Auf dem Diamantweg

von Juliane Schader 11. Oktober 2012

Räucherstäbchen, Gebetsmühlen, Dalai Lama – das alles hat das Buddhistische Zentrum in der Milastraße nicht. Trotzdem wird dort der tibetische Glaube gepflegt, nach der Schule eines dänischen Rentners.

Der Weg zur Erleuchtung ist verdammt schwer zu finden. Zumal, wenn es so dunkel ist wie an diesem Herbstabend im Hinterhof der ehemaligen Groterjan-Brauerei in der Milastraße. Man darf nicht aus Versehen ins Shiatsu-Zentrum gehen, und auch die Fahrschule muss man links liegen lassen. Dann muss man sich durch die unscheinbarste Tür von allen und einen langen, weiß gekachelten Gang trauen, und auch von der schmalen Treppe in den dritten Stock darf man sich nicht abschrecken lassen. Erst wenn man dann noch die massive Tür aufstößt, hat man es geschafft.

Warum zur Hölle können diese Buddhisten kein Leuchtschild aufstellen: „Buddhistisches Zentrum: HIER!“?

 

Schokoriegel statt Räucherstäbchen

 

Schließlich ist es, wenn man dann erstmal da ist, tatsächlich ziemlich nett und vorzeigbar: Ein großer, heller Raum mit kleiner Bar, an der man Schokoriegel, selbst gekochte Marmelade und Kaffee bekommen kann. Eine große Sitzecke, eine kleine Bücherei, und einen Stock darüber der große Meditationsraum, ausgelegt mit gelben Matten und mit Buddha-Schrein an der Kopfseite. Es riecht nicht nach Räucherstäbchen, es gibt keinen Klangteppich aus tibetischen Chorälen, statt Gebetsmühlen klingelt hier höchstens ein Handy. „Wir verfolgen eine Linie des Buddhismus, die sich der westlichen Kultur anpasst“, meint Nadia Wyder, die das Zentrum mit aufgebaut hat. Oder, in anderen Worten: „Es gibt vier Schulen im tibetischen Buddhismus. Die bekannteste ist die des Dalai Lama – die sind wir nicht.“

Statt dessen gehört das Zentrum in der Milastraße zur Karma-Kagyü-Schule, die in den 1970er Jahren der Dänen Ole Nydal mit seiner Frau Hannah nach Europa gebracht hat. Zentral für diese Art des Buddhismus, auch Diamantweg genannt, ist neben der Anpassung an den westlichen Kulturkreis das Nebeneinander von Alltag und Religion. Niemand soll seinen Job aufgeben und bis zur bitteren Erleuchtung durchmeditieren, sondern beides soll in Einklang miteinander erfolgen. Zudem praktizieren in den Zentren nur Laien – die Meditationen werden also nicht von Mönchen angeleitet, sondern von erfahrenen Gemeindemitgliedern. Wer Tibet-Folklore sucht, wird hier nicht fündig. Daher heißt das Ganze auch Buddhistisches Zentrum und nicht Tempel.

 

Trendreligion im Trendbezirk

 

150 solchen Zentren gibt es in Deutschland, zwei davon in Berlin. Damit ist die Karma-Kagyü einer der größten buddhistischen Schulen des Landes. Im Turm der alten Brauerei in der Milastraße ist sie seit 2005 beheimatet; mittlerweile zählt die Gemeinde etwa 220 Mitglieder. „Buddhismus ist auch eine Trendreligion, und hier in Prenzlauer Berg sind auffallen viele junge Leute mit dabei“, meint Wyder. Wer aber nur ein wenig Ruhe suche, der sei völlig falsch. „Bei der Meditation geht es nicht darum, runterzukommen und vom Stress abzuschalten, sondern um persönliche Entwicklung.“

Jeden Abend wird in dem großen Raum direkt unterm Dach meditiert, darauf folgen manchmal Vorträge über die buddhistischen Lehren. Einmal in der Woche gibt es zudem eine Einführung für Neulinge. „Fünf, sechs Leute kommen da immer“, erzählt Wyder. Ob man sich in einer Lebenskrise befindet, vielleicht von Freunden vom Zentrum gehört hat oder mit seinem bisherigen Gott nicht mehr zufrieden ist: Die Menschen interessieren sich aus den verschiedensten Gründen für den Buddhismus. Willkommen sei jeder, sagt Wyder. Nur wer massive psychische Probleme habe, dem werde abgeraten. „Meditieren bedeutet auch, sich viel mit sich selbst auseinander zu setzen. Da sollte man schon halbwegs stabil sein.“

 

15 Euro Unkostenbeitrag

 

Wer sich entschließt, dabei zu bleiben, auf den warten ein langer Weg zur Erleuchtung und 15 Euro monatlich. Von dem Geld werden Miete und die Betriebskosten des Zentrums bezahlt. Die inhaltliche Arbeit erfolgt jedoch komplett ehrenamtlich. „Jeder macht, was und wie viel er gerade kann“, meint Wyder. Angesichts der Größe der Gemeinde findet sich immer jemand, der die Meditation macht und jemand, der die Teeküche aufräumt.

Ab und an schaut auch mal einer der erfahreneren Lehrer der Schule vorbei, im November etwa kommt Ole Nydal persönlich nach Berlin. Schon jetzt hängt ein Farbfoto des rüstigen Rentners mit dem weißen Büstenhaarschnitt und der randlosen Brille über der Bar des Zentrums. Wer von religiösen Häusern erwartet, dass nackte junge Männer am Kreuz zu den Einrichtungsgegenständen gehören, ist kurz befremdet. Aber warum sollte eigentlich ein 71-jähriger Däne nicht hervorragend dazu geeignet sein, die Lehren des tibetischen Buddhismus im Europa des 21. Jahrhunderts zu verbreiten? Für die unfassbar fröhlichen Prenzlauer Berger Gemeindemitglieder scheint es auf jeden Fall zu funktionieren, die sich nun nach und nach zur abendlichen Meditation im Zentrum einfinden.

Ja, die finden ihren Weg, auch ohne Leuchtschild.

Tag der offenen Tür im Buddhistische Zentrum, Samstag, 13. Oktober, 12 bis 19 Uhr, Milastraße 4, Hinterhof, im 3. und 4. OG des Turms. 

 

 

 

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