Konzerte in der Kirche und in Künstlerwohnungen, ständige Angst vor der Staatsgewalt. Eine Ausstellung erinnert an das subversive Prenzlauer Berg der End-DDR.
Pankow freut sich, als er sich erinnert. Blickt von seiner Kaffeetasse und dem Salami-Brötchen auf, schaut nach hinten und zeigt mit dem Daumen in die gleiche Richtung. Nur ein paar Meter vom Café entfernt, in dem er gerade von früher erzählt, war damals dieses Punk-Konzert, das mit Gebeten eröffnet wurde. „Wir haben ja damals alles genommen, was wir kriegen konnten“, sagt Michael Boehlke, dessen Künstlername Pankow ist. Also hat man damals auch dankbar Ja gesagt, als der Pfarrer der Eliaskirche diesen bunten Jugendlichen anbot, doch ihre neue Jugendkultur in seiner Elias-Kirche zu verrichten. 1982 war das. Vorne ein Pfarrer, in den Sitzreihen viele Punks, teilweise nüchtern. Und nach dem Gebet spielte Pankow mit seiner Band „Planlos“ ordentlichen Punk. Der war damals noch relativ neu in der DDR – und Prenzlauer Berg war eines der Zentren der Bewegung.
Gerade ist Pankow mit den letzten Handgriffen beschäftigt, damit am Donnerstag in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg die Ausstellung „East End – Punk in der DDR (Fotografien 1982 – 1984)“ eröffnet werden kann. Bilder von sieben Fotografen werden gezeigt, im Rahmen des 5. Europäischen Monats der Fotografie. Verschiedene Perspektiven, ein Ziel: Einen Einblick in eine Punk-Welt der späten DDR zu geben. Für die Vernissage wird mit einem Foto geworben, das ordentlich Symbolkraft hat. Ein Punk auf einem Trümmerhaufen.
Als Punk noch gefährlich war
Pankow hat eine „Produktionsbutze“, wie er seine Firma Substitut in der Rykestraße nennt. Mit ihr hat er zum Beispiel das Projekt „Too much Future“ ins Leben gerufen, das die Punk-Bewegung in der DDR dokumentieren soll. In der Projektbeschreibung steht dieser schöne Satz, der zeigt, warum Punk im Osten nicht gleich Punk war. „Punk in West-Europa war ein popkulturelles Phänomen mit politischen Ursachen. Punk in der DDR dagegen war ein politisches Phänomen mit popkulturellem Hintergrund.“ Heißt auch: Punks in Prenzlauer Berg lebten wirklich gefährlich.
1980 war Pankow gerade mal 16 Jahre alt. Eines Tages kam er mit Freunden in einem zum Probenraum ausgebauten Keller in der Metzer Straße. Bernd-Michael Lade, heute Schauspieler (Gorki-Theater, Tatort Leipzig), übte sich damals mit zwei Freunden (heute Drehbuchautoren und Theaterleute) fleißig am Punk – ihnen fehlte aber ein Sänger. Pankow sollte dann spontan „irgendeinen Punkmist“ singen, es waren schließlich die schönen Zeilen „Jeder ein Versager ist, der nicht seine Scheiße isst“. Die Jungs waren begeistert und fortan zu viert. „Wir waren musikalisch eine der besseren Punkbands der Republik“, ist Pankow überzeugt.
Prenzlauer Berger Punks galten als arrogant
Ihr erstes Konzert, erinnert er sich, gab „Planlos“ in der Lychener Straße, Silvester 1981. „In einem Atelier eines Künstlers.“ Überhaupt fanden alle Konzerte meist in irgendwelchen Prenzlauer Berger Wohnungen oder Kellern statt, offizielle Auftritte waren ja nicht möglich. „Wir waren grundsätzlich illegal.“ Für einen offiziellen Auftritt brauchte es eine Genehmigung der sogenannten Einstufungskommission, „meistens drei alte Männer im Anzug“. Doch Gefallen fanden Punks bei den Verantwortlichen nicht. „Die hielten uns für Nazis“, sagt Pankow. Die Folge war ständige Observation durch Stasi und Polizei und Angst vor dem Knast. Pankow vermied es deshalb, Texte aufzuschreiben; so wurde Beweismaterial verhütet. Mit Erfolg: Die Band blieb weitgehend unbehelligt. Anders als eine Freundin Pankows. Als Punk-Sängerin saß sie eineinhalb Jahre im Gefängnis.
Spätestens 1981 waren Punkbands in der DDR ein Massenphänomen. Allerdings mit starken Konzentrationstendenzen, so Pankow. Vielen Dorfpunks standen als Zentren nur Leipzig und Ost-Berlin gegenüber. Die Prenzlauer Berger Punks trafen sich – bis die Polizei dies unterband – vor allem am Alexanderplatz. Friede und Harmonie habe damals in der Ost-Berliner Szene nicht geherrscht. Da seien zum Beispiel die weniger politisierten „Biertrinker-Punks“ gewesen, die sich in Pankows Erinnerung vor allem in Köpenick trafen. „Die hielten uns Prenzlauer Berger eher für arrogant.“ Grund: In Prenzlauer Berg hätten sich vor allem Punks aus dem intellektuell geprägten Künstler-Bohème-Umfeld gesammelt.
Auf dem besten Weg zum Terrorismus
Pankow war damals auf dem besten Weg, ein Terrorist zu werden. „Unser formuliertes Ziel war es, den Staat zu stürzen“, sagt er und räumt ein, dass er im jugendlichen Elan wohl manchmal etwas die Maßstäbe verloren habe. „Irgendwann haben wir darüber gesprochen, die Volkskammer in die Luft zu jagen.“ So weit kam es dann doch nicht, stattdessen spielte Pankow ab 1981 in Kirchen. „Die haben erkannt, dass da eine neue Jugendkultur entsteht und uns etwas angeboten.“ Vorteil für die Punks: „Auf Kirchengelände durfte der Staat uns nicht festnehmen.“
Die Geschichte der Band „Planlos“ ist eine bewegte, aber auch kurze: 1983 löste sie sich auf, 1984 mussten die meisten Mitglieder zum Wehrdienst. Pankow besetzte danach eine Wohnung in der Marienburger Straße, arbeite als Defa-Kleindarsteller und offiziell als „Haushaltshilfe“ der Literatin Elke Erbs. Punk in der zweiten Hälfte der 80er kriegte er nur noch als Zuschauer mit: „Das wurde dann ja sehr komplex, mit New Romantics, Grufties, Skins und allem möglichen.“ Eine andere Zeit. „Bei uns war das alles noch überschaubarer.“
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Die Vernissage zu „East End – Punk in der DDR (Fotografien 1982 – 1984)“ findet am Donnerstag, 20 Uhr, in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg, Greifswalder Straße 218, statt. Die Ausstellung läuft bis zum 29. November. Es schließt sich an die Fotoausstellung „Oktober 1988 – Zehn Tage Mauerfall“ im Dezember und „Outside GDR – Portraits des Ostberliner Offgrounds“ im Januar. Alle drei Ausstellungen stehen im Kontext zur Retrospektive „Geschlossene Gesellschaft – künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989″ in der Berlinerischen Galerie.
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