Dinge kaufen, von denen man bis eben nicht wusste, wie dringend man sie braucht. Das ist der Sinn der Mauerpark-Flohmarkts. Ein neuer Bildband zeigt sonntägliche Schatzsucher mit ihren Trophäen.
Mio aus Japan hat sich einen Kleiderbügel gekauft. Nada aus Serbien einen Fellmantel. Und Nonni, Rockmusiker aus Island und angemessen stark tätowiert, eine Schlafmaske. „Ich bin nicht tot“ steht darauf, was in der Hinsicht lustig ist, dass seine Band den lebensbejahenden Namen „Dead Skeletons“ trägt. Sie alle sind, man ahnt es schon, auf dem Mauerpark-Flohmarkt gewesen, fündig geworden und danach Thomas Henk Henkel über den Weg gelaufen.
Der freiberufliche Kameramann aus Berlin hat über ein Jahr lang Besucher des Marktes mit ihren Trophäen abgelichtet. Dazu hat er sie in sein „ambulantes Atelier“ gelockt: Ein einfaches Zelt, außen schwarz, innen ein wenig fotogene Leinwand, ein Hocker und in dieser Schlichtheit eine Hommage an die Wanderfotografen. Vor 150 Jahren zogen sie von Dorf zu Dorf und ermöglichten Familienbilder, als Digitalkameras und Handys noch nicht erfunden waren. Henkels dann entstandene Fotos sind nun unter dem Titel „Schatzsucher. Menschen auf dem Mauerpark Flohmarkt Berlin“ als Bildband im Junius Verlag erschienen. Die Bilder sind multilingual, die dazugehörigen Texte für ein breites Publikum gedacht und daher auf Deutsch und Englisch.
Kaufen ohne Brauchen
Die großen Farbfotos zeigen genau das, was den Charme des Marktes ausmacht: Glück wie Stolz, gerade ein Utensil erworben zu haben, von dem man noch vor kurzem gar nicht wusste, wie sinnlos das Leben ohne es wäre. Ob Jägerhut, Golfschläger oder unzerreißbare, ballonseidene Sporthose – man geht nicht zum Mauerpark-Flohmarkt, weil man so etwas dringend braucht. Kaufen und großartig finden tut man es trotzdem.
Beschrieben hat dieses Phänomen auch Wladimir Kaminer, der als Nachbar des Parks dem Band ein kurzes Vorwort beigesteuert hat. Aus alter Verbundenheit mit seiner Heimatstadt Moskau kaufte er auf dem Markt einst im Vorübergehen einen alten Löffel mit der Inschrift „Moskau ist über jeden Gast froh“. Nur, um kurz darauf überzeug zu sein, jetzt nicht ohne acht Austerngabeln und eine Kaviarschaufel nach Hause gehen zu dürfen. Ein Foto im Band zeigt Kaminer, den russischen Löffel in der Hand, die Taschen voller Besteck. Nur einen Euro habe der Löffel gekostet, steht im Text daneben. Der Autor ist nicht der erste Flohmarktbesucher, der Opfer des eigenen Schnäppchenjagdinstinkts wurde.
Morgens sichern, mittags weiterverkaufen
Neben einem eindrucksvollen Beweis für die Internationalität des Publikums bietet der Bildband auch gleich eine Übersicht über die aktuelle Hipstermode zwischen Chile und Chemnitz. Dazwischen der 55-jähige geborene Friedrichshainer Manfred, der das 113. Stück für seine Sammlung an Uhren aus Sowjet- und DDR-Produktion präsentiert (25 Euro hat er für das eckige, goldene Stück aus dem VEB Glashütter Uhrenbetriebe gezahlt). Und Norbert, Hartz-IV-Empfänger aus Wedding und pfiffig genug, schon früh am Morgen ein paar Schätze auf dem Markt zu bergen, nur, um sie mittags dann weiterzuverkaufen.
In der ganzen Diskussion um Neubau am und Müll im Mauerpark geht manchmal unter, welche Anziehungskraft der Park samt Markt auf Berliner wie Besucher auf der ganzen Welt hat. Dass heute Punker Langspielplatten und argentinische Backpacker frische Hemden kaufen, wo einst die Mauer stand, ist doch ein wunderbares Symbol für dieses neue Berlin. Nun kann man es sich auch ins Regal stellen.
Thomas Henk Henkel: Schatzsucher. Menschen auf dem Mauerpark Flohmarkt Berlin. Mit einem Text von Wladimir Kaminer. Junius Verlag, Hamburg 2013. 96 Seiten, 19,90 Euro.
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