Früher galt er als der „Szene-Bezirk“ der DDR – heute schätzen viele Schwule und Lesben noch immer Prenzlauer Berg. Doch die Szene hat ein Problem.
Ein Blick in das Stadtmagazin für Schwule und Lesben „Siegessäule“ beweist: Prenzlauer Berg bietet reichlich queeres Leben. Bars, Cafés, Restaurants, Sex-Clubs – doch Partys sind im Stadtteil mittlerweile oft Fehlanzeige. Das Nachtleben dünnt aus. „Prenzlauer Berg ist an seiner Perfektion gestorben“, meint Siegessäule-Redakteur Jan Noll, zuständig für Musik und Nachtleben und bezieht dies auf die schick sanierten Häuserzeilen, die teuren Mieten, die vielen Familien und Zugezogenen, kurz: auf die vollendete Gentrifizierung.
Dabei war das mal ganz anders, standen Schwule Schlange vor Clubs, feierten in den unsanierten Mauern der Kulturbrauerei, drängten sich dicht an dicht in stickigen Kneipen. An diese goldenen Zeiten erinnern sich Michael Unger (65) und Peter Rausch (63), beide Ehrenmitglieder des „Sonntagsclubs“, mit einem breiten Lächeln zurück. Der Club ist eine der zentralen Anlaufstellen für Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle der Stadt – mit diesem übergreifenden Ansatz ist er deutschlandweit Vorreiter gewesen. Ein Ort für Vielfalt mitten in Prenzlauer Berg.
Wir wollten richtig provozieren
Noch in den Siebziger- und Achtzigerjahren galt der Stadtteil neben der Friedrichstraße als eines der beiden großen Zentren in Ost-Berlin. Damals waren es nur eine Hand voll Kneipen, aber das habe schon gereicht, sagt Michael Unger. Viele junge Schwule hätten in Prenzlauer Berg gelebt, viele seien vom Dorf oder aus der Kleinstadt extra am Wochenende in den Stadtteil gefahren. Mit der Stonewall-Bewegung 1969 in New York, als Schwule gegen die Repressionen durch die Polizei zum ersten Mal auf die Straße gingen, schwappte auch der Mut über die Mauer, sich als Homosexueller lockerer und offener zu zeigen. „Plötzlich haben wir vor der Tür gestanden statt dahinter und sogar geknutscht. Wir wollten richtig provozieren“, erinnert sich Michael Unger, der fortan wilde Partys in seiner Wohnung veranstaltete, bei der die Stasi fleißig mitschrieb und irgendwann die Polizei wegen Ruhestörung vor der Tür stand.
Heute stören sich andere an der Lautstärke: Nachbarn, die die Penthouse-Wohnung für hunderttausende Euro erworben haben, und keinen Club im Keller oder Erdgeschoss schätzen. „Die haben das Nachtleben tot gemacht“, sagt Michael Unger und Grit Klante (43), ebenfalls vom Sonntagsclub, sieht dies als generelles Problem vieler Clubs in Prenzlauer Berg – nicht nur der schwul-lesbischen. Für die Lesbenszene sei eher Kreuzberg das Partyzentrum geworden „und die Frau um die 30 zieht sowieso nicht mehr um die Häuser“. Auch den Großteil der schätzungsweise 200.000 in Berlin lebenden Schwulen zieht es zum Weggehen eher in die Trend-Bezirke Kreuzberg, Friedrichshain und Neukölln. Und Schöneberg behauptet sich weiterhin als schwules Zentrum im Westteil der Stadt.
„Gerade die Queer-Szene ist ein Katalysator von Nightlife-Trends“, sagt Siegessäule-Redakteur Jan Noll. Schwule und Lesben hätten zu den ersten gehört, die etwa Neukölln als neuen Trendbezirk entdeckt hätten. „Und Schöneberg wiederum hat ja auch seine räudigen Ecken, deswegen fühlen sich Schwule und Lesben dort wahrscheinlich noch wohler. In Prenzlauer Berg ist so ein Paralleluniversum entstanden, das so perfekt wirkt mit seiner Familienfreundlichkeit, Toskana-Fraktion und seinem Schwaben-Image.“ Ein Image, das coole Partygänger weniger schätzen, wohl aber viele Schwule und Lesben jenseits der 30, die hier immer noch bewusst hinziehen.
Sonntagsclub ist im Bezirk und Berlin eine Institution
Mögen gute Partys mittlerweile rar geworden sein, gibt es immer noch ein dutzend Kneipen und Bars, vorzugsweise um die Gleimstraße, Schönhauser Allee und Stargarder Straße: zum Beispiel das Schall & Rauch, die Greifbar, das Marietta mit seinem schwulen Mittwochabend, wo man(n) sich zuhauf in lauen Sommernächten auf dem Bürgersteig tummelt. In Prenzlauer Berg liegt Berlins älteste Gaybar, die Schoppenstube, befindet sich das einst besetzte „Tuntenhaus“ in der Kastanienallee, das ausschließlich von Schwulen bewohnt wird. Und mittendrin in der Greifenhagener Straße: der Sonntagsclub. „Für den Bezirk sind wir schon eine Institution“, sagt Grit Klante. Seit 1973 bietet er Raum für Beratung, Veranstaltungen, wie Filme, Comedy, Konzerte, Podiumsdiskussionen und gelegentliche Partys, sowie für Gruppen-Treffs: von der schwul-lesbischen Jugendgruppe, über die Gruppe für Transsexuelle bis hin zur Gruppe für Lesben ab 45. Sogar aus Spandau und Schöneberg kommen mittlerweile Besucher extra zu den Treffs.
So ist Prenzlauer Berg zwar nicht mehr der Hot Spot fürs Nachtleben wie einst vor der Wende, doch die Schwulen und Lesben, die hier wohnen, fühlen sich wohl. „Es gibt zwar nicht mehr so viel, aber es gibt noch was“, sagt Michael Unger, der um die Ecke vom Sonntagsclub wohnt. „Und die werden auch bleiben, weil hier genug Schwule und Lesben leben.“ Nur seien dies eben nicht mehr unbedingt die klassischen Partygänger. „Queeres Leben ist nicht nur Party“, ergänzt Grit Klante. Viele hätten andere Prioritäten: ins Theater gehen, ein gutes Restaurant besuchen oder zu Hause Freunde einladen. „Und das Schöne ist doch, dass man mittlerweile in Berlin auch als Lesbe oder Schwuler in heterosexuellen Restaurants Händchen halten kann.“ Die Grenzen zwischen homo- und heterosexuellen – sie verschwimmen zunehmend.
Weitere Infos: www.sonntags-club.de sowie im Buch „Verzaubert in Nordost“ über die Geschichte von Schwulen und Lesben in Prenzlauer seit den Anfängen der Kaiserzeit bis , Bruno-Gmünder-Verlag, 20 Euro
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