Unser Gastautor Jamal Tuschick ist neu in Berlin, streift durch die Stadt und schreibt. Im Dok 11 war er nun auf einer Lesung mit Dagmara Kraus und Monika Rink.
Das Ohr ist ein empfangendes Organ, die Welt an sich ein bemerkenswert unerotischer Penetrationsapparat. Wie schön, wenn man mal nicht vor Begeisterung gähnen muss. Wie schön auch, Daniela Seel zu sehen, halbwegs auf der Kastanienallee, wo in diesem Jahr der Frühling losging, als gäbe es nichts Wichtigeres. Die kookbooks-Verlegerin hat eine poetische Premiere ins Dock 11 verlegt, auf dem Weg dahin, lässt es sich nicht vermeiden, zeitgenössische Leibesübungen in Anbetracht und Zweifel zu ziehen.
Der Termin beginnt mit Piktogrammen „gegen die Angst“, in einer sich bedächtig aufhellenden Kulisse. Ein alarmiertes Cello meldet sich wie zum Untergang der Caprifischer, im Furioso gehen die Lichter mächtig an. „Jetzt keine Angst mehr haben“ heißt dieser Abend, nach einer Komposition des Streichers Bo Wiget. Dagmara Kraus stimmt die Stunde lyrisch hoch, wie Benn nach drei Bier in einer Berliner Beize vermutlich es empfunden hätte. Sie ist in Wrocław geboren und in Leipzig zur Hochschule gegangen. Seit 2008 veröffentlicht sie Gedichte in Zeitschriften und Anthologien.
Dagmara Kraus liest aus ihrem brandneuen Debüt „kummerang“, sie spielt mit Planeten. In einem asiatischen Durchgang kommen Pjöngjang und Feng shui zusammen, in einer Lautmalerei, die ständig zu den Gattern der Geläufigkeit umkehrt. In einer attischen Landschaft trifft Nike auf Nikon und Homer auf Schliemann … „ruinen, dekor ohnehin vor belanglosem blaugrund“. Dazu gibt es keine Flammenschrift an der unverputzten Mauer, vielmehr erweitert Andreas Töpfer das Programm der pharaonischen Zeichensprache. Töpfer ist der große Illustrator von kookbooks. Bei Dagmara Kraus nimmt der Sinn immer wieder Fahrt auf und geht dann stier in der Freude am Klang. Dada in Spuren. Das Auditorium schnappt nach jeder möglichen Bedeutung als Surplus. Das erkennt man an den mimischen Abschwüngen in der Entspannung der Züge infolge des Verstehens, so vermeintlich. Auch Schneeflocken ließen sich so synchronisieren.
Ein Regal ziert auf keinen Fall die Kanten des Tages
Der Kraus´e Titel „kummerang“ verfehlt haarscharf nur den australischen Bumerang, „im drallen Luftgang“. Die „Honigprotokolle“ der soeben dafür mit dem Berliner Kunstpreis ausgezeichneten Monika Rinck warten in der konkreten Verfassung so wichtiger Fragen auf, wie „zum Beispiel, was ist ein Regal?“ Auf jeden Fall ist ein Regal „kein Zelt aus Geld“. Es „ziert auch nicht die Kanten des Tages“, um die Dichterin bei ihren überzeugend ausgesuchten Worten zu nehmen. Monika Rinck stammt aus Zweibrücken, sie hat Religionswissenschaft studiert und mit „Begriffsstudio 1996-2001″ in der Edition Sutstein debütiert.
In den „Honigprotokollen“ bleibt sie auf der Seite einfacher Siege und „später Gesellschaftsspiele“. Ihr lyrisches Ich weiß: „Der schönen Seele geht es schlecht. Ach, hätte sie sich nicht, ging es ihr besser“. Inzwischen macht sich das Licht im Raum geschmeidig, weiß es doch auch, was sich gehört. Zu hören ist ferner das Publikum im Chor, animiert von Bo Wiget, der für den Titel des Termins eine Melodie geschrieben hat, die frohen Anklang findet. – Vielleicht deshalb nicht zuletzt, weil sie die Konzentration vom Prüfstand der „Honigprotokolle“ temporär nimmt. „Eingeschlagen“ habe sie auf die Gedichte, wird Monika Rinck im Walden bald mit bellizistischen Aufschäumungen den poetischen Prozess beschreiben, in dieser unberuhigten Stimmung eines zu späten Feierabends und den Imponderabilien der Bücherexistenzen. Aber noch „entzaubert (die Dichterin in Dock11) die Welt“ … „mit einem Wagenheber läufst du mitten in die Schattenpflanzen … Ist dahinter etwas wie Flieder?“ Das bleibt unklar, da könnten auch Pappeln stehen, wie an einer Allee gleichen Namens. „Die schöne Seele“ zieht um die Häuser, bis sie es angebracht findet, „die Tarnung abzulegen“ – um — mit — am besten doch einem schönen Körper „Hitzigkeit zu zeigen“.