Zu Besuch unter Besuchern

von Kristin Freyer 21. Februar 2012

Wer sind eigentlich diese Touristen, die in unsere Kieze einfallen, unser Bier wegtrinken und die Nachbarn bepöbeln? Eigentlich ziemlich nette Leute, wie ein Besuch in einem Hostel zeigt.

An diesem Donnerstagabend sitzen nur wenige Gäste im Gemeinschaftsraum des Hostels am Helmholtzplatz. Mit saisonbedingt schlechten Touristenzahlen macht sich der Winter auch im Lette’m Sleep in der Lettestraße bemerkbar. Es ist kalt draußen, minus zwölf Grad. Doch zum Glück lädt der warme Aufenthaltsraum des Hostels mit einer gemütlichen roten Sitzecke zum Verweilen ein. Mehrere Tische stehen im Raum und auch ein Computer. Der Fernseher läuft und zeitgt ein junges Paar auf Wohnungssuche. Aber keiner der Gäste interessiert sich wirklich für diese Sendung. Auch Joke und Steven nicht.

Die beiden sind gerade erst angekommen und Steven blickt sich, die schwarze Reisetasche noch zu seinen Füßen, neugierig im Raum um. Sie kommen aus Leuven in Belgien, sind Ende 20 und das erste Mal in Berlin, wie Joke auf Englisch erzählt. Freunde hatten ihnen schon vor langer Zeit empfohlen, mal nach Berlin zu reisen, nun hat es endlich mal geklappt. Auch das Hostel, in dem sie nun vier Nächte bleiben, war ein Tipp der Freunde.

Genaue Pläne haben die beiden Belgier für die nächsten Tage jedoch noch nicht. Grundsätzlich würden sie sich aber nicht nur für die klassischen Sehenswürdigkeiten interessieren, sondern auch für die alternativen Aspekte der Stadt, sagt Joke. Auch von Prenzlauer Berg wollen sie noch etwas mehr sehen als nur den Helmholtzplatz. Der Stadtteil ist ihnen als ruhige Gegend bekannt, in der es eine Vielzahl an guten Restaurants und Kneipen geben soll. Auch Mitte steht auf ihrer To-do-Liste ganz oben. Dort hatten sie ebenfalls nach Hostels geschaut, die seien aber zu teuer gewesen, erzählen sie.  

 

In den Räumen des Lette’m Sleep war früher ein Flüchtlingslager

 

Bereits seit 13 Jahren können Backpacker wie Joke und Steven im Lette’m Sleep am Helmholtzplatz übernachten. „Ursprünglich befand sich in den Räumen des heutigen Hostels ein Flüchtlingslager für Bosnienflüchtlinge“, sagt Inhaber Norman Kolb. Danach hätten sie leer gestanden, bis im Juli 1998 das Hostel in Betrieb genommen wurde. Der Umbauaufwand sei gering gewesen, da etwa Gemeinschaftsduschen und Aufenthaltsräume bereits vorhanden gewesen seien, erklärt Kolb.

„Zu dieser Zeit war die Zahl der Hostels in Berlin an einer Hand abzuzählen und der anliegende Helmholtzplatz glich einem Urwald“, erzählt der Betreiber. Die gegenüberliegenden Häuser seien nicht zu sehen und das Haus des Hostels das einzige renovierte rund um den Platz gewesen. In den vergangenen Jahren habe sich aber nicht nur der Kiez verändert, sondern auch die Touristen seien andere. „Früher gab es noch die klassischen Rucksacktouristen, doch inzwischen kommen die Gäste immer öfter mit Rollkoffern“, so Kolb.

Joke und Steven sind bereits weg, als zwei junge Männer den Raum betreten und sich an der Gemeinschaftsküchenzeile einen heißen Tee machen. „Zum Aufwärmen“, sagen sie und fragen, ob noch jemand eine Tasse haben wolle. Chris und sein Bruder Shane kommen ursprünglich aus Neuseeland. Shane hat Ende der 1990er selbst in diesem Hostel gearbeitet und will seinem Bruder nun Berlin und seinen alten Arbeitsplatz zeigen. Später ist er durch Russland gereist, und nach einem kurzem Aufenthalt in Neuseeland nach London gezogen. Bereits seit 10 Jahren wohne er nun dort, sagt Shane.  

 

„Aus Wellington kenne ich so eine Kälte nicht“

 

Chris hingegen ist das erste Mal in Berlin. Nachdem er bereits London und Paris gesehen hat, wollte er nun auch die deutsche Hauptstadt besichtigen. Vier Tage haben die Brüder dafür Zeit. Vor allem für die Spuren des Kalten Krieges interessiert sich Chris, wie er sagt. Natürlich will er aber auch das Brandenburger Tor oder den Reichstag sehen. Besonders spannend findet er zudem die niedrigen Temperaturen. „Aus Wellington kenne ich so eine Kälte nicht“, sagt er.   

Für Shane ist der Besuch Berlins wie eine Reise in seine Vergangenheit. Er habe viele schöne Erinnerungen an seine Berlin-Zeit und erinnere sich vor allem an die alternative Szene Prenzlauer Bergs, meint er. Inzwischen sei der Stadtteil aber teurer geworden. „Damals habe ich nur 400 Mark für meine Wohnung hier im Kiez bezahlt,“erinnert er sich.

In den nächsten Tagen wollen die beiden noch ein wenig durch die Stadt wandern und sich mit alten Bekannten Shanes treffen. Auch in ein paar Cafés oder Bars wollen sie gehen, unter anderem in der Stargarder Straße, wo Shane früher abends oft unterwegs war. Und dann geht es bereits wieder zurück nach London, oder wie in Chris‘ Fall: zurück nach Neuseeland.    

 

Hostel als Zwischenstopp bei der Wohnungssuche

 

Auch zwei deutsche Gäste, die ihre Namen lieber nicht in der Zeitung lesen mögen, sitzen im Gemeinschaftsraum und beteiligen sich am Gespräch. Beide arbeiteten in der Gegend und wohnen nur übergangsweise hier im Hostel. „Ich bin gerade von Hamburg zurück nach Berlin gezogen und auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung“, sagt der Eine. Abends würden sie oft im Gemeinschaftsraum sitzen, sich mit anderen Hostelgästen unterhalten oder wie an diesem Abend fernsehen. „Heute kommt doch wieder ‚Unser Star für Baku‘. Das schauen wir uns immer an“, sagt der Andere.

Etwa 30 Prozent der mehrheitlich jungen Gäste kämen, je nach Saison, aus Deutschland, sagt Norman Kolb. Weitere 40 bis 50 Prozent seien aus dem europäischen Ausland. „Früher gab es hier auch viele US-Amerikaner und Australier, aber die sind jetzt lieber in Kreuzberg“, meint er. „Tendenziell sind Europäer affiner zu dieser Gegend und nicht nur an Partys und Pubs interessiert.“

Dass Prenzlauer Berg in den vergangenen Jahren immer mehr zu einer Wohngegend geworden ist und die Clubs nach und nach aus dem Stadtteil weggezogen sind, stört den Inhaber des Lette’m Sleep. Inzwischen werde Prenzlauer Berg in Reiseführern nur noch als Randnotiz erwähnt und immer weniger Touristen würden – auch dank steigender Hostel-Konkurrenz – in seinem Hostel übernachten. Aus diesem Grund habe er auch schon mal darüber nachgedacht, mit dem Lette’m Sleep nach Kreuzberg zu ziehen. „Aber aufgrund der Finanzkrise war das finanziell nicht möglich“, sagt Kolb.  

 

 

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