Das Böse schwitzt

von Redaktion der Prenzlauer Berg Nachrichten 17. Februar 2012

Marion Brasch erzählt in „Ab jetzt ist Ruhe“ die vier Jahrzehnte umspannende Geschichte ihrer berühmten Familie – und liefert damit zugleich eine faszinierende Innenansicht der DDR

Schon wieder bewirbt sich eine Familie um den Titel „Buddenbrooks der DDR“. Die Konkurrenz wird immer größer, denn der Familienroman scheint das Medium zu sein, dem am ehesten zugetraut wird, den versunkenen Staat in seiner Geschichte und Widersprüchlichkeit abzubilden. Es begann 2008 mit dem Clan Hoffmann/Rhode in Uwe Tellkamps Roman „Der Turm“, ging 2011 weiter mit den Powileits in Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, und nun kommen die Braschs in Marion Braschs „Ab jetzt ist Ruhe“. Jede dieser Familien hat ein reales Vorbild, gemeinsam ist ihnen allen, dass sie im weitesten Sinne zum „Roten Adel“ gehören, jenen Familien, die ausgerechnet das angeblich klassenlose Land über mehrere Generationen mitprägten – wobei allerdings häufig die jüngsten Abkömmlinge nicht mehr systemkonform mitspielten.

Von Tellkamp und von Ruge, an dessen breiten Publikumserfolg der Fischer-Verlag mit „Ab jetzt ist Ruhe“ offensichtlich anknüpfen will (die massive Werbung zeigt ganz deutlich, wie viel Hoffnung man in das Buch setzt), unterscheidet sich Marion Braschs Buch dadurch, dass hier keinerlei literarische Verschleierungsstrategien wirken. Die Braschs sind tatsächlich die Braschs, jene Familie, deren letzte Überlebende (zumindest aus ihrer Generation) die Tochter Marion ist. Zur Familie gehörten der Vater Horst, ein zum Kommunismus konvertierter Ex-Katholik jüdischer Abkunft, und seine Frau Gerda, eine österreichische Jüdin, die ihrem Mann nach dem Ende des 2. Weltkriegs nur höchst ungern in den Osten Deutschlands folgte, um dort beim Aufbau des Sozialismus mitzuwirken. Horst Brasch brachte es dort zunächst zum stellvertretenden Kulturminister, seine Frau wurde Journalistin.

 

„Du bist ja eine von den ganz schnellen“

 

Sie hatten vier Kinder, die im Abstand von etwa fünf Jahren zu Welt kamen: Der „älteste Bruder“ (so nennt ihn Marion Brasch im Buch ausschließlich), Thomas, wurde ein gefeierter Schriftsteller und Filmemacher, ging nach der Biermann-Ausbürgerung ebenfalls in den Westen – und verlor in den Achtziger- und Neunzigerjahren durch Alkoholismus und Drogenkonsum allmählich seine Schaffenskraft. Der „mittlere Bruder“ Klaus, ein begabter junger Schauspieler, der in „Jakob der Lügner“ und „Solo Sunny“ mitspielte, starb früh – vermutlich auch alkoholbedingt. Und „der jüngste Bruder“ Peter, ebenfalls Alkoholiker, war zwar talentiert, stand aber ein Leben lang gekränkt im Schatten des viel berühmteren Thomas. Im Gegensatz zu den Jungs hat Marion Brasch nie so richtig heftig gegen den Vater und seinen Staat aufbegehrt und erst kurz vor dem Mauerbau die Partei verlassen, in die sie dem Patriarchen zuliebe eingetreten war – was ihr vom jüngsten Bruder die höhnische Bemerkung einbringt: „Alle Achtung. Du bist ja eine von den ganz schnellen.“

Marion Brasch erzählt diese vier Jahrzehnte umspannende Geschichte so, wie sie gelebt hat – direkt und ein bisschen naiv. Das Buch ist durch die geschilderten Personen interessant, aber keinen Augenblick durch die Sprache. Gelegentlich streift sie die Grenze zur Trivialliteratur. Unsympathische Figuren riechen immer, wie der katholische „Pfaffe“ zu dem die Potsdamer Großmutter sie immer mitnimmt, um ihren kommunistischen Sohn zu ärgern. Oder sie schwitzen, wie der Parteifunktionär, der Horst Brasch anbietet, seine Tochter Abitur machen zu lassen, obwohl sie nicht die entsprechenden Leistungen bringt. Oder beides zugleich.

 

Fakten und Fiktion

 

Marion Brasch, die heute als Radiomoderatorin arbeitet, hat sich allerdings auch nicht für die Form des „Romans“ entschieden, weil sie sich für eine große Schriftstellerin hält, sondern weil sie – wie sie in einem Interview einräumt – keine Lust hatte, sich in Archive und Bibliotheken zu setzen, um die genauen Fakten zu recherchieren: „Der Roman hat mir die Möglichkeit gegeben, Fakten und Fiktion zu mischen und dabei auch mal rumzuspinnen.“

Trotz dieser sprachlichen Begrenztheit ist „Ab jetzt ist Ruhe“ eine faszinierende Innenansicht der DDR. Zur interessantesten Figur wird – möglicherweise gegen die Absicht der Autorin – der Vater Horst. Schon allein deshalb, weil er im Leben der Ich-Erzählerin am längsten präsent ist. Die Mutter stirbt früh an Krebs, die Brüder entfernen sich zeitig, nur Marion bleibt mit dem Alten allein zu Hause. Seine Härte – immerhin war er grausam genug, den dafür völlig untauglichen Poetensohn Thomas auf eine DDR-Kadettenanstalt zu schicken – tritt im Laufe des Buches in den Hintergrund gegenüber der zunehmenden Verzweiflung eines Gläubigen, der keinen seiner Söhne dauerhaft bekehren konnte und nun umso verkrampfter und sorgenvoller um die Tochter kämpft.

 

Misstrauen gegenüber West-Emigranten

 

Dabei sieht Horst Brasch sehr deutlich, dass die DDR sich von dem, was er erträumt hatte, auf deprimierende Weise unterscheidet. Die Privilegienwirtschaft seiner Parteigenossen ekelt ihn an – nicht erst, nachdem er wegen der Aufsässigkeit seines Sohnes Thomas (er verteilte 1968 Protestflugblätter gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings) in Ungnade gefallen war. In einer späten Tirade offenbart er seiner Tochter gegenüber einmal die Frustration darüber, dass er und seine Frau als West-Emigranten immer misstrauisch beäugt und nur für die jeweilige zweite Stelle gut gewesen wären. Das alles hält ihn nicht davon ab, sich an die DDR zu klammern. Ihren Untergang erlebt er nicht mehr. Er stirbt dem erträumten Staat vorweg – im August 1989 an Krebs, der in dieser Generation der Familie Brasch offenbar so unvermeidlich war wie der Alkoholismus in der nächsten.

Ein Prenzlauer-Berg-Roman ist „Ab jetzt ist Ruhe“ teilweise auch. Marion Brasch lebt hier, und ihr Bruder Peter ist im Juni 2001 in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg gestorben. Damit ist er einmal Thomas voraus gewesen, der im gleichen Jahr im November erlosch. Auch wenn die Autorin an Stadtkolorit erzählerisch wenig interessiert ist, so haben doch sie selbst und vor allem ihre Brüder eine Rolle in jenem Bezirk gespielt, der in den Siebzigerjahren zum Sammelpunkt derjenigen wurde, die sich aus der DDR ausklinken wollten, ohne sie ganz zu verlassen.

Marion Brasch: „Ab jetzt ist Ruhe“ erscheint am 23. Februar im Verlag S. Fischer und kostet 19,99 Euro. 

 

 
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