Bei der Tagung der BVV herrschte überraschende Einigkeit zwischen den Demonstranten gegen den Kulturabbau und den Bezirkspolitikern. Es einte als gemeinsame Feind: der Senat.
Gutes Sitzfleisch ist eine der wichtigsten Voraussetzung für jeden, der ein guter Demonstrant sein möchte. Das bewies sich wieder bei der Sitzung der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Mittwochabend. Schon seit 16 Uhr standen die Gegner des Pankower Kulturabbaus vor dem Bezirksamt und machten mit Trommeln ordentlich Stimmung. Doch bis in der eigentlichen Sitzung die ihnen wichtigen Themen angesprochen wurde, mussten sie lange ausharren. Ein Antrag, die Tagesordnungspunkte mit Kulturbezug vorzuziehen, wurde abgelehnt. Doch los wurde man die renitenten Plakatehalter und Zwischenrufer so dennoch nicht.
Als es dann wirklich ans Eingemachte ging, machte Kulturstadtrat Torsten Kühne (CDU) nochmal klar, worum es ihm mit seinem strikten Sparplan eigentlich geht: „Sie müssen die Probleme ausbaden, die wir als Bezirke mit dem Land Berlin haben“, meinte er zu den Demonstranten. Er hoffe, dass beim Senat bald Vernunft einkehre und dieser erkenne, dass man mit zu extremen Sparvorgaben die Vielfalt der Bezirke gefährde.
Bezirke brauchen mehr Geld, müssen das aber auch besser einsetzen
Jedoch beließ es Kühne nicht bei der Forderung nach mehr Geld: Dieses müsse auch effektiver eingesetzt werden. Derzeit bespräche er mit seinen Kollegen in den anderen Bezirken, ob man sich bei denen etwas abgucken könne. Zudem brachte der CDU-Stadtrat alternative Finanzierungsquellen wie eine Kulturstiftung, freie Träger oder Treuhandmodelle ins Spiel. Für das Kulturareal Ernst-Thälmann-Park stellte er eine eventuelle Förderung der nötigen Sanierungsarbeiten aus dem Programm „Stadtumbau Ost“ von Bund und Land in Aussicht. Sicher sei da aber noch nichts. Aber Gleiches gelte ja auch für die Kürzungspläne generell. „Endgültig ist das alles erst, wenn der Haushaltsentwurf Mitte Juni vom Abgeordnetenhaus verabschiedet wird“, so Kühne.
Der Kulturstadtrat hatte aber auch gute Nachrichten mitgebracht: So müssten die Kultureinrichtungen im Thälmann-Park nicht weiter im Notbetrieb laufen. Wegen der Haushaltssperre des Senats hatten fast alle Aktivitäten kurzzeitig eingestellt werden müssen. Nach der Vorlage des Haushaltsentwurfs durch das Bezirksamt in der vergangenen Woche stehe nun aber wieder Geld zur Verfügung, um in einen, wenn auch beschränkten, Normalbetrieb überzugehen. Mit den Sparplänen an sich habe diese Entwicklung jedoch nichts zu tun, so Kühne.
Auch Bezirksbürgermeister Matthias Köhne machte klar, dass der Senat der eigentliche Adressat der Sparpläne sei. „Alle gucken nach Pankow und sagen: Die beschweren sich jedes Mal“, so Köhne. Aber alle Bezirke hätten derartige Probleme: Insgesamt fehlten 112 Millionen Euro. „Wir lassen uns nicht länger abspeisen.“
„Pankow ist Berlin erst 1920 beigetreten. Vielleicht war das ein Fehler“
Nach diesen Ansagen der Pankower Politiker konnten auch die Demonstranten, die gegen acht Uhr das erste Mal im Saal ans Mikrofon gelassen wurden, nicht länger auf den Bezirk schimpfen. Statt dessen wurde auch von ihnen der Senat kritisiert, der sich eine neue Landesbibliothek leiste und dafür das Geld für Ehrenamtsbibliotheken im Bezirk einspare. „Pankow ist Berlin erst 1920 beigetreten. Vielleicht war das ein Fehler“, meinte etwa Regisseur Jens Becker. „Manche Dinge müssen zusammenbrechen, damit etwas Neues entstehen kann. Das sage ich als ehemaliger DDR-Bürger mit einer gewissen Gelassenheit.“ Klaus Lemmnitz von der Ehrenamtsbibliothek Kurt Tucholsky erklärte die Kosten-Leistungs-Rechnung, nach der bislang Sparmaßnahmen beschlossen würden, für neoliberalen Unsinn, der sich nicht bewährt habe. „Das systematische Aushungern des Bezirkes muss beendet werden“, so Lemmnitz.
Fast vier Stunden, nachdem die Sitzung begonnen hatte, wurde der Haushaltsentwurf des Bezirksamtes von den Bezirksverordneten an die entsprechenden Fachausschüsse überwiesen. Die Diskussion um die konkrete Umsetzung der Sparvorlagen des Senats ist damit eröffnet. Ausdrücklich wurden die demonstrierenden Bürger auch in die Ausschüsse eingeladen. Nicht nur, weil man letztendlich an einem Strang zieht und Pankow nicht kulturell ausbluten lassen möchte. Sondern wohl auch, weil des den Bezirkspolitikern sichtlich Spaß machte, einmal vor vollem Haus und interessierten Bürgern ein so sprödes Thema wie den Haushalt zu diskutieren.
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