Viele Prenzlauer Berger Altbauten haben unterm Dach schöne Wohnungen mit Fahrstuhl. Jetzt entscheiden Richter, ob die Aufzüge Zwischenstopps machen dürfen.
Der Bewohner des Hauses in der Schivelbeiner Straße weiß spätestens seit dem Anbau des Außenfahrstuhls, dass er in einem sehr alten Haus wohnt. Das ganze Zimmer habe gewackelt, erinnert er sich, ein bisschen Putz sei auch gebröckelt. „Ist eben doch nicht mehr alles ganz jung hier“, sagt er. Er weiß das, die anderen Bewohner wissen das – und das Bezirksamt macht es offiziell. „Milieuschutzgebiet“ nennen sie die Straßen um den Arnimplatz und viele andere im Stadtteil. Hier gilt der Grundsatz, dass möglichst viel von der alten Substanz erhalten bleiben soll – und Baumaßnahmen wie jene mit dem Fahrstuhl am besten gar nicht erst stattfinden. Was mittlerweile in Prenzlauer Berg zu absurden Situationen führt. Konkret zu Fahrstühlen, die nur im Dachgeschoss halten.
Milieuschutzgebiete wurden Ende der 90er und teilweise noch danach vor allem in Bezirk Pankow und hier maßgeblich in Prenzlauer Berg ausgewiesen. Im Grundsatz geht es dabei darum, ganze Straßenzüge vor drastischen Mieterhöhungen zu schützen und so dafür zu sorgen, dass geringverdienende Mieter hier weiter wohnen können. Schutz der Mieterstruktur hieß dabei auch immer eine Abwehr von zu weit gehenden Sanierungsmaßnahmen, was auch Fachstühle einschloss.
Zu weitgehende Regelungen wurden durch Verwaltungsgerichtsurteile allerdings verworfen, so dass der Bezirk Pankow zuletzt 2009 die Regeln änderte. Seitdem ist unter anderem der Ausbau von Dachgeschossen zu Wohnungen möglich, und diese dürfen auch gerne mit einem Aufzug erreichbar sein. Allerdings nur, wenn der Fahrstuhl keinen Zwischenstopp macht und damit andere Wohnungen aufwertet. Diese Genehmigungspraxis des Bezirksamts hatte das Berliner Verwaltungsgericht im vergangenen November erneut untersagt. Der Bezirk ging in Berufung. Am 31. Mai nun geht vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg der Prozess in die nächste Runde.
Exklusiv oder nicht?
In dem Prozess geht es um ein Haus am Arnimplatz. In einem sechsgeschossigem Hochhaus baute der Besitzer das Dach zu einer Wohnung aus. Das Bezirksamt teilte ihm mit, dass ein Fahrstuhl nur im Erdgeschoss und am Dach halten dürfe. Der Antrag des Hausbesitzers, auch im zweiten und dritten Obergeschoss einen Aufzug-Stopp einzurichten, wurde verwehrt, mit der Begründung, solch eine Maßnahme sei geeignet, „die Zusammensetzung der ansässigen Wohnbevölkerung zu gefährden“: Fahrstuhl gleich Mieterhöhung gleich Mieterverdrängung. Das Urteil der Richter zu diesem Dreisatz ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung“, hieß es. „Der ablehnende Bescheid ist rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten.“
Das Urteil, das nun vom OVG gefällt werden muss, hat weit über die Immobilie am Arnimplatz hinaus Bedeutung für Prenzlauer Berg; schließlich gibt es hier zig Wohnhäuser, deren Dachböden ebenfalls ausgebaut werden oder bald ausgebaut werden könnten. Da diese Immobilien ohne Fahrstuhlanschluss kaum loszuwerden sind, ist der Aufzug in aller Regel obligatorischer Bestandteil der Baumaßnahmen. Das Gericht wird entscheiden, ob diese Aufzüge exklusiv bleiben oder nicht.
Es geht um die Struktur, nicht um die Mieter
Der Stadtrat für Stadtentwicklung Jens-Holger Kirchner (Grüne) wird den Prozess vor dem OVG sehr genau beobachten. Zwar muss er als Vertreter der Pankower Bezirksamts offiziell ein Interesse daran haben, dass das Gericht zugunsten seiner Behörde entscheidet. Was aber nichts daran ändert, dass Kirchner sich ebenfalls die Frage stellt, wie sinnvoll es ist, den Bau von durchgehenden Fahrstühlen zu verhindern. „In einer Zeit, in der Barrierefreiheit eine immer wichtigere Rolle spielt, muss man darüber ernsthaft diskutieren.“ Kirchner denkt dabei an Behinderte und vor allem an älter werdende Mieter. Denn faktisch bedeutet die jetzige Regelung ja auch dies: Sobald diese keine Treppen mehr nutzen können, müssen sie raus. Ihr altes Wohnhaus mag dann aussehen wie früher – nur ihnen selbst nutzt das herzlich wenig.
Darum geht es aber beim Milieuschutzgebiet eben nicht in erster Linie. Das jedenfalls sagt Michail Nelken. Der Linken-Bezirksverordnete war für als Stadtrat für das Thema zuständig, bis er vor einem halben Jahr von Kirchner abgelöst wurde; die Berufung wurde also noch von Nelken auf den Weg gebracht. Nelken betont gegenüber dieser Zeitung, dass der Milieuschutz vordergründig kein Instrument sei, um die Mieter in den Wohnungen zu halten. „Es geht um die Struktur der Wohnungen und des Hauses“, die garantiere, dass hier weiter Geringverdiener wohnen können. Und das schließe eben in Fällen wie am Arnimplatz unter Umständen einen Fahrstuhlanschluss aus.
NEWSLETTER: Damit unsere Leserinnen und Leser auf dem Laufenden bleiben, gibt es unseren wöchentlichen Newsletter. Folgen Sie uns und melden Sie sich hier an!