Sie wollen einfach nur in Ruhe in Prenzlauer Berg leben? Nur mit einem Nachweis über einen seit Generationen schwabenfreien Stammbaum kein Problem.
Was dem Pawlowschen Hund das Glöckchen, das ist dem gemeinen Schwabenhasser der Hinweis auf die steigenden Mieten. Oder auf vermeintliche Rüpelradler. Oder auf anstehende Schulsanierungen. Oder auf das zweite Futur bei Sonnenaufgang. Denn eigentlich ist es völlig egal, was man schreibt, der Reflex, dass vermutlich reiche Schwaben die Ursache allen Übels sind, greift sofort. Und nervt somit ungemein.
Schließlich ist es längst bewiesen, dass das Klischee vom Schwaben, der auszog, die Ur-Prenzlauerberger aus ihrem natürlichen Lebensraum zu vertreiben, nicht stimmt. Von den heutigen Bewohnern des Bötzowviertels etwa, welches mit seinen feinen Fassaden und neuen Spielplätzen durchaus als Paradebeispiel der Gentrifizierung angesehen werden kann, lebten über die Hälfte schon vor der Wende in Ost-Berlin. Das hat im vergangenen Jahr eine Studie herausgefunden. Aus einer nicht näher definierten Region namens „Westdeutschland“ kommen dagegen ursprünglich nur 20 Prozent der Kiezbewohner.
Auch die fixe Idee, dass es ausschließlich unfassbar reiche Menschen sind, die die mittlerweile astronomischen Mietpreise am Helmholtzplatz bezahlen, ist widerlegt. Die Kaufkraft ist verhältnismäßig gering, über ein Drittel des Haushaltseinkommens wird in die Mieten investiert. So tief in die Tasche greifen muss sonst nur derjenige, der unbedingt Unter den Linden residieren will.
Definition über die Herkunft? In Kreuzberg wäre das ein Skandal
Prenzlauer Berg hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Aber dass ausschließlich wohlhabende Schwaben mit der Feritilität von Kaninchen schuld daran sind, ist weder richtig noch lustig. Die explodierenden Mieten sind ein Problem, mit dem alle Prenzlauer Berger zu kämpfen haben. Derzeit sucht man auf Landes- und Bezirksebene nach Möglichkeiten, das in den Griff zu bekommen.
Dass die Bewohner sich derweil beschimpfen und einen Wettkampf daraus machen, wer denn schon zwei Monate früher hergezogen ist oder wessen Urgroßmutter schon auf der Kastanienallee spielte, verdirbt nur die Stimmung. Einen Stammbaum, seit wie vielen Generationen man dem heutigen Wohnort schon verbunden ist, muss man in keiner anderen Stadt auf den Tisch legen, um nicht permanent angefeindet zu werden. Nicht einmal in den anderen Berliner Bezirken ist das der Fall. In Neukölln oder Kreuzberg wäre das vermutlich sogar ein Skandal. Hier hält man es für lustig. Wie schade.
NEWSLETTER: Damit unsere Leserinnen und Leser auf dem Laufenden bleiben, gibt es unseren wöchentlichen Newsletter. Folgen Sie uns und melden Sie sich hier an!