Trauerarbeit

von Thomas Trappe 7. Juni 2013

In der Fehrbelliner Straße wird ein Stolperstein verlegt. Für die einen ist es eine Beerdigung. Für andere ein Hindernis. Ein Ortstermin.

Die Dame mit der Zigarette schaut unschlüssig, und damit ist man schon zu zweit. Dass hier gleich eine Art Trauerfeier stattfinden soll, darauf deutet nichts hin, was besonders erstaunt, weil sich zwei Minuten später tatsächlich mehr als 30 Leute versammelt haben werden. Wie es weitergehen wird, weiß die Frau mit der Zigarette jetzt auch nicht so recht, nur, dass hier im Pflaster gleich ein Stolperstein liegen soll – jener vergoldete und mit einem Namen versehene Stein, der inzwischen an unzähligen Orten der Stadt daran erinnert, dass man im Vorbeigehen wieder ein Stück Holocaust streift. Vielleicht ist das Ganze ja abgesagt, wird erwogen. Dann geht alles ganz schnell. Die Angehörige der Ermordeten kommen, ein Bundestagsabgeordneter, Initiativen, Nachbarn. Alle stehen sie jetzt im Halbrund, und die Dame macht ihre Zigarette aus. Dann kommt auch Gunter Demnig, ein Mann in Jeanshemd und mit grünem Hut. Demnig ist der Erfinder der Stolpersteine, und er wird gleich zeigen, dass er das hier nicht zum ersten Mal macht.

Der Stein ist bereits fertig, jetzt gilt es, ihn in das Pflaster einzulassen. Demnig geht zu Boden, löst Pflastersteine mittels Eisenstange und Hammer, und erst jetzt merken auch die Letzten hier, dass es schon losgeht. Demnig spricht nicht. Jetzt kommt die Zementmischung um den in das Loch gelegten Stein und Wasser wird darüber gegossen. An sechs Orten in ganz Berlin war Demnig heute schon, hat Stolpersteine für die Familien Zlotnicki  und Rosen verlegt. Der Stein für Theresa Zlotnicki in der Fehrbelliner ist die siebte Station. Kaum vier Minuten sind vergangen, und der Stein liegt. Einer gewissen Faszination für dies gekonnte Hämmern und Verlegen kann man sich jetzt nicht erwehren, was dazu führt, dass man den eigentlichen Anlass des hiesigen Treffens kurz vergisst. Es geht um Tod und Elend, die ständigen Begleiter von Demnigs Stolpersteinen. Dass der darüber nicht ständig ein trauriges Gesicht machen kann, ist klar. Ein wenig verwirrend ist es trotzdem.

 

Ein Stein mit dem Namen der Oma. Wer hält das aus?

 

Theresa Zlotnicki. Geboren 1872 in Polen, 1931 zog sie mit ihrem Mann, einem Schneider, in die Fehrbelliner Straße 3. Der Mann starb 1938, wann Theresa nach Treblinka verschleppt wurde, ist nicht gewiss, nur, dass sie dort 1942 starb. Vier ihrer fünf Kinder kamen nach Auschwitz oder Riga, alle wurden ermordet. Ebenso drei Enkelkinder, eines von ihnen gerade vier Jahre alt. Einzig die 1919 geborene Tochter Irina Zlotnicki, verheiratete Rosen, überlebte, sie konnte nach Palästina flüchten. Sigrun Marks von der Stolperstein-Initiative Stierstraße hat die Geschichte der Familie recherchiert – und dafür gesorgt, dass Theresa Zlotnickis Enkelin jetzt in der Fehrbelliner Straße 3 steht und trauert. Miriam Yomtoyjan, geborene Rosen, hat dafür vier weitere Angehörige mitgebracht.

Sie alle sind fröhlich. Es gibt ein kurzes Musikstück, und ein paar Reden. Berit Schröder von der Pankower Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus spricht, sie erinnert daran, dass der Stein nicht nur an vergangene Verbrechen erinnern, sondern auch vor neuen nazistischen Umtrieben warnen soll. Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter der Linken und Pate des Stolpersteins, bekennt sich zu Israel. Sigrun Marks fasst den Horror nochmal zusammen, der sich vor kaum einem Menschenleben in dieser Straße abspielte. Und Miriam, die 73 Jahre alte Enkelin? Sie weint jetzt bitterlich, sie kann sich nur schwer auf den Beinen halten. Die Großmutter kann sie nicht kennen, doch hier liegt ein Gedenkstein im Pflaster, und er trägt den Namen der Oma. Wer hält sowas schon aus?

 

Die Verschleppung löste weniger Verstörung aus als die Trauerfeier

 

Das ist jetzt eine Bestattung auf offener Straße. Es werden Rosen auf das Pflaster geworfen, die Kinder und Enkel stützen ihre Großmutter. Die Trauerfeier platzt in den Prenzlauer Berger Alltag, und der kommt damit nicht so recht klar. Eine Frau beschwert sich über den versperrten Weg und die damit verbundene Hürde. Einem Mann, er hat eine Rohrzange und einen Rucksack dabei, findet diesen Menschenauflauf unverschämt, er will jetzt und hier seine Wegstrecke unverändert fortsetzen. „Ich will hier durch“, sagt er vernehmlich, während ein paar Meter weiter Blumen auf dem Boden liegen und Angehörige schluchzen. Schließlich nimmt er doch den kleinen Umweg in Kauf, zeternd. Es ist wohl wahr: Die Verschleppung der Theresa Zlotnicki hat damals weniger Verstörung ausgelöst als das Gedenken an sie heute. 

Sigrun Marks weint inzwischen nicht mehr. Über den schimpfenden Passanten sagt sie, dass „sowas eben passiert“. Wichtig sei, „dass es die Angehörigen nicht mitbekommen“. Eine halbe Stunde dauerte die Trauerfeier. Miriam Rosen wirkt jetzt wieder gefasst, fröhlich wie zuvor. Sie wendet sich an die Umstehenden. „Danke“, sagt sie. „Danke für alles.“

 

 

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