Sechs Monate verbrachte Bärbel Bohley 1988 im Westen – gegen ihren Willen. Eine RBB-Doku verfolgt ihre Reise und erzählt außer der Geschichte der Bürgerrechtlerin viel über die DDR-Opposition.
Zur Not wäre sie über die Mauer geklettert. Über die Mauer, zurück in die DDR. So schreibt es Bärbel Bohley in ihrem „Englischen Tagebuch“ im Sommer 1988. Da sind die sechs Monate, die sie im westlichen Ausland verbringen soll, schon fast um. Eigentlich hätte die DDR-Führung die bekannte Bürgerrechtlerin lieber endgültig zur Ausreise genötigt. Doch als Bohley sich weigert, kommen sie mit der Sechs-Monats-Idee um die Ecke. Bohley willigt ein. „Der Rauswurf“ heißt die Dokumentation von Gabriele Denecke, die dieses halbe Jahr rekonstruiert und dabei mit dem Menschen Bärbel Bohley auch einen wichtigen Aspekt der DDR-Opposition erklärt. Heute Abend läuft der Film um 22.45 Uhr im RBB.
Seit Beginn der 1980er Jahre ist die Malerin Bärbel Bohley politisch aktiv. Als in der DDR die Wehrpflicht auch für Frauen eingeführt wird, gründet sie die „Frauen für den Frieden“ mit. Sie wird verhaftet, engagiert sich weiter, ihre Wohnung in der Fehrbelliner Straße wird zum wichtigen Treffpunkt der Prenzlauer Berger Oppositionellen. Im Januar 1988 wird sie erneut festgenommen und im Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen festgehalten, nachdem Systemkritiker am Rande der offiziellen Kundgebung zum Todestag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht für Bürgerrechte demonstrierten. Nun soll Bohley ganz aus der DDR verschwinden; vorgeworfen wird ihr Landesverrat. Letztendlich erklärt sie sich bereit, für sechs Monate das Land zu verlassen.
Kampf für einen besseren Sozialismus
Zu dieser Zeit wollen viele einfach nur raus, nicht länger ihrer Freiheiten beraubt und der Stasi ausgeliefert sein. Doch Bohley ist anders. Sie gehört zu den Kritikern, die das System ändern, es aber nicht komplett abschaffen wollen. Die DDR und die kaputten Häuser des Prenzlauer Bergs, das ist ihr Zuhause. „In Westdeutschland soll Geld in Bewegung gebracht werden und nicht Lust am Leben entstehen“, schreibt sie kurz nach ihrer Ankunft in der BRD in ihr Tagebuch.
Der Film zeichnet ihre Reise durch Westeuropa nach, die sie gemeinsam mit dem ebenfalls ausgewiesenen Werner Fischer absolviert. Historische Aufnahmen, Fotos, Gespräche mit Zeitzeugen und immer wieder Passagen aus Bärbel Bohleys Tagebuch setzen ein Bild zusammen einer Frau, die erstmals frei reisen darf und sich dabei mehr gefangen fühlt als wohl jemals zuvor. Bohley sitzt in einem Käfig der Angst, nicht zurückzudürfen. Durch diesen Filter sieht sie ihre Stationen, Tübingen, das Elsass, London und Schottland, später Italien. Sie ist befremdet von den Ansichten der Westdeutschen, die wiederum nicht verstehen, wie man zurückkönnen will in die DDR. In Rom notiert sie ihre Schuldgefühle darüber, „dass ich etwas erlebe, das mir nicht zusteht.“
Bohley kann das Reisen und die völlige Freiheit, die ihr die sechs Monate geben, nicht genießen. Sie will das auch nicht. Getrennt von ihrer politischen Arbeit in Berlin ist sie unruhig. Die Versuche, ein wenig Lobbyarbeit bei den Parteien in Bonn zu machen, stoßen dort auf wenig Interesse. Als zusätzliche Belastung merken Bohley und Fischer, dass sie auch im Ausland weiter von der Stasi überwacht werden: Männer in den typischen grauen Anoraks im Pub, ein vollbesetzter Lada vor der Haustür in Chelsea, deutliche Anzeichen von Hausdurchsuchungen während ihrer Abwesenheit. „Ich sollte es merken“, schreibt Bohley in ihr Tagebuch. Hätte sie mit der DDR gebrochen, die Stasi hätte sie freigelassen. Doch sie wollte partout zurück nach Hause.
Zuhause wartet sie Stasi
Am 3. August reisen Bohley und Fischer über Prag zurück. Sie dürfen über die Grenze und sind damit die ersten Oppositionellen, die zurückkehren in die DDR. Drei Wochen muss Bohley erstmal auf dem Land, in der Uckermark, verbringen, bis die mediale Welle wieder abgeklungen ist. Es gibt Fotos von der Zeit, wie sie den Müll wegbringt, wie sie eine Straße entlangläuft. Die Stasi weicht ihr nicht von der Seite. Bohley muss das gewusst haben und wollte dennoch zurück. Im Schwarzen Kanal erklärt Karl-Eduard von Schnitzler: „Das sind natürlich keine Bürgerrechtler, denn die Bürgerrechte sind im sozialistischen Staat und bei seiner Bevölkerung in besten Händen. Sie sind Rechtsbrecher.“
Im Herbst 1989 initiiert Bärbel Bohley das Neue Forum. „Sie ist das Gesicht der Opposition in der DDR – und danach entbehrlich“, kommentiert der Film. Denn das Land, das Bohley nicht verlassen wollte, gibt es kurz darauf nicht mehr. Ihr politisches Engagement geht dennoch weiter, etwa im Kriegsgebiet des ehemaligen Jugoslawien. Im September 2010 stirbt Bärbel Bohley an Krebs.
„Der Rauswurf: Bärbel Bohley – Tagebuch einer Unbequemen“, ein Film von Gabriele Denecke, Dienstag, 5. Februar, 22.45 Uhr im RBB Fernsehen.
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