Hostels zu Altersheimen

von Brigitte Preissler 19. Januar 2012

Der Schriftsteller David Wagner fragt sich, was passiert, wenn Berlin mal uncool und unsexy ist. Wird Prenzlauer Berg dann ein Altersheim?

Der Schriftsteller David Wagner, Jahrgang 1971, wünschte sich für 2011 ein Jubiläumsbuch. Nein, nicht zu seinem vierzigsten Geburtstag. Seit zwanzig Jahren lebt er in Berlin, 1991 kam er aus dem Rheinland hierher. Und weil er dieses runde Datum eben irgendwie feiern wollte, hat er, noch kurz vor Jahresende, im Verbrecher Verlag dieses kleine Berlin-Buch veröffentlicht: Spaziergangs-Prosa, Glossen, kurze Feuilletons, Alltagsbeobachtungen aus seiner Wahlheimat sind darin enthalten. Teilweise erschienen sie schon einmal in der FAZ, der SZ oder anderen Blättern, teilweise entstanden sie aber auch erst eigens für die Sammlung. 

 

„Die Luxushasenställe in der Schwedter Straße“

 

Und weil immerhin zwölf von Wagners zwanzig Berlin-Jahren echte Prenzlauer Berg-Jahre waren – seit 1999 lebt er mit seiner Familie unweit des Mauerparks – spielt darin natürlich auch sein Heimatkiez eine nicht unbedeutende Rolle. Von seiner Wohnung aus kann er die Ecke Schwedter/Oderberger Straße gut sehen, dort steht bekanntlich „der furchtbare lilafarbene Schuhkarton, der für die Wohnanlage Marthashof, die Luxushasenställe in der Schwedter Straße, wirbt.“ Auch wenn ihm das derzeit modische Prenzlauer Berg-Bashing zutiefst auf die Nerven geht, sich auch das Feindbild der zugezogenen Westdeutschen aus seiner Sicht längst erledigt hat (diese würden inzwischen selbst verdrängt, meint er), so geben ihm diese und andere bauliche Ungetüme doch Anlass zu allerlei heiter-verdrießlichen Betrachtungen über die Zukunft des Viertels. 

Angesichts der Youth-Hostels am Pfefferberg oder am Senefelder Platz zum Beispiel fragt er sich: „Was aber wird aus all den Herbergen, wenn es keine Billigflieger mehr gibt? Was, wenn Berlin eines fernen Tages reich und unsexy sein und es total uncool sein wird, nach Berlin zu kommen? Wird man die Hostels den veränderten demographischen Verhältnissen anpassen und in Altersheime umwandeln können?“

 

Grillwalker statt Currywurstbuden, Townhouses statt Gebrauchtwagenhändler

 

Um Gentrifizierung oder die touristische Vereinnahmung geht es ihm aber gar nicht so sehr. Vielmehr ist, allgemeiner, der stetige Wandel der Hauptstadt das zentrale Thema seiner Texte. Wagner, der Kunsthistoriker, verknüpft Alltagsbeobachtungen mit Geschichtswissen, er liebt es, was früher war, mit dem Heutigen zu vergleichen: „Wo Rossmann war, ist nun Kochhaus. Wo der Kleiderladen Meldestelle heißt, war im ersten Stock das Einwohnermeldeamt. Es gab eine Stadtbücherei, ein kleines Stück in die Pappelallee hinein, der Kiosk unter der Hochbahn ist verschwunden.“ Er vermisst die Gebrauchtwarenhändler an der Schönhauser, der Schwedter und der Bornholmer Straße, auch dort werden wohl bald Townhouses stehen. Und wo früher Currywurstbuden standen, findet Wagner heute nur noch Grillwalker. 

Für diesen anschaulichen Katalog verschwundenen Alltags waren Wagners viele lange Stadtspaziergänge natürlich geradezu elementar – wie übrigens auch für seine Poetik insgesamt. Schon in seinem letzten Roman „Vier Äpfel“, mit dem er 2009 auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand, flanierte der Protagonist ja exzessiv umher; in dem Roman, an dem Wagner zurzeit schreibt, sollen dagegen – wie er schon mal vorsichtig andeutet – eher innere Spazierengänge stattfinden. „Lesen und schreiben ist Spazierengehen,“ sagt er. „Schreiben ist zielloses Herumstreifen durch einen Gedanken. Ich ergehe mir einen Text.“

 

Waschbetongrau, Sancoussi-Gelb oder doch eher Lindgrün?

 

Bleibt noch die Titelfrage „Welche Farbe hat Berlin“ (die, fragezeichenlos, ja eigentlich gar keine ist). „Hell-Elfenbein? Sanssouci-Gelb? Lindgrün? Blau? Ist der berlinblaue Himmel, wenn er denn mal zu sehen ist, nicht die größte gleißende Farbfläche über der Stadt? Oder ist die Himmeltönung doch eher wolkengrau, gedeckt verwaschen? Waschbetongrau? Plattenbaubunt?“ Ist Berlin etwa nachtblau wie die berühmte Hose aus Wagners seinerzeit aufsehenerregendem Debütroman? Oder knallrot wie das aktuelle Buchcover? Alles zusammen natürlich: Genau so grellbunt und spannend wie David Wagners kleine Farblehre zur Stadtgeschichte.

David Wagner: Welche Farbe hat Berlin. Betrachtungen. Verbrecher Verlag, 224 Seiten, 14 Euro. 

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