Das Berlinprojekt ist eine Freikirche für den urbanen erfolgreichen Single auf der Suche nach Sinn. Die Kirche expandiert. Vor allem junge Kreative fühlen sich angesprochen. Für sie gibt es diese Woche eine Konferenz.
Eine Prozession. Dreiviertel eins, erschöpfte Gesichter, junge und dünne Menschen mit Hipster-Einschlag, gerade haben sie ganz viel Kreativität rausgebracht, und nun sind sie erschöpft. Das Ding, aus dem sie kommen, heißt Backfabrik, und in der Backfabrik muss man etwas gebacken bekommen, sonst wird es schnell eng. Die Menschen in ihrer Mittagspause streifen eine Kirche, und keiner wird merken, dass es überhaupt eine Kirche ist, denn das Eckhaus an der Straßburger und Saarbrücker Straße sieht erstmal nur wie ein hübsch sanierter Altbau aus. Drin wissen sie, dass sie manche der erschöpften Gestalten vielleicht bald bei sich begrüßen können. Denn wenn wieder einmal ein Prenzlauer Berger junger Kreativer den Weg zu Gott sucht, dann landet er mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit hier beim Berlinprojekt.
Drinnen sitzt Christian Nowatzky, trägt eine dunkle Brille, die Haare nach hinten, ist einer von zwei Pastoren des Projekts und hat nichts gegen Schwule. Man ist in der etwas unangenehmen Lage, diese Frage gleich zu Beginn zu stellen, denn sie steht unweigerlich im Raum. Seit gut acht Jahren gibt es das Berlinprojekt, und da es eine Freikirche ist, fragten sich Außenstehende von Beginn an, wie reaktionär im Sinne von evangelikal (George Bush!) das nach außen so locker und dadurch irgendwie verdächtige christliche Berlinprojekt eigentlich ist. Christian Nowatzky nimmt die Frage dankbar auf, versichert, dass er und seine Kirche nichts gegen Homosexuelle habe, viele der Gottesdienstbesucher schwul seien und sich zuletzt ein Transgender bei ihm bedankte, dass er von ihm regelmäßig sein Abendmahl bekommt. „Nein, wir sind keine Sekte“, sagt Christian Nowatzky. Das wäre nämlich die nächste Frage gewesen, das weiß er.
Gutverdienende Gläubige finanzieren das Projekt
Zusammen mit einem Kollegen, Konstantin von Abendroth, gründete Christian Nowatzky nach einem internationalen Priesterstudum 2005 die Kirche, finanziell und ideell unterstützt wurde und wird sie von der Redeemer Presbyterian Church in New York. Zu den Gottesdiensten kamen zu Beginn laut Nowatzky an die 60 Leute, heute zähle man ungefähr 450. Die Gottesdienste mussten deswegen geteilt werden, einer findet jetzt jeden Sonntag morgens im Kino Babylon statt, der andere abends im Betahaus am Moritzplatz. Inzwischen sind auch hier die Kapazitäten ausgeschöpft, es wird wohl bald einen dritten Gottesdienst geben, wo, ist noch nicht klar. 300 ehrenamtliche Helfer hat das Berlinprojekt. Im Juni wurde deswegen Teammanagerin Iris Christ angestellt, sie koordiniert die ehrenamtliche Arbeit. „Alleine hätten wir das sonst nicht geschafft“, sagt Pastor Nowatzky. Sechs Voll- und Teilzeitkräfte arbeiten beim Projekt.
Der typische Besucher der Berlinprojekt-Gottesdienste – eine offizielle Mitgliedschaft gibt es nicht – lebt und denkt wohl weitgehend wie Pastor Nowatzky. Zwischen 20 und 40 Jahre alt, sagt er, seien die meisten, die Mehrheit von ihnen Singles wie er. Gutverdienend, oft Kreativbranche. Sie alle eine der Wunsch, am Sonntag einen Ort zu finden, an dem sie sich nicht immer wieder beweisen müssten, anders als in der täglichen Arbeit. „Sie befinden sich unter der Woche ständig im Rechtfertigungsdruck. Zu uns kommen sie, weil sie hier eine Rückversicherung bekommen, dass sie genügen, wie sie sind. Da fällt regelrecht eine Last von ihnen ab.“ Den meisten ist das viel wert: Knapp 90 Prozent des nötigen 300.000 Euro-Jahresbudgets sammelt die Kirche durch freiwillige Mitgliedsbeiträge, und es scheint zu funktionieren. Ausweislich einer jüngeren Gottesdienstbroschüre wurden so alleine im Juli fast 21.000 Euro eingenommen.
Wim Wenders bei der Kunstkonferenz
Am kommenden Wochenende veranstaltet das Berlinprojekt die Kunstkonferenz Kollaborativ13. Schon dreimal wurde die Veranstaltung von der zur Kirche gehörenden Galerie Kollaborativ seit 2006 ausgetragen, betreut wird sie von Teammanagerin Iris Kent. Angesprochen werden sollen bei der Kollaborativ Menschen aus der Kunst- und Kreativbranche, die „den christlichen Glauben als Kraftquelle für ihren Beruf entdecken wollen“. Als wohl prominentester Sprecher ist der Filmemacher Wim Wenders angekündigt, er ist nicht gerade als christlicher Eiferer bekannt ist. Das sei auch ein Grundmissverständnis, dem bei der Konferenz entgegengewirkt werden soll, sagt Iris Kent. „Es geht darum, Künstler zu ermutigen, ihren Job gut zu machen“. Soll heißen: Der Glaube ist die Stütze, aber nicht die Klammer der Arbeit.
„Viele Künstler, die den Glauben für sich wieder entdecken, erliegen ja dem Missverständnis, dass sich das fortan auch in ihrer Kunst Bahn brechen muss“, ergänzt Christian Nowatzky. Im Extremfall zierten dann Bibelverse Leinwände. „Das führt in eine christliche Subkultur. Und das wollen wir verhindern.“
Die Kollaborativ 13 findet am Freitag und am Samstag statt, die Teilnahme kostet 90 Euro. Das Programm findet sich hier.