerhin. (Mehr Details dazu finden Sie hier.)

Irgendwelche Ergebnisse zum Helmholtzplatz? Aber sicher! Zum Beispiel, dass der „Trinkertreff“ dort am häufigsten als „Ort emotionaler Befangenheit“ genannt wurde (danach kommen der Mauerpark, die S-/U-Bahnhöfe Schönhauser Allee und Eberswalder Straße). Beinahe ein Drittel aller Befragten äußerten sich zu dem Satz „Ich fühle mich am Helmholtzplatz unwohl“: Zwei Drittel der 18 bis 24-jährigen jungen Männer stimmten dem zu, bei den Damen in allen Altersstufen zwischen 18 und 60+  unterschrieben die Aussage immerhin zwischen 26 und 34 Prozent.

Warum der hohe Anteil unter jungen Männer, die interessanterweise – auch das zeigt die Umfrage – überhaupt kein Problem mit Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit haben? Bukowski vermutet, dass sie eben auch zu Abend- und Nachtstunden am Helmi unterwegs sind, während es sich die älteren Semester schon vor dem Fernseher gemütlich gemacht haben.

 

Störfaktoren, aber keine Angst

 

So schlimm kann die Situation rund um den Platz aber nicht sein. 93 Prozent aller Befragten fühlen sich „eher sicher“ bis „absolut sicher“ im Wohnquartier, 95 Prozent wohnen „gerne“ bis „sehr gerne“ hier. Polizeioberrat Bukowski vermutet: „Es gibt hier einen großen Unterschied zwischen Dingen, die mich als Anwohner stören und Situationen, die mir Angst machen.“

Keine Angst ist gut. Aber vielleicht auch ein Grund dafür, dass die monatliche Bürgersprechstunde am Helmi nicht besonders gut angenommen wurde. Sie wurde zum September vergangenen Jahres abgeschafft. Und die vielen Polizeikontrollen? Stören die die Anwohner und Besucher nicht? Bukowski meint, nein. Von allen Teilnehmern hatten beinahe zwei Drittel in den letzten 14 Tagen vor der Befragung „Polizeikontakt“, 85 Prozent waren mit dieser Begegnung „eher zufrieden bis sehr zufrieden“. Das, so der erfahrene Abschnittsleiter, sei gar nicht schlecht. „Alle werden uns nie lieben, und das ist auch gut so.“

 

 

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