In Prenzlauer Berg gibt es 30 Hektar Kleingärten. Seit hundert Jahren Zuflucht für Städter mit Landsucht. Doch wie lange noch?
Wie sehr Egid Riedl für das Prenzlauer Berger Kleingartenwesen brennt, kann man schon daran erkennen, dass er sich schon als Vorstand des Kleingartenvereins engagierte, als er noch gar keine eigene Parzelle hatte. Es war nur eine kurze, aber doch bemerkenswerte Periode im Sparten-Leben des 72-Jährigen. 1986 stellte Riedl einen Antrag auf einen Garten im Bezirksverband Prenzlauer Berg, und 1989 deutete sich an, dass er zumindest im Verband aufgenommen wird, wenn auch noch ohne konkretes Spartenversprechen. Da Egid Riedl als diplomierter Gesellschaftswissenschaftler und Mitarbeiter in der Rechtsabteilung des Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds in Rechtsfragen bewandert war, kam es dann am 22. Februar 1989, Riedl erinnert sich an diesen bewegenden Moment sehr gut, dass er in den Vorstand des Prenzlauer Berger Kleingartenverbands aufgenommen wurde. „Denn damals trat das neue Vereinsgesetz in Kraft, und der Verband brauchte jemand, der das umsetzt.“ Riedl war drin, bloß ohne Parzelle. Ein paar Monate später hatte er dann aber eine.
Egid Riedl raucht eine. Der Mann mit der gesunden Gesichtsfarbe und einer Filzjacke steht auf der Treppe des Vereinshauses der Kleingartenanlage „Laube – Am Volkspark Prenzlauer Berg“. Der Verein ist einer von acht, die im Bezirksverband Prenzlauer Berg zusammengefasst sind; und an dessen Spitze wiederum steht Egid Riedl seit 2006 als geschäftsführender Vorstand. Es ist ein Fulltime-Job, sagt Riedl, während er die letzten Züge nimmt und ins eiskalte Büro bittet. Die Anliegen der Pächter von insgesamt 815 Parzellen gilt es zu vertreten. Den Kontakt halten mit anderen Kleingarten-Bossen der Stadt. Und immer wieder Briefe an Bürgermeister Wowereit schreiben und um eine Bestandsgarantie für die Kleingärten bitten. Und irgendwie damit umzugehen, dass Wowi sagt, die Gärten seien „strategische Flächenreserve für die Entwicklung der Stadt Berlin“.
Mischbebauung: Tomaten und Äpfel
Seit etwas mehr als hundert Jahren gibt es die meisten Kleingärten in Prenzlauer Berg, diese ausgelagerten Vorgärten, die der Publizist Ulf Poschardt vor Kurzem als „Favelas der unteren Berliner Mittelschicht“ bezeichnete. Die größten Anlagen sind Bornholmer eins und zwei mit insgesamt 416 Parzellen, dann ist da noch die Anlage am Volkspark, direkt daneben „Grönland“, „Neues Heim“ und „Neu Berlin“. Und dann noch die Minianlage „Berg und Tal“ an der S-Bahn-Station Greifswalder Straße und „Prenzlauer Vorstadt“ am Planetarium. Gesamtfläche: 300.000 Quadratmeter. In den Anlagen sieht es so aus, wie man es erwartet: Hecke, Rabatte, Dauerwelle. Eine Parallel-Welt, die Kriege, Wirtschaftskrisen, Diktaturen und Zusammenbrüche überlebt hat, Parzelle für Parzelle. Und ausgerechnet die neuen Zeiten sollen das alles in die Knie zwingen? Egid Riedl fürchtet es.
Vor allem die Anlagen Bornholmer eins und zwei bereiten Sorgen. 1994, schon damals unter großem Protest, wurde für die beiden Gebiete der Bebauungsplan geändert. Aus Dauerkleingärten wurde eine sogenannte Mischbebauung der Stufe 1, was Wohnungen, Handwerk, Büros und Dienstleistungen zulässt. Immerhin wurde ein Bestandsschutz bis 2014 versprochen, und dieser Schutz wurde inzwischen auf 2020 ausgeweitet – das Gleiche gilt auch für die anderen Anlagen auf städtischem Grund. Die Übergangs- und Fristenregeln sind für Egid Riedl und seine Kleingärtner alles andere als befriedigend. Sie kämpfen dafür, dass die Gebiete wieder als Dauerkleingärten ausgewiesen werden. Die einzig mögliche Mischbebauung wäre dann die von Tomaten und Äpfeln.
Acht Jahre als dauerhafte Perspektive
Doch die Chancen stehen schlecht. Egid Riedl hat sich bereits mehrfach an „den Regierenden“, wie es etwas spöttisch betont sagt, gewandt. 2007 das erste Mal, Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) solle doch bitte sagen, wie er sich die Zukunft der Prenzlauer Berger Gartensparten vorstelle? Wowereit formulierte dann die besagte „strategische Reserve“, was wohl so viel heißt, dass wertvolle Fläche wie jene an der Bornholmer Straße durchaus mal bebaut werden könnte. Schließlich ist Baufläche knapp in Prenzlauer Berg. Nicht auszuschließen sei aber auch, dass der Bestandsschutz über 2020 hinaus erweitert werden könnte. Und dann stand da noch etwas von einer gesicherten mehrjährigen Perspektive. Riedl nennt das „Quatsch. Acht Jahre sind doch keine Planungssicherheit.“ Wie gesagt, er hatte mal vier Jahre warten müssen, um überhaupt eine Parzelle zu bekommen.
Zur jüngsten Kommunalwahl im vergangenen Jahr befragte Riedls Bezirksverband die Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung, wie sie zum Kleingartenwesen stehen. Alle Parteien hatten ihre Unterstützung geschworen – darauf gibt Riedl aber wenig. Wenn er sehe, wie rege das Interesse der Kommunalpolitiker an den „Polit-Frühschoppen“ des jährlichen sommerlichen Gartensparten-Rosenfestes sei, nämlich eher gering, dann traut er den Schwüren nicht. Immerhin sei der Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) aber Ehrenmitglied im Bezirksverband und kämpfe für den Bebauungsplan mit Dauerkleingärten. Allerdings gegen Windmühlen, soll heißen, gegen den Senat.
„Ein Stück Prenzlauer Berger Geschichte“
Angeklopft wird schon von potenziellen Investoren. Es seien ein paar gewesen, die gefragt hätten, berichtet Riedl, einer habe zum Beispiel eine Tankstelle bauen wollen. „Das Gebiet ist hochlukrativ, und prima erschlossen. Strom und Wasser ist auch schon verlegt.“ Wichtig sei nun, dass das Bezirksamt für die Anlage kämpfe. Man sei da im guten Kontakt, sagt Riedl, der als Rechtskundiger auch andere Register bereit ist zu ziehen. Seinem Verband müssten, sollte das Land veräußert werden, erst einmal die Pachtverträge gekündigt werden, „und dagegen könnten wir dann ja klagen“. Jetzt will er aber erst einmal noch einen Brief an Wowereit schreiben.
Zum Schluss noch auf eine Zigarette mit Herrn Riedl. Wie ist das eigentlich so mit den Kleingärtnern, kommen da noch Leute? Wenn-Sie-wüssten-Blick beim Vorstand. „In diesem Jahr haben wir die Bewerberliste geschlossen, de Andrang ist zu groß.“ 150 Bewerbungen liegen aktuell vor, „einige warten drei bis vier Jahre“, wie früher. Im Schnitt gebe es im ganzen Verband rund zehn Kündigungen pro Jahr, da dauere es mit dem Nachrücken. Rund 40 Prozent der Mitglieder seien jüngeren Baujahrs, unter ihnen auch erfreulich viele Migranten, sagt Riedl. Türken, Bulgaren und Russlanddeutsche vor allem. „Das ist vor allem für junge Familien attraktiv, die ein bisschen Grün brauchen, mitten in der Stadt.“ Manche Dinge ändern sich nie, und Riedl hofft, dass es so bleibt. „Wir müssen die Kleingärten erhalten. Das ist ein Stück Prenzlauer Berger Geschichte.“
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