Bye Bye Bio-Biotop

von Juliane Schader 7. November 2012

In Prenzlauer Berg sei alles so „Bionade Biedermeier“, befand vor fünf Jahren die „Zeit“. Dann kamen Mietexplosion und Schwabenhass und rissen ein riesiges Loch zwischen Klischee und Realität.


In Prenzlauer Berg zu wohnen ist schon längst mehr als eine einfache Adressangabe. Es ist eine Diagnose, und die Symptome sind weithin bekannt: im Biomarkt einkaufende, spätgebärende Milchkaffee-Trinker, die aus Schwaben hergezogen sind und alteingesessene Clubs wegklagen. Wohin man auch kommt, das Prenzlauer-Berg-Klischee ist immer schon da. Auch weit über die Grenzen von Berlin hinaus.

Nicht ganz unschuldig daran ist Henning Sußebach. Im November 2007 veröffentliche er in der „Zeit“ seinen Text „Bionade Biedermeier“– ein prägnantes Stadtteilportrait voller Kinder-Yoga und im LPG-Markt-Kunden, das Prenzlauer Berg als Inbegriff eines neuen Spießertums beschrieb.

Fünf Jahre ist das her. Was ist seitdem passiert?

Die Mieten sind gestiegen, noch mehr Clubs weggezogen, massig Baulücken geschlossen worden. Stillende Müttern wurden mit Milchkühen verglichen. Ein Zeitungsausträger zündete in Hausfluren Kinderwagen an, um seiner Abneigung gegen Schwaben Ausdruck zu verleihen. „Gentrifizierung“, einst ein Fachbegriff aus der Stadtsoziologie, zog in den Wortschatz von Grundschülern ein. Und Bionade gehört mittlerweile zum Dr.-Oetker-Konzern.

 

Keine Probleme, die Yoga nicht lösen könnte

Der Ort, den Henning Sußebach damals aus seiner Wahrnehmung beschrieben hat, ist ein glatt polierter, an dem die Menschen keine Sorgen kennen, solange die Sojamilch für den Kaffee nicht ausgeht. Wenn es doch mal nicht so gut läuft, zahlen sie den Kredit für die Eigentumswohnung im Zweifel bei Vati ab. Es gibt kein Problem, das man mit Yoga nicht lösen könnte.

Wenn es so einfach wäre. Jede Woche gibt es neue Meldungen, wer sich den Prenzlauer Berg nicht mehr leisten kann – Rentner, Theater, Cafés. Selbst der Bezirk will sein Bezirksamt an der Fröbelstraße abwickeln. Längst klagen auch diejenigen über steigende Mieten, die vor ein paar Jahren die Mietspirale mit in Gang gebracht haben. Für die sozial Schwächeren wird die Lage damit noch schlechter.

Millionen von Euro sind seit den 1990ern in die Sanierung der Kieze um den Kollwitz, Teutoburger oder Helmholtzplatz geflossen, damit die verrottenden Häuser von damals wieder bewohnbar werden. Doch beim Versuch der behutsamen Stadterneuerung ist man völlig über das Ziel hinaus geschossen. Die Sozialstruktur wurde zerstört, die Bevölkerung ausgetauscht, und die Mieten explodierten. Erst langsam beginnt die Politik sich einzugestehen, dass hier etwas gehörig schief gelaufen ist. Mittlerweile sucht sie nach geeigneten Mittel, dieser Entwicklung entgegen zu steuern – bislang vergeblich.

 

Schuld ist immer, wer später zuzieht

In der Bugwelle dieses Problems ist ein Streit um die Deutungshoheit im Kiez ausgebrochen. Er funktioniert nach der simplen Regel: Wer früher da war, hat mehr recht; wer später dazugekommen ist, hat alles kaputt gemacht. Obwohl alle die gleiche Sorge umtreibt, wird sich lieber gegenseitig die Schuld in die Schuhe geschoben. Die Wohnungen werden teuerer, der Hass wird größer. Beides nervt.

Wie einfach es sein kann, die Stimmung zu verbessern, weiß Stephanie Quitterer. Im Juli letzten Jahres kam sie auf die Idee, mit Kaffee und Kuchen ausgerüstet an Wohnungstüren ihrer Nachbarschaft im Winskiez zu klingeln. Etwa 100 Mal hat sie an fremden Küchentischen gesessen und dort über Gott und die Welt geredet. Und natürlich über die Probleme im Bezirk. „Mein Blick auf das Phänomen Gentrifizierung ist politischer geworden“, sagt sie. Statt die Energie beim Schwaben-Hass und Mütter-Bashing zu vergeuden, solle man sie besser auf die Politiker richten, die etwas verändern könnten. „Man muss den Nährboden untersuchen, und nicht das Feindbild.“ Quitterer sagt, sie habe gelernt, zu differenzieren anstatt sich auf den ersten Eindruck zu verlassen. Das täte den Klischee-Verbreitern auch mal ganz gut.

Und der nächste Schritt? Anpacken. Stefan Gehrke verdient sein Geld unter der Woche als politischer Berater. Am Wochenende sammelt er alte Zigarettenstummel am Arnswalder Platz zusammen, schneidet Hecken, harkt Laub. Gehrke hat eine Bürgerinitiative mitgegründet, die sich in Zukunft mehr um die Pflege des Platzes kümmern will. Wer ihm Böses will, behauptet, er führe dort die Kehrwoche ein. Dabei will er einfach, dass dieser nicht weiter verwildert, sondern als Anlaufstelle für Menschen aus dem Bötzowviertel und der Grünen Stadt funktioniert, die sich beide derzeit eher aus dem Weg gehen. Gehrke geht es um Nachbarschaft und Sozialgefüge, obwohl doch in Prenzlauer Berg vermeintlich nur Selbstverwirklichung und Individualismus Platz haben.

 

Ankunft im Pleite-Bezirk

Dass sich die Anwohner selbst um die Pflege des Platzes kümmern müssen, ist einer weiteren entscheidenden Veränderung geschuldet. Denn nachdem der Bezirk viele Jahre von massiven Förderungen durch Bund und Land profitiert hat, versiegen diese Finanzströme stetig. Jetzt macht sich bemerkbar, dass Prenzlauer Berg zu einem Bezirk gehört, der den Betrieb gerade noch so aufrecht erhalten kann, und zu einem Land, das schon seit Jahren pleite ist.

Überall fehlt es an Geld, für die Sanierung von Spielplätzen und Gehwegen ebenso wie für den Erhalt von Senioreneinrichtungen oder Theatern. Von Parkpflege ganz zu schweigen. Beim Spaziergang kann man Prenzlauer Berg zwar als Biotop der Schönen und Kreativen erleben, so wie Sußebach vor fünf Jahren schrieb. Aber jeder, der sich intensiver mit dem Stadtteil auseinandersetzt, weiß, dass man es sich damit zu leicht macht. Da klafft eine riesige Lücke zwischen dem Klischee des vermeintlich reichen Bezirks ohne Probleme  – und der Realität.

Als die Zeit des ursprünglichen Biedermeier vor knapp 160 Jahren vorbei war, folgte die Revolution. Der Bionade-Variante täte es schon ganz gut, wenn sich alle mal zusammenrissen und Lust hätten, ihren Stadtteil gemeinsam voranzubringen.

Das Klischee kann derweil ja mal Pause machen.

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