Am 8. Juni ist Anpfiff für die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. Doch polnische Kultur und Spezialitäten finden Interessierte in Prenzlauer Berg auch direkt vor der Haustür.
Oft kommen Berliner zu Magdalena Germek in den Laden in der Schönhauser Allee 108 und fragen, ob sie nicht eine polnische Putzfrau oder einen polnischen Handwerker empfehlen könne. Oder, ob sie nicht „mal gerade schnell“ einen Brief übersetzen möge. Mag sie nicht. Die 36-Jährige führt einen Spezialitätenladen: „Delicious“. Hier können Kunden zwar kein Personal fürs Eigenheim finden, wohl aber jede Menge Köstlichkeiten aus dem Nachbarland.
Anders als viele andere polnischen Delikatessen-Läden in Berlin richtet sich das Angebot nicht in erster Linie an die eigenen Landleute, sondern an Berliner und Touristen. Engländer, Franzosen, Amerikaner. Letztere sagen meistens ohne Umschweife: „I want Kiełbasa“ – das polnische Wort für Wurst. So duftet es auch bei Magdalena Germek nach herzhaften Leckereien. In drei Warmhalte-Töpfen köcheln die Mittagsgerichte: Zum Beispiel Bigos, ein typischer Sauerkraut-Eintopf mit Wurst und Fleisch, polnische Suppen und natürlich Krakauer; die typisch polnische Wurst. In der Kühltheke liegen außerdem Pierogi, gefüllte Teigtaschen, vergleichbar mit Maultaschen. Gefüllt mit Sauerkraut, Pilzen, Spinat oder Fleisch.
Einrichtung in Landesfarben
Der Laden ist ganz in rot und weiß eingerichtet – so wie die Farben der polnischen Flagge. Die Atmosphäre erinnert an den Tante-Emma-Laden von damals: ein kleines, aber feines Angebot, das von der polnischen Butter über Wurst und Käse bis zu Konserven und Einmachgläsern reicht. Zum herzhaften Snack gibt’s immer ein herzliches Gespräch mit der Inhaberin.
Magdalena Germek ist in Berlin aufgewachsen. Mit Drei kam sie nach Deutschland, die Eltern waren Spätaussiedler. Den Berliner Humor hat sie bereits mit der Muttermilch aufgesogen. An der Kühltheke klebt ein Zettel: „Kunden, die unser Personal unverschämt finden, sollten erstmal dem Chef begegnen.“ In Wirklichkeit sind es zwei Chefinnen: Magdalena Germek und Eva Gajewski.
Vor fünf Jahren haben sie den Laden eröffnet und sich dabei bewusst für Prenzlauer Berg entschieden. Die Ostberliner seien aufgeschlossener gegenüber den Polen, meint Germek und bedient immer wieder vereinzelt eintretende Kunden, die Mittagsgerichte bestellen oder Wurst mitnehmen. Dabei würden die Polen eigentlich keine eigenständige Küchen haben, verrät die Mutter eines Sohnes. „Während der ganzen Besatzungen haben die Polen viel übernommen, abgewandelt und andere Zutaten hinzugefügt, zum Beispiel andere Gewürze benutzt.“
Für Austausch mit Polen sorgt nicht nur die Partnerstadt Kołobrzeg
Wer polnische Spezialitäten einfach mal probieren möchte, ist bei „Delicious“ folglich bestens aufgehoben. Und auch sonst bietet der Bezirk für Polen-Interessierte reichlich Auswahl: Da gibt es die Polnische Akademie der Wissenschaften in Pankow mit einer gut sortierten Bibliothek und Vorträgen für alle, die sich für die deutsch-polnischen Beziehungen interessieren. Da gibt es das Denkmal des gemeinsamen Kampfes polnischer Soldaten und deutscher Antifaschisten im Volkspark Friedrichshain. Und da gibt es dank der polnischen Partnerstadt Kołobrzeg von Pankow jede Menge Austausch. Wer noch mehr über das Land erfahren möchte, fährt ins Polnische Institut nach Mitte oder besucht den „Club der polnischen Versager“ in der Ackerstraße.
Viele Polen haben sich in Prenzlauer Berg niedergelassen. Einer von ihnen: Piotr Buras, der für die größte polnische Tageszeitung, die links-liberale Gazeta Wyborcza, hier als Korrespondent schreibt. Seit mehr als vier Jahren wohnt der Journalist mit seinen drei Kindern und seiner Frau im Kiez nahe dem Wasserturm. „Ich kannte die Ecke noch aus den Neunzigerjahren. Damals war das die coolste Gegend mit den besten Kneipen und Clubs.“ Inzwischen ist der 38-Jährige mit dem Kiez „gealtert“ und sesshafter geworden.
Die polnische Community in Prenzlauer Berg ist aus seiner Sicht überschaubar, aber die, die hier leben, hätten sich bewusst für den Stadtteil entschieden. Wegen seiner Familienfreundlichkeit und lockeren Atmosphäre. Etwas schmunzeln muss er bei der Anekdote, dass kürzlich der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski zu Gast in Berlin war und sich über sein Luxus-Hotel beschwert hat, weil dieses zwar 160 TV-Programme im Angebot hatte – aber keinen einzigen Sender aus Polen. „So etwas würde ich nicht überbewerten“, meint Buras. Nach wie vor sei zwar noch eine große Asymmetrie beim Interesse aneinander festzustellen, aber das ändere sich gerade.
Zusammenwachsen in Zeiten der Krise
Der EU-Beitritt Polens 2004, der Wegfall der Grenzkontrollen 2007 und jetzt die Wirtschaftskrise hätten beide Länder näher zusammengebracht. Piotr Buras ist überzeugt: „Polen entwickelt ein neues Selbstbewusstsein!“ Weg vom chaotischen, verarmten Post-Sowjet-Land – hin zu sechsgrößten Land der EU, gemessen an der Zahl der Einwohner, das in der Schuldenkrise seine Hausaufgaben gemacht hat und nun sogar besser dasteht als so mancher Mittelmeerstaat.
Die Fußball-EM im Juni und Juli ist nun die Chance, sich der Welt von der besten Seite zu präsentieren. Piotr Buras Zwischenbilanz fällt allerdings durchwachsen aus: Einige wichtige Infrastrukturprojekte seien auf der Strecke geblieben. „Nach wie vor kommt man nicht über die Autobahn von Berlin nach Warschau. Die letzten 100 Kilometer sind nicht fertig geworden“, erzählt Buras und bezeichnet dies als „Desaster“.
Dennoch ist er sich sicher, dass in Zukunft immer mehr Menschen zwischen beiden europäischen Städten pendeln werden. Es gebe in Polen gerade einen regelrechten Bildungsboom: Jede Menge gut ausgebildete, junge und mobile Leute, die „zwischen den Welten wohnen“. Das sei auch eine Chance für Berlin, diese gut ausgebildeten Arbeitskräfte anzulocken. Somit ist die Zeit reif, den Klischees im Kopf Lebewohl zu sagen.
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