Terézia Mora ist eine der besten deutschsprachigen Autorinnen unserer Zeit. Die gebürtige Ungarin lebt seit mehr als 20 Jahren in Prenzlauer Berg und fühlt sich hier schlicht zuhause.
„Woran merkt man, dass man zuhause ist? Daran, dass es nicht anstrengend ist.“ So einfach klingt das bei Terézia Mora. Doch so einfach war es für sie lange nicht. Denn vor dem zuhause sein kommt das heimisch werden. Und das war für die Schriftstellerin ein nicht immer einfacher Weg.
Die gebürtige Ungarin, die im vergangenen Jahr den Deutschen Buchpreis gewann, machte als blutjunge 17-Jährige einen Sprachkurs in Magdeburg, damals noch DDR. Sie lernte ihren jetzigen Mann kennen – und entschied sich. Für die Person, mit der sie den Rest ihres Lebens verbringen, und für die Stadt, in der sie leben wollte: Berlin. Mora, die im Alltag den Nachnamen eben jenes Mannes trägt, ist froh, dass sie ihre Eckpfeiler so früh gefunden hat: „Manche suchen ihr ganzes Leben danach.“
Fremd in der großen Stadt
27 Jahre ist das nun her. Fast die gesamte Zeit lebte und lebt die Schriftstellerin in Prenzlauer Berg. Am Anfang fühlte sie sich noch fremd, aber „auf eine gute Weise“. Der Umzug war für die junge Studentin der Hungarologie und Theaterwissenschaft damals auch eine Flucht. Ihre Kindheit in der Nähe von Sopron empfand sie als „nicht schön“, was vielleicht harmloser klingt als es ist. Auch heute noch seien die Leute in ihrem Heimatdorf mindestens passiv-aggressiv anderen gegenüber, über ihren Erfolg freue sich dort niemand. „Manchmal frage ich mich selbst, woran das liegt, dass es mich in Ungarn so runterzieht.“ Terézia Mora weiß es nicht. Sie sagt nur: „Schade.“
In Berlin ist das anders. Mit offenen Armen empfangen wurde die heute 43-Jährige aber auch hier nicht. Allein ihr Deutsch habe Skepsis ausgelöst, eine Mischung aus dem alten burgenländischen Dialekt ihrer Familie und dem Österreichisch, das sie – aufgewachsen nur rund 60 Kilometer von Wien entfernt – aus den Medien kannte. Zur Wendezeit nicht unbedingt ein Vorteil, meint Mora: „Die Ostdeutschen mussten sich schon mit den Besserwessis auseinandersetzen, die anders sprachen als sie selbst. Und dann kam da jemand an, der noch mal ganz anders klang.“ Fremdheit vorprogrammiert.
Erst nach drei Jahren hatte Terézia Mora selbst das Gefühl, dass sie nicht mehr auffiel. Nach fünf Jahren war sie nach eigener Einschätzung mit dem Abtasten fertig; verstand, was wie läuft.
Wohnungen wie im Roman
Die Zeit des Ankommens verbrachte die Studentin in kleinen, billigen Wohnungen. Die erste: Eine Ein-Raum-Wohnung in der Kastanienallee, das Klo auf halber Treppe, ein Kastanienbaum vor dem Fenster. Mora konnte das Geschehen im Prater hören und das Scheppern der alten DDR-Straßenbahn Linie 49. Ein Setting, das sich aus heutiger Sicht wunderbar für Geschichten eignet – und das die Autorin tatsächlich in ihr jüngstes Buch eingebaut hat. Die weibliche Hauptfigur aus „Das Ungeheuer“ wohnt ebenfalls in solch einem Zimmer; in ihrem Tagebuch erinnert sich Flora an den Tod eines bulgarischen Musikers, den die Autorin miterlebt hat.
Normalerweise macht Mora ihre Orte unkenntlich, aber weil es einen Prater auch in Wien gibt und selbst Städte wie Lüdinghausen eine Kastanienallee haben, durften die echten Namen drinbleiben. Genauso wie die Schönhauser Allee. Dort, in der nächsten Wohnung, bewohnte die junge Terézia schon zwei Zimmer – zumindest im Sommer. „Im Winter war es mir zu teuer und zu anstrengend, beide Räume mit dem Kohleofen zu heizen“, erinnert sie sich. „Aber mit 19 ist man noch unerschrocken, da macht einem so etwas nichts aus.“
Nur dass sie im zweiten Hinterhof kein Strahl Sonnenlicht streifte, das störte Mora – und so machte sie einen kurzen Abstecher nach Pankow, in eine Wohnung, die sie später zur Unterkunft für den Helden ihres ersten Romans „Alle Tage“ machte.
„Gehöre ich zu den Loosern?“
Nun also wieder Prenzlauer Berg, diesmal die Prenzlauer Allee. Die Wohnung ist für Moras Familie eigentlich zu klein, aber umziehen in eine größere, das könne auch sie sich nicht leisten. „Es ist schon frustrierend, wenn man in einer Gegend wohnt, wo alles am oberen Limit dessen kostet, was man sich leisten kann. Das erzeugt Druck.“ Und manchmal stelle sie sich die Frage: „Bin ich eigentlich die Einzige, die zu den Loosern gehört, oder wer kauft diese Wohnungen? Wie kamen die zu so viel Geld?“ Die lebhafte Ungarin stockt kurz und schiebt dann nach: „Aber wollen wir deshalb Anwälte sein? Nein!“
Es ist ein Nein, das aus vollem Herzen kommt. Terézia Mora mag ihren Kiez, das spürt man. Keine Spur von Sehnsucht nach dem guten alten Prenzlauer Berg, das es angeblich irgendwann einmal gegeben hat. Für sie war es früher nicht besser, sondern proletarischer, hässlicher und keineswegs freundlicher. Anfang der 90er, da habe man sie an vielen Ecken noch spüren lassen, dass sie Ausländerin sei. An der Schönhauser Allee hätten sich Neonazis gesammelt, in einer Videothek habe man ihr nichts ausgeliehen – man wisse ja nicht, ob sie es wieder zurückbringen würde.
Prenzlauer Berg tötet nicht
Moras Urteil über diese Zeit ist deutlich: „Wir können von Glück sagen, dass sich das geändert hat.“ Sie schätzt es, dass ihre Tochter in einem Umfeld aufwächst, in dem sie alle Erwachsenen wie einen Menschen behandeln. „Man kann Prenzlauer Berg vieles nachsagen, aber nicht, dass es seine Kinder tötet.“ Dann lieber den Vorwurf hinnehmen, die Kleinen zu verzärteln. Als Mutter hat Mora absolut kein Verständnis für die Jammerei einiger, dass es in unserer Welt nicht hart genug zugehe. „Das Leben hat doch Härten genug!“
Viele dieser Härten lässt die Autorin in ihre Bücher einfließen: der Selbstmord der Ehefrau, der Jobverlust, die Depression – das alles sind Schicksalsschläge, die ihre Figuren ereilen. Existentielle Nöte, die Mora auch in ihrem Umfeld im Prenzlauer Berg beobachtet hat. In den 90er Jahren, erzählt sie, hätten viele ihrer Freunde und Bekannten noch sorglos gelebt, hoffnungsvoller als heute.
Seit 2001 aber sähen die meisten Arbeitsbiografien anders aus, brüchiger. Der Mensch passe sich zwar gut daran aber, aber die Verunsicherung bleibe. „Man kann sich nicht alle zwei Jahre neu erfinden. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man zu alt ist, sich anzupassen.“ Das treffe auf gutausgebildete, gutverdienende Leute genauso zu wie auf andere.
Freizügigkeit auch für Schwaben
Doch reicht dieses Obere-Mittelschicht-Milieu, um immer wieder Bücher zu füllen mit Geschichten und Krisen, die die Menschen berühren? Sicher, meint Mora: „Das Leben ist so reich, dass man ohne weiteres innerhalb von vier Jahren ein Buch zusammen hat.“ Auch in Prenzlauer Berg. Auf den Straßen sehe man zwar nur die „Gentis“ (sie sagt das tatsächlich so, mit einem englischen G vorne), aber die Umgebung an sich sei doch so viel reicher.
In den Läden zum Beispiel arbeiteten meist Leute aus dem Wedding oder aus anderen, bisher weniger gut situierten Vierteln. Und es gebe auch jede Menge Künstler vor Ort. Die erkenne man nur nicht, wenn sie nicht gerade mit dem Laptop im Café arbeiteten (was Mora selbst übrigens nie tut). Über die Kreativen kann man sich halt nicht so gut aufregen wie über die Mütter mit den teuren Kinderwagen.
Apropos aufregen. Was hält sie von der zum Teil bösartigen Hetze gegen zugezogene Schwaben? Mora hat dafür nur einen Satz übrig: „Na bitte, es herrscht doch wohl Freizügigkeit – auch für Schwaben!“
Richtig hitzig wird Terézia Mora nur bei einem Thema: der Literatur. Zum Beispiel wenn sie auf dem Spielplatz an der Marienburger Straße Mütter belauscht, die Sätze sagen, wie: ‚Ich habe Shades of Grey nur gelesen, damit ich im Reitstall mitreden kann.’ „Das“, sagt die preisgekrönte Literatin, „halte ich schlicht nicht aus.“
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